Verkehr

Ein Vogel und die S8 spalten das Marchfeld

Mit Spannung wird auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der Causa Marchfeldschnellstraße (S8) gewartet. Weil das Projekt vor dem möglichen Aus steht, erhöhen Befürworter nun den Druck, Gegner sehen ihre Kritik bestätigt.

Für die Bewohnerinnen und Bewohner in Deutsch-Wagram (Bezirk Gänserndorf) ist es bereits ein gewohntes Bild: In den Morgenstunden reihen sich die Autos hier Stoßstange an Stoßstange. Hunderte Pendlerinnen und Pendler sind auf dem Weg nach Wien. Ein paar Stunden später wird die Situation auf der anderen Straßenseite eine ähnliche sein. Dass es eine Lösung für das Verkehrsproblem auf der B8 und in den Ortschaften entlang dieser braucht, bestreitet niemand – nur wie diese Lösung aussehen soll, dazu liegen die Meinungen weit auseinander.

ÖVP-Bürgermeister betonten Notwendigkeit der S8

Für die ÖVP-Bürgermeister aus der Region, die bei einer Pressekonferenz am Mittwoch demonstrativ Einigkeit zeigten, heißt die Lösung S8. Die Situation sei untragbar geworden, sagt etwa Friedrich Quirgst, Bürgermeister in Deutsch-Wagram. Seine Gemeinde leide besonders unter der „Verkehrslawine“: „Wir brauchen die S8 als Lebensader für unsere Region und wir brauchen sie zur wirtschaftlichen Entwicklung. Wir wollen die Lebensqualität in unseren Gemeinden und Städten wieder zurück.“

Pressekonferenz der Bürgermeister im Marchfeld
VPNÖ
Die ÖVP-Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus der Region setzen sich gemeinsam für den Bau der S8 ein

Mit einer Online-Petition, die am Mittwoch gestartet wurde, wollen die Befürworter der S8 nun den Druck erhöhen. Einen Plan B statt der S8 gebe es nicht, heißt es. Die S8 sei die beste und vernünftigste Variante, wird betont. Diese sei bereits 2005 einer Strategischen Prüfung Verkehr unterzogen worden, sagt ÖVP-Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner: „Acht verschiedene Varianten wurden miteinander abgewogen und bewertet. Dabei wurde bestätigt, dass der Bau der S8 in der heute verfolgten Variante den höchsten Nutzen erzielt.“

Viele sehen das aber anders. Gleich sechs Bürgerinitiativen machen bereits seit Jahren gegen die geplante S8 mobil. Auch sie vertreten verschiedene Ansichten – während die einen etwa nur Einwände gegen die geplante Trasse haben, sind andere gänzlich gegen eine neue Schnellstraße.

Bürgerinitiative und Grüne für Umfahrungen

Letztere Meinung vertritt etwa die „Bürgerinitiative Marchfeld“, zu der Wolfgang Rehm gehört, der auch Sprecher der Umweltorganisation VIRUS ist. Er kritisiert im Gespräch mit noe.ORF.at Umweltauswirkungen von hochrangigen Straßen – „im Bereich Luft, im Bereich Lärm“, wie er sagt: „Der Gesamtverkehr wird gesteigert, dementsprechend mehr werden die Treibhausgas-Emissionen.“ Die S8 sei „kein klimafittes Projekt“, so Rehm, der stattdessen für ein „Paket aus Umfahrungen, Verkehrsvermeidung und Ausbau des öffentlichen Verkehrs“ plädiert.

Lokalaugenschein: Pro und Contra Marchfeldschnellstraße

Bereits seit Jahren wird über den Bau der Marchfeldschnellstraße, der S8, diskutiert, die vom Knoten S1 in Wien bis nach Gänserndorf führen und die Orte entlang der B8, etwa Deutsch-Wagram oder Strasshof, vom Verkehr entlasten soll. Derzeit ist die Straße wieder in aller Munde, weil ein Sachverständiger sein ursprünglich positives Gutachten vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückzog.

Für Umfahrungen statt einer Schnellstraße sprechen sich auch die Grünen in Niederösterreich aus. „Wir wollen Ortsumfahrungen haben und keine hochrangige S8, die in einem Natura-2000-Gebiet liegt und daher von Anbeginn an nicht genehmigungsfähig war“, sagt die Grüne-Landessprecherin Helga Krismer. Dass man an dem Projekt S8 festhalte, sei ein „Verhöhnen der Menschen vor Ort“, wie sie sagt, „Die Regierungsparteien von ÖVP, SPÖ und FPÖ müssen den Kopf aus dem Sand nehmen. Wir müssen für die Menschen vor Ort rasch Entlastung schaffen.“

Brutgebiet des Triels könnte S8 zu Fall bringen

Direkt betroffen von der S8 wäre Landwirt Leopold Haindl in Markgrafneusiedl (Bezirk Gänserndorf). Die Trasse der derzeit geplanten S8 würde direkt durch seinen Grund verlaufen, der im Übrigen unmittelbar an das ausgewiesene Natura-2000-Gebiet angrenzt. Genau hier brütet jedoch der Triel, der in Österreich als sehr selten gilt.

Seit 2011 wurde der Vogel auf dem Grund gesichtet, sagt Wolfgang List, Anwalt der „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Marchfeld“. Man sei nicht gegen die Autobahn, aber gegen die geplante Trasse. „Nicht in einem Natura-2000-Gebiet“, sagt List, „Wir haben vor vielen, vielen Jahren schon nachgewiesen, dass hier der Triel brütet und eine Genehmigungsfähigkeit nicht gegeben ist.“

Grundstück auf dem die S8 verlaufen würde
ORF / Sunk
Hier würde die geplante Trasse der S8 verlaufen – ein Gebiet, in dem sich der Triel wohlfühlt

Befürworter wollen Triel umsiedeln

Dass der Triel einfach umgesiedelt werden kann, bestreitet List. Genau das argumentieren aber die Befürworter des Projekts S8. Es könne nicht sein, dass Tier- über Menschenschutz stehe, sagt etwa Rene Lobner, Bürgermeister in Gänserndorf (ÖVP): „Es sind in Summe 100.000 Menschen betroffen und da muss es doch möglich sein, dass man auch im Sinne des Naturschutzes und des Tierschutzes diese paar Vögel absiedelt und ihnen einen entsprechenden Lebensraum gibt.“

Ob der Triel bleibt, wo er ist, oder die S8 wie geplant gebaut wird, entscheidet jetzt das Bundesverwaltungsgericht. Ein schriftlicher Entscheid wird in den kommenden Wochen erwartet. Für Brisanz sorgte vor zwei Wochen die Tatsache, dass ein Sachverständiger sein ursprünglich positives Gutachter zur S8 zurückzog. Die Gegner der S8 rechnen deshalb bereits fix mit einem negativen Urteil – mehr dazu in Marchfeld: Gegner sehen S8 vor dem Aus (noe.ORF.at; 21.2.2020). Sollte das tatsächlich kommen, werden die Befürworter aber wohl weitere Rechtsmittel ausschöpfen und Berufung einlegen.