Rettungskräfte in Ruanda
Österreichisches Rotes Kreuz
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Soziales

Ruanda will Rettung wie in Österreich

In Niederösterreich dauert es bei einem Notruf etwa neun Minuten, bis die Rettung eintrifft. In Ruanda dauert der Transport von Patienten ins Krankenhaus oft mehrere Stunden. Ein Niederösterreicher leitet dort ein Rotkreuz-Projekt, das das Rettungssystem auf völlig neue Beine stellen soll.

Seit Februar ist Christian Diemt in Ruanda, um ein international unterstütztes Projekt zu leiten, das vor eineinhalb Jahren seinen Anfang nahm. Das Ziel des Projekt des Roten Kreuzes ist ambitioniert. Bis Mitte 2021 sollen die Grundsteine für ein völlig neues Fundament des ruandischen Rettungsdienstes gelegt werden. Der Weg dorthin ist weit, erzählt Diemt nach seinen ersten wenigen Wochen in Ostafrika. Die Versorgung von Kranken und Verletzten ist mit österreichischen Standards nicht vergleichbar. „Aber wäre es nicht so, bräuchte es dieses Projekt auch nicht“, so Diemt, der 27 Jahre Erfahrung als Rettungssanitäter in Niederösterreich vorzuweisen hat.

Unterbesetzte Rettungswägen durch Personalnot

Zur Veranschaulichung der Unterschiede des Rettungswesens in Österreich und Ruanda nennt der Sanitäter aus Atzenbrugg (Bezirk Tulln) folgendes Beispiel: In ganz Ruanda gab es bis zu Beginn des Projektes keinen einzigen Sanitäter. Das Berufsbild ist dort völlig fremd. Da die Rettungswägen in Spitälern stationiert sind, werden sie nach Möglichkeit mit einem Fahrer und einer Krankenschwester zu den Patientinnen und Patienten geschickt.

Weil aber in Ruandas Krankenhäusern akute Personalnot herrscht, werden die Krankenschwestern oft in den Spitalsstationen und Ambulanzen gebraucht. „Deswegen kommt der Fahrer oft ohne Krankenschwester, um Patientinnen und Patienten zu holen. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass er überhaupt keine medizinische Ausbildung mitbringt. In vielen Fällen hat der Fahrer nicht einmal einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert“, erzählt Diemt. Die Rettungswägen dienen in vielen Fällen allein dem Transport ins Krankenhaus. Bis die Patientinnen und Patienten dort ankommen, bleiben sie medizinisch unversorgt.

Christian Diemt
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Christian Diemt hat für sechs Monate die Projektleitung in Ruanda übernommen

Transport ins Krankenhaus dauert oft mehrere Stunden

Erschwert wird die Situation für die Verletzten bzw. Erkrankten dadurch, dass die Wege zum nächsten Klinikum oft weit sind und das Straßennetz in Ruanda nicht gut ausgebaut ist. Viele Strecken erlauben aufgrund ihres schlechten Zustands eine maximale Fahrgeschindigkeit von etwa 20 Kilometern pro Stunde. Transportzeiten von mehreren Stunden sind laut Diemt keine Seltenheit.

Er sah in Ruanda bereits viel, das für österreichische Augen ungewohnt und teilweise erschreckend sein kann. „Patientinnen und Patienten kommen oft mit dem Fahrrad oder Moped zur nächstgelegenen Gesundheitsstation oder müssen von Angehörigen gebracht werden. Die Gesundheitsstationen sind mit unseren Hausärzten vergleichbar. Erst dort wird ein Rettungsmittel alarmiert, das die Betroffenen dann ins jeweilige Bezirkskrankenhaus bringt“, schildert Diemt gegenüber noe.ORF.at. So entstehen Transportzeiten von bis zu vier oder gar fünf Stunden. Das ist wertvolle verstrichene Zeit, die im Notfall nicht vorhanden ist.

Berufsbild des Sanitäters wird nun etabliert

Das Ziel des Roten Kreuzes ist es, Sanitäterinnen und Sanitäter auszubilden. Der Lehrplan ist nach österreichischem Vorbild aufgebaut und gleichzeitig an die Erfordernisse des ruandischen Rettungswesens angepasst. Er umfasst eine theoretische Basisausbildung, eine von Profis begleitete Praxis am Rettungswagen sowie ein Praktikum im Krakenhaus. Die Absolvierung der Module dauert sechs Monate. Anders als in Österreich machen laut Diemt gynäkologische Einsätze die Hälfte aller Einsätze aus. Bei etwa jeder zweiten Rettungsfahrt ist eine schwangere bzw. gebärende Frau an Bord. Aufgrund der langen Transportwege kommen in Ruanda besonders viele Kinder im Rettungswagen auf die Welt.

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Rettungssanitäter in Ruanda
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Jeder zweite Einsatz führt die Rettungskräfte in Ruanda zu einer schwangeren oder gebärenden Frau
Rettungssanitäter in Ruanda
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Die Rettungswägen in Runda sind kleiner als in Österreich und müssen geländegängig sein
Rettungssanitäter in Ruanda beim Training
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Nach dem Ende der Pilotphase sollen etwa 80 ausgebildete Sanitäterinnen und Sanitäter weitere Einsatzkräfte ausbilden
Ausgebildete Rettungssanitäter in Ruanda
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Eine Absolventin und zwei Absolventen des ersten Sanitäterlehrgangs

Für neues Rettungswesen ist Gesetzesänderung nötig

Das Projekt zum Aufbau eines flächendeckenden Rettungsdienstes nach österreichischem Vorbild ist auf drei Jahre angelegt. Während der aktuell von Christian Diemt geleiteten Pilotphase geht es den Helferinnen und Helfern vor Ort darum, die ruandische Regierung von der Sinnhaftigkeit des neuen Rettungssystems zu überzeugen. Dazu ist vonseiten des Staates eine Gesetzesänderung erforderlich, sodass Sanitäterinnen und Sanitäter in den Rettungswägen mitfahren können.

Außerdem wird es große finanzielle Anstrengungen brauchen. Diemt ist aber optimistisch, dass das System flächendeckend ausgerollt wird: „Wir wissen, dass Ruanda dieses Rettungswesen unbedingt auch haben möchte. Deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass das auch, wenn wir wieder weg sind, umgesetzt und mithilfe der von uns ausgebildeten Sanitäterinnen und Sanitäter erfolgreich fortgesetzt werden kann.“

Großer Andrang zu neuem Sanitäterlehrgang

Die Vorzeichen stehen tatsächlich nicht schlecht. Ruanda, das vom schweren Bürgerkrieg gezeichnetet war, erfuhr zuletzt einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Genozid sind laut Angaben des Roten Kreuzes mittlerweile mehr als 90 Prozent der etwa 12 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern krankenversichert. Auch der Andrang zum ersten Sanitäterlehrgang war enorm. Für die 18 Ausbildungsplätze bewarben sich mehr als 1.000 Menschen.

Das Projekt unter der Leitung von Christian Diemt wird mit einem Volumen von 470.000 Euro gemeinsam mit dem Ruandischen Roten Kreuz umgesetzt und von der deutschen Elsa Kröner-Fresenius-Stiftung und dem Landesverband des Roten Kreuzes Steiermark unterstützt. Das Belgische Rote Kreuz spendete zwei voll ausgestattete Rettungswägen, die für das Pilotprojekt und die Ausbildung in Ruanda zum Einsatz kommen.

Vor wenigen Tagen startete der zweite Lehrgang für Sanitäterinnen und Sanitäter, aus dem im Sommer knapp 20 weitere medizinisch ausgebildete Einsatzkräfte in den Rettungsdienst in Ruanda starten. Die Absolventinnen und Absolventen sollen helfen, das für Ruanda völlig neue Rettungssystem auf die Beine zu stellen. In Zukunft liegt es an ihnen, gemeinsam mit Freiwilligen den Aufbau eines zivilen Rettungsdienst nach österreichischem Vorbild weiter fortzusetzen, sodass auch in Ruanda im Notfall niemand mehr für einige Stunden medizinisch unversorgt bleibt.