Desinfektionsmitteltank
Philipp Wied
Philipp Wied
Wirtschaft

Desinfektionsmittel: Betriebe rüsten um

Wegen Engpässen bei Desinfektionsmittel wurde nach Wegen gesucht, um Nachschub zu produzieren. Nun stellen auch niederösterreichische Firmen, die bisher auf andere Produkte spezialisiert waren, Desinfektionsmittel her.

Ob groß oder klein: Betriebe, die bisher noch nie mit der Herstellung von Desinfektionsmittel beschäftigt waren, strukturierten in den letzten Wochen um. Manche gingen diesen Schritt, um aus der Not eine Tugend zu machen, während andere die Gunst der Stunde nützen können, um neue Absatzmärkte zu erschließen – zumindest vorübergehend. In jedem Fall helfen die Betriebe, die zuletzt knappen Bestände von Desinfektionsmittel wieder aufzufüllen und nicht auf Lieferungen aus dem Ausland angewiesen zu sein.

Der Nahrungsmittel- und Industriegüterkonzern AGRANA gab zuletzt bekannt, Bioethanol neuerdings nicht nur als Beimischung für Benzin zu verkaufen, sondern für die Produktion von Handdesinfektion bereitzustellen. Ganze Tankladungen hochprozentigen Alkohols verlassen mittlerweile das Werk in Pischelsdorf (Bezirk Tulln). Bis vor kurzem wäre die Nutzung des Bioethanols für medizinische Desinfektionszwecke nicht erlaubt gewesen. Mittlerweile ist es durch eine Ausnahmegenehmigung des Umweltministeriums möglich. Etwa 500.000 Liter Bioethanol liefert AGRANA nun wöchentlich zur Herstellung von Desinfektionsmittel aus.

Bedarf wird wieder vermehrt in Österreich produziert

Die Firma Metadynea in Krems mischt das Bioethanol, das sie von AGRANA bezieht, gemeinsam mit anderen dafür notwendigen Komponenten zu großen Gebinden voll Handdesinfektion für den österreichischen Markt. „Wir haben die Anfragen vom Fachverband bzw. von den verschiedenen Einsatzorganisationen bekommen, ob wir hier unterstützend helfen und Desinfektionsmittel herstellen können und haben natürlich ja gesagt“, so Direktor Ralph Theuer. Binnen zwei Wochen wurden die dafür nötigen Umstrukturierungen geschaffen, denn normalerweise ist der Betrieb auf chemische Erzeugnisse wie beispielsweise Lacke oder Harze spezialisiert.

Seither stehen zwei große Tanktürme des Firmenareals ausschließlich zur Desinfektionsmittelherstellung bereit. Allein für April sind etwa 350.000 Liter Handdesinfektionsmittel bestellt. Die fertigen Lösungen verlassen die mehr als 30 Meter hohen Tanks in Krems in großen Tanks bzw. Kanistern, um in einem weiteren Produktionsschritt in kleine Gebinde für den Endverbrauch umgefüllt zu werden. Die Rezeptur, nach der das Desinfektionsmittel erstellt wird, basiert auf einer Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Auch in Zeiten der Krise habe das Werk in Krems laut Theuer eine hohe Auslastung, „aber selbstverständlich hilft der Firma in Zeiten wie diesen alles, was noch zusätzlich kommt – wie etwa die Desinfektionsmittel.“ Dass der Betrieb bisher keine Desinfektionsmittel hergestellt hat, sei laut Theuer kein Problem. Das Personal habe schließlich mit unterschiedlichen chemischen Stoffen zu tun, Umschulungen seien nicht nötig gewesen. Die größte Herausforderung sei die Abstimmung mit den Behörden gewesen, um alle für Medizinprodukte nötigen Auflagen zu erfüllen.

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Coronavirus Produktion Desinfektionsmittel Metadynea Mostelleria
ORF
In diesen Türmen mischt Metadynea tausende Liter Handdesinfektionsmittel
Destillerie Farthofer
Philipp Wied
Die Destillerie Farthofer stellt seit kurzem Alkohol für Desinfektionsmittel her
Coronavirus Produktion Desinfektionsmittel Metadynea Mostelleria
ORF
Für die Herstellung von Handdesinfektion darf ausschließlich hochprozentiger Alkohol verwendet werden
Schauraum Destillerie Farthofer
Philipp Wied
Spirituosen finden derzeit keinen Absatz, Alkohol für Desinfektion hingegen schon
Coronavirus Produktion Desinfektionsmittel Metadynea Mostelleria
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Ob im Kleinen oder im Großen: Viele Unternehmen rüsteten ihre Betriebe durch die Krise um
Coronavirus Produktion Desinfektionsmittel Metadynea Mostelleria
ORF

Desinfektionsmittel- statt Schnapsproduktion

Unter den vielen kleine Unternehmen, die durch die Auswirkungen der Krise schwer getroffen wurden, befinden sich Destillerien. Österreichweit gaben einige von ihnen bekannt, ihre Werke vorübergehend umstrukturieren zu wollen, um medizinischen Alkohol herzustellen. Ein Beispiel dafür findet man in Oehling (Bezirk Amstetten). Das Spirituosengeschäft des Familienbetriebs mit acht Beschäftigten brach von heute auf morgen zusammen: Bestellungen von Handel und Gastronomie blieben ebenso aus wie Touristinnen und Touristen, die normalerweise um diese Jahreszeit mit Bussen anreisen und die Schauräume füllen.

Statt Whiskey, Wodka, Schnäpsen und allen weiteren Erzeugnissen der Destillerie läuft seit einigen Tagen medizinischer Alkohol in Stahlkanister. Die größte Kundengruppe stellen mittlerweile Apothekerinnen und Apotheker, die den 96-prozentigen Alkohol zu handelsüblichem Desinfektionsmittel weiterverarbeiten. „Der Alkohol, den wir jetzt herstellen, ist im Endeffekt ähnlich der Wodkaproduktion“, erklärt Geschäftsführerin Doris Farthofer. Die Idee zur neuen Nutzung der Anlagen entstand laut Farthofer aus der Not heraus. „Wir sind acht Beschäftigte und versuchen alles zu tun, um den Familienbetrieb aufrechtzuerhalten. Wir wollen mit dem Betrieb einfach überleben und durch die Krise kommen.“

Zwar helfe die Herstellung von Alkohol für die Produktion von Desinfektionsmittel, allerdings seien die Absätze nicht zu vergleichen. „Normalerweise produzieren wir 50.000 Liter Alkohol im Jahr. Das Geschäft mit Desinfektionsmittel ist deutlich weniger rentabel. Seit wir die Produktion umgestellt haben, haben wir in knapp zwei Wochen circa 500 Liter verkauft“, so Farthofer. Dieser Schritt sei daher lediglich für einen Übergangsbetrieb tragbar, „aber wir können den Betrieb keinesfalls über Monate hinweg so überbrücken.“

Derzeit keine Engpässe zu erwarten

Die neuen Hauptkunden der Destillerie sind neuerdings nicht Gastronomen und Händler, sondern regionale Apotheken, wo der hochprozentige zu fertigem Desinfektionsmittel weiterverarbeitet wird. Auch Florian Göttlinger, Inhaber der Apotheke im benachbarten Aschbach (Bezirk Amstetten), kauft Alkohol in der Destillerie Farthofer. „Regionale Ressourcen zu nützen, erscheint mir in der jetzigen Situation deutlich sinnvoller als Komponenten von sehr weit weg zu beschaffen. Davon profitieren nicht nur die regionalen Unternehmen, auch ich habe auf diese Art kürzestmögliche Transportwege und keine Lieferengpässe und kann dadurch jederzeit unseren Bedarf decken.“

Auch Göttlinger, der Handdesinfektionsmittel bisher in fertigen Gebinden gekauft hat, besorgt mittlerweile alle Komponenten selbst, die es zur Herstellung von Desinfektionsmitteln braucht. Auch in der Apotheke Aschbach wird Desinfektionsmittel – wie auch bei Metadynea in Krems – nach einer Rezeptur der WHO gemischt und an die Kundinnen und Kunden weiterverkauft. Probleme, an alle Rohstoffe zu kommen, gäbe es keine, erzählt er. Generell seien Engpässe bei Handdesinfektionsmittel in Österreich nicht mehr zu erwarten, hört man in der Branche. Auch bei Metadynea, einem der größten Hersteller Österreichs, könne man die derzeitige Produktionshöhe bei Bedarf weiter steigern, sagt Direktor Theuer: „Unsere Kapazität ist sicher höher, sodass wir uns nach den Notwendigkeiten ausrichten könnten.“