Die Witwe Gottfried von Einems starb am Sonntagabend in der Klinik Donaustadt in Wien kurz nach ihrem 92. Geburtstag und wenige Tage nach einem Sturz, wie der Präsident der Internationalen Gottfried von Einem und Lotte Ingrisch Gesellschaft, Manfred Schmid, der Austria Presse Agentur am Montag mitteilte. Ingrisch schrieb zunächst Unterhaltungsromane und war mit Theaterstücken erfolgreich. Sie verfasste auch Lyrik, Fernseh- und Hörspiele.
Lotte Ingrisch wurde am 20. Juli 1930 in Wien als Charlotte Gruber geboren. Von 1949 bis 1965 war sie mit dem Philosophen Hugo Ingrisch verheiratet und veröffentlichte zwischen 1958 und 1961 unter dem Pseudonym Tessa Tüvari drei Unterhaltungsromane. Größeren Publikumserfolg erzielte sie in den 1960er Jahren mit ihren Theaterstücken, meist Einaktern, „Vanillikipferln“ (1964) ist wohl das bekannteste Theaterstück.
„Jesu Hochzeit“ löste 1980 einen Skandal aus
Mitte der 1960er-Jahre lernte sie den Komponisten Gottfried von Einem kennen, den sie 1966 heiratete. Das Ehepaar lebte in Wien und in Rindlberg bei Bad Großpertholz (Bezirk Gmünd), später bis zum Tod Einems im Jahr 1996 in Oberdürnbach bei Maissau (Bezirk Hollabrunn).

Im Mai 1980 kam ein gemeinsames Werk des Künstlerpaars auf die Bühne: Die Mysterien-Oper „Jesu Hochzeit“ löste bei ihrer Uraufführung im Theater an der Wien wegen „blasphemischer Textstellen“ einen Skandal aus. Das „gotteslästerliches Libretto“ war laut Franz Fuchs auch der Grund, warum der Attentäter 1996 eine Briefbombe an die Verfasserin schickte – allerdings irrtümlich an eine alte Wohnadresse.
Spezialistin in Sachen Leben nach dem Tod
Die bereits in „Jesu Hochzeit“ vertretene Idee der Einheit von Leben und Tod manifestierte sich in weiterer Folge in Ingrischs esoterischen, sehr persönlichen Texten der 1980er Jahre, dem Bestseller „Reiseführer ins Jenseits“ (1980), dem „Nächtebuch“ (1986) und vor allem dem „Donnerstagebuch“ (1988), das ihr, so erklärte sie, vom 1986 verstorbenen Wiener Stadtrat Jörg Mauthe „aus dem Jenseits diktiert worden“ sei.

1990 wurde im Wiener Ronacher von Einems und Ingrischs Kinderoper „Tulifant“ uraufgeführt, und 1998 hob die Wiener Kammeroper das letzte gemeinsame Bühnenwerk, „Luzifers Lächeln“, aus der Taufe. Dass man auch über dem Sterben nicht den Humor verlieren muss, postulierte Ingrisch, die auch Fernseh- und Hörspiele sowie Lyrik verfasste, in „Der Himmel ist lustig“ (2003). Zumindest mit einer Reihe etablierter Wissenschafter verscherzte sie es sich allerdings mit dem wissenschaftlichen Anspruch ihrer 2004 erschienenen „Physik des Jenseits“. Diesen Themen bliebt sie auch in ihren zuletzt erschienenen Büchern treu: „Der Quantengott“ (2017) und „Die Quantengöttin“ (2020), beide gemeinsam mit Helmut Rauch verfasst.
Schon die ersten Zeilen des Buches „Der Quantengott“ irritieren, wenn Ingrisch schreibt: „Ich bin eine jenseitige Spaziergängerin. Dabei gerate ich in sonderbare Gegenden. Tote reden mit mir. Manchmal gehe ich durch eine unsichtbare Tür aus mir selbst heraus. Und ich erscheine an Orten, an denen ich gar nicht bin.“
Natürlich gebe es viele Skeptiker und nicht wenige runzeln bei solchen Aussagen die Stirn, sagte die damals 87-Jährige anlässlich des Erscheinens ihres Buches im Gespräch mit noe.ORF.at. Aber jeder Mensch habe Antennen, und diese bestimmen, welche Art von Welt und Wirklichkeit wir erkennen, so die Jenseitsforscherin: „Ich glaube, wir alle haben diese Antennen, wir fahren sie nur nicht aus. Die meisten Menschen haben sie, fahren sie aber nicht aus, weil sie die große Angst vor dem Unbekannten daran hindert. Ich bin eine offene und neugierige Person, ich habe sie halt ausgefahren!“
Gründerin der „Schule der Unsterblichkeit“
1993 gründete die Grenzgängerin eine „Schule der Unsterblichkeit“, um den Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen: „Sterben für Anfänger“, „Sterben für Fortgeschrittene“ und „Gespenster-Knigge“ lauten Auszüge aus dem Kursprogramm. Ingrisch unterhielt sich laut eigenen Angaben nicht nur mit Hexen, Hausgeistern, Feen und Engeln, sondern auch mit ihrem 1996 verstorbenen Ehemann. Ihre Dialoge mit Einem gab sie 1997 unter dem Titel „Ratte und Bärenfräulein – Die Jenseitsreise des Gottfried von Einem“ heraus.
Dem Gedenken ihres Mannes und der Pflege seines Werks widmete Ingrisch sich auch mit der Gottfried-von-Einem-Stiftung. Sie schenkte das Haus in Oberdürnbach, in dem Einem seinen Lebensabend verbracht hatte, der Gemeinde Maissau. Seit 1999 ist die Gedenkstätte zudem Schauplatz der jährlichen Gottfried-von-Einem-Tage. Im Jahr 2002 erhielt die Schriftstellerin das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, vier Jahre später das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich.
„Eine einprägsame Persönlichkeit verloren“
Betroffen über das Ableben von Ingrisch zeigte sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen. „Mit Lotte Ingrisch hat Österreich eine vielfältige Schriftstellerin und einprägsame Persönlichkeit verloren“, teilte er in einer Aussendung mit. Ihr Name sei untrennbar mit Gottfried von Einem verbunden, ihr Engagement um sein künstlerisches Erbe Teil ihres erfolgreichen Wirkens. Sie werde als „einzigartige und unverwechselbare Künstlerin und als einfühlsamer und humorvoller Mensch in Erinnerung bleiben“, so Van der Bellen.
Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) würdigte Ingrisch als „vielfältige Schriftstellerin“. Besonders habe die Schriftstellerin gemacht, dass sie den Tod als selbstverständlichen Teil des Lebens betrachtete. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) befand, dass Ingrisch, die als Wahlheimat Niederösterreich auserkoren hatte, mit ihrem großen künstlerischen Schaffensdrang die Kulturlandschaft geprägt habe: „Lotte Ingrisch hat die Menschen mit ihren Worten stets beeindruckt. Sie wird uns durch ihr Werk für immer in Erinnerung bleiben.“