Lehrerin im Klassenzimmer
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Bildung

Schulstart: Sonderschule als Sonderfall

Ab Montag kehrt der Großteil der Schüler in die Klassenzimmer zurück. Durch zahlreiche Vorschriften wird der Neustart unter nie dagewesenen Vorzeichen stattfinden. Vor besondere Herausforderungen stellt das in vielen Fällen die Sonderschulen.

Geteilte Schulklassen, Abstandsregelungen, regulierter Zutritt in die Schule, gestrichene Unterrichtsfächer, Hygienevorschriften und Schutzmaskenpflicht: Der Unterricht ab Montag wird völlig anders ablaufen als vor Ausbruch des Coronavirus. Das Bildungsministerium hat für Schulen dazu ein 25 Seiten umfassendes „Hygienehandbuch“ vorgelegt.

Je älter die Schülerinnen und Schüler sind, desto eher können sie die geforderten Maßnahmen nachvollziehen und berücksichtigen. Vom Alter alleine wird es aber nicht abhängen, inwieweit sich die Bestimmungen in der Praxis umsetzen lassen und vor welche Herausforderungen sie das pädagogische Personal stellen. Davon kann das Personal an Sonderschulen ein Lied singen – nicht erst seit den Erfahrungen der vergangenen Tage und Wochen.

Was ist Kindern und Personal „zumutbar“?

Das „Hygienehandbuch“ enthält einen Passus, dass bei Kindern bzw. Jugendlichen „mit besonderen Bedürfnissen oder individuellen Schwierigkeiten nicht davon ausgegangen werden kann, dass all diese Maßnahmen umgesetzt werden können, bzw. wird dies natürlich auch nicht von den zuständigen Pädagoginnen und Pädagogen verlangt.“ Den Empfehlungen sei in einem Ausmaß zu folgen, das die (alters)spezifischen Bedürfnisse der Kinder erfüllt bzw. ihren größtmöglichen Schutz sowie den Schutz der Pädagoginnen und Pädagogen sicherstellt.

Pausenplakat
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An vielen Details in den Schulen wird sichtbar, dass der Schulalltag anders sein wird

Für die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen bleibt also Interpretationsspielraum. Den Schulen ist es in vielen Details damit selbst überlassen, inwieweit gewisse Anforderungen auch praktisch umsetzbar sind. Notwendig ist das unter anderem deswegen, weil die jeweiligen Voraussetzungen an den Schulen stark variieren und von Standort zu Standort beurteilt werden müssen – abhängig auch von der Anzahl und dem Alter der Schülerinnen und Schüler oder etwa den räumlichen Gegebenheiten. In der Planung führt das in den Schulen dennoch zu der einen oder anderen Verunsicherung.

Abstandsregel nicht immer einhaltbar

Hört man sich unter den Direktorinnen und Direktoren der Sonderschulen in Niederösterreich um, sind alle um größtmögliche Sicherheit bemüht und darum, sämtliche Anforderungen weitestgehend zu erfüllen. In der Praxis sei speziell im Umgang mit behinderten oder beeinträchtigten Kindern vieles aber „kaum oder schwer umsetzbar“. Bereits in der Vorbereitung stellte das viele Sonderschulen vor Herausforderungen.

Ein Beispiel dafür ist der geforderte Mindestabstand von einem Meter zwischen den Personen in der Schule. „Natürlich kann ich den Abstand leichter garantieren, wenn zwei Kinder nebeneinander im Rollstuhl sitzen. Wenn ich aber an Schüler mit schweren geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen denke, sieht die Situation gleich anders aus“, so eine Direktorin gegenüber noe.ORF.at.

Abstandsmarkierung
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Wie viel ein Meter Abstand ist, müssen die Schülerinnen und Schüler erst lernen

Auch in der Sonderschule in St. Christophen (Bezirk St. Pölten) erwarte man den Montag „mit Spannung“, so Schulleiterin Gertraud Bauer-Fitz. „Wir werden natürlich versuchen, im Unterricht so weit wie möglich Abstand zu halten. Immer wird das aber nicht möglich sein, weil manche Kinder den direkten Kontakt und das Nebeneinander-Arbeiten oder Nebeneinander-Hergehen brauchen.“

Um Gruppenbildungen zu vermeiden und die Ansteckungsquellen durch mangelnden Abstand möglichst zu minimieren, entschloss man sich in der Sonderschule Ollern (Bezirk Tulln) beispielsweise dazu, Spielsachen weitestgehend wegzuräumen. Die Spielecken, in denen vor zwei Monaten noch Bausteine oder Tierfiguren zur Verfügung standen, sind jetzt leer. Außerdem setzen die Pädagoginnen in den nächsten Wochen ausschließlich auf Materialien, die sich nach dem Gebrauch desinfizieren lassen. Anders sieht die Situation in St. Christophen aus, wo Spielzeug nach wie vor in den Klassen zu finden sein werden.

Änderungen im Sonderschulbereich besonders heikel

Die Eltern seien über die Änderungen im Vorfeld informiert und dazu angehalten worden, mit den Kindern etwa das Tragen von Schutzmasken zu üben und auch die Neuerungen in der Schule gemeinsam zu besprechen, so Helga Diensthuber, Direktorin der Sonderschule Ollern. Weil ein großer Teil der Kinder mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen aber mitunter große Schwierigkeiten hat, sich auf Änderungen einzustellen, stellt sich Diensthuber besonders zu Beginn auf Irritationen und Konflikte ein. „Die Schüler kommen zurück, und die Schule wird nicht mehr die Schule sein, die sie kennen. Ich bin mir nicht so sicher, ob das den Kindern so bewusst ist wie uns.“

Zwar ist Diensthuber wie die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen optimistisch, dass viele Änderungen auch klappen können, was es in den Sonderschulen dazu aber speziell brauchen werde, ist Zeit. In der ersten Schulwoche rechnet sie in nicht mit „Schultagen“. Erst ginge es darum, die Änderungen mit den Kindern zu besprechen und „zu trainieren, damit das wirklich klappt mit dem Abstand oder Händewaschen. Damit haben wir vorerst genug Aufgaben. Das Lernen wird dabei nicht im Vordergrund stehen.“

Rollstuhl
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Der Schulweg ist für viele Kinder der Sonderschulen besonders aufwendig zu planen

Maskenpflicht und neu geplanter Transport zur Schule

Das Tragen der Schutzmasken ist ein weiterer Punkt, der mancher Lehrperson noch Kopfzerbrechen bereitet – nicht nur in der Frage, ob die Kinder die Masken tragen. Auch bei den Lehrkräften seien Gesichtsschilder „praktikabler“, sind sich viele einig. „Besonders im Sonderschulbereich müssen die Kinder auch den Mund und die gesamte Mimik sehen können“, erklärte Bauer-Fitz. Je nach Ausprägung der Behinderung oder Beeinträchtigung sei die Kommunikation mit Maske bei manchen Kindern nicht möglich. Sowohl in Ollern als auch in St. Christophen wurden bereits Gesichtsvisiere für die Lehrpersonen bestellt. Derzeit hofft man noch auf eine rechtzeitige Lieferung bis Montag.

Auch der Schulweg bzw. der Transport zu den Bildungseinrichtungen wird ab kommender Woche teilweise anders vonstattengehen müssen. Weil viele Sonderschulkinder keine öffentlichen Verkehrsmittel benützen können und ein Teil der Kinder mit speziellen Fahrtendiensten transportiert wird, waren die Sonderschulen und Eltern im Vorfeld gefragt, geeignete Lösungen zu finden. Fest steht jedenfalls, dass die kleinen Transportbusse, mit denen viele Schülerinnen und Schüler üblicherweise in die Schule kommen, ab Montag deutlich weniger Kinder mitnehmen dürfen.

Erleichterung bei der Betreuungssituation

Trotz der vielen Änderungen und teilweisen Unklarheit, wie die Kinder mit ihrem neuen Schulalltag zurechtkommen werden, sei ein großer Teil der Eltern froh, dass der Unterricht wieder im Klassenzimmer stattfinde, sagt Diensthuber. „Es sind die Eltern generell sehr zufrieden gewesen mit dem Homelearning. Aber ich merke speziell bei Familien mit Kindern mit erhöhtem Förder- oder Pflegebedarf, dass die Eltern am Limit sind. Sie warten schon, dass wir wieder beginnen und die Kinder in die Schule zurückkehren können.“

Die meisten Sonderschulen starten nur mit einem Teil der Schülerinnen und Schüler. Speziell jene mit schwereren Formen der Beeinträchtigung gehören selbst einer Risikogruppe an und werden vor dem Sommer nicht in die Klassen zurückkehren. „Manche kommen auch erst mit etwas Verspätung Anfang Juni. In diesen Fällen wollen die Eltern erst abwarten, wie sich die Lage entwickelt“, so Bauer-Fitz.