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Wirtschaft

Handel rechnet mit steigenden Firmenpleiten

Das Konsumverhalten war bis zuletzt in vielen Geschäftsbereichen verhalten, speziell im Modehandel. In der Branche rechnet man mit steigenden Firmenpleiten. Als Hoffnungsschimmer sieht man die zuletzt in Kraft getretenen Lockerungen, die wieder mehr Kunden anlocken könnten.

Seit Samstag ist die Zehn-Quadratmeter-Regel in Geschäften gefallen, ab 15. Juni wird die Maskenpflicht beim Einkaufen aufgehoben. Für Kundinnen und Kunden kehren damit viele Freiheiten zurück, die die Einkaufslust wieder heben könnten. Im Handel setzt man in solche Effekte große Hoffnung. Denn mit Ausnahme einzelner Branchen kämpfen seit dem „Lock-down“ viele Unternehmerinnen und Unternehmen nach wie vor um ihre Existenz.

Den Modehandel trafen die Schließungen besonders hart und zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, als die Frühjahrskollektion frisch in den Geschäften angekommen war. Im Modehaus Stift hängen Ende Mai jetzt deutlich mehr Kleidungsstücke als in jedem anderen Jahr um diese Zeit. Statt der Feierlichkeiten zum 200. Firmenjubiläum war das Geschäft für sieben Wochen geschlossen.

Anlasskäufe fehlen im Modehandel

Ein großer Teil der Kollektionen droht heuer zu Ladenhütern zu werden. Die Kundenfrequenz ist nach wie vor zu gering, die Kauflust offenbar noch nicht zurückgekehrt, sagt Modehändlerin Nina Stift: „Das heißt, die Ware ist verderblich und kann einfach nicht verkauft werden über einen gewissen Zeitraum.“

Darüber hinaus fehlen der Branche die sonst ab April wichtigen Anlasskäufe: Kleider, Anzüge oder Trachtenware für Hochzeiten, Maturafeiern oder Taufen finden heuer kaum Absatz. „Normalerweise sind das unsere Umsatzbringer. Heuer fallen sie komplett weg“, sagt Stift. Aus diesem Grund befindet sich in ihrem Modehaus – wie in vielen anderen Geschäften auch – ein Großteil des Personals nach wie vor in Kurzarbeit.

Modegeschäft
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Die Einkaufslust nach neuer Mode ist noch verhalten, viele Kleidungsstücke werden mit jedem Tag schwerer verkaufbar

Nina Stift, die Mitte Mai auch das Amt als Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Niederösterreich übernahm, fordert für den Handel jetzt weitere staatliche Unterstützung. Während sich die Einkaufslage für Konsumentinnen und Konsumenten zwar immer mehr entspannt, „kommt das dicke Ende für Unternehmen erst“, ist sie überzeugt. „Im September bzw. Oktober sind beispielsweise die gestundeten Steuern oder Krankenkassenbeiträge fällig. Da kommen noch Brocken auf uns zu, die nicht zu stemmen sind. Da muss nachgebessert werden.“

Mehr als jedes dritte Geschäft von Konkurs bedroht

Laut Stifts Einschätzung werde der Handel noch mindestens ein halbes Jahr, in vielen Branchen sogar noch ein ganzes Jahr brauchen, um sich mit Unterstützung zu erholen. Die Hoffnung der Unternehmerinnen und Unternehmer liegt in einem möglicherweise solidarischerem Konsumverhalten, das nun vermehrt die lokalen Geschäfte unterstützt. Andernfalls drohen der Branche spätestens ab Herbst zahlreiche Pleiten, ist Stift überzeugt. Sie spricht von Prognosen, denen zufolge etwa 30 bis 40 Prozent der Geschäfte noch zum Opfer der Coronavirus-Krise werden könnten.

Sollte dies eintreffen, könnte sich das Bild mancher Innenstädte verändern. „Wie es aussieht, wenn der heimische Handel zu hat und Geschäfte geschlossen sind, haben wir in den letzten Wochen gesehen und ich hoffe, dass die Konsumentinnen und Konsumenten das verhindern werden“, hofft Stift. In Bezirksstädten sei das Bewusstsein für regionale Einkäufe Stift zufolge höher als in Großstädten, die zudem stark vom Tourismus abhängig sind.

Bewusstsein für Regionalität in der Krise gestiegen

Einer Untersuchung der Johannes Kepler Universität Linz zufolge sei in der Krise das Bewusstsein für regionale Produkte und lokale Einkäufe gestiegen. Im Lebensmittelhandel sind der Studie zufolge für 44 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten regionale Waren wichtiger geworden, auch die regionale Herkunft für 41 Prozent der Befragten. Auch bei Online-Einkäufen sei die Unterstützung eines österreichischen Anbieters für 33 Prozent der Menschen wichtiger als vor der Krise.

Fahrradhandel
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Fahrradhändler Rene Voch fehlen die Umsätze eines Monats. Seitdem er wieder geöffnet haben darf, läuft das Geschäft wieder

Handel hatte auch Krisengewinner

Während der Krise gab es im Handel allerdings nicht ausschließlich Verlierer. Eine Branche, die zu keinem Zeitpunkt über Umsatzeinbrüche klagen konnte, ist der Lebensmittelhandel. Für etwa eine Woche sah er sich sogar mit Hamsterkäufer konfrontiert. Auch in den Wochen darauf erzielten die Lebensmittelgeschäfte großteils besonders hohe Umsätze.

Nachdem die Menschen schlagartig mehr zu Hause waren und zudem die Gastronomie geschlossen war, hatten die Angestellten im Lebensmittelhandel über Wochen besonders viel zu tun. In den Großlagern mancher Supermärkte war sogar das österreichische Bundesheer unterstützend im Einsatz. Selbst in vielen kleineren Einzelhandelsgeschäften war Unterstützung nötig. In einem Bioladen in Tulln etwa war nach dem „Lock-down“ Verstärkung gefragt. Inhaberin Christiane Wegger stellte kurzerhand zwei ehemalige Ferialpraktikantinnen ein, die auch heute noch neben 16 weiteren Angestellten im Geschäft beschäftigt sind.

Auch der Sporthandel erzielte in weiten Teilen gute Umsätze. Fahrradhändler Rene Voch etwa, der sein Geschäft nur einen Steinwurf vom Tullner Bioladen entfernt betreibt, musste sein Geschäft zwar auch für etwa einen Monat schließen, die Kunden kamen aber bereits am Tag der Wiedereröffnung. „Wir haben aufgesperrt und am ersten Tag ist es gleich voll losgegangen“, erzählt er. Seither läuft sowohl das Verkaufs- als auch das Reparaturgeschäft gut. Gerade durch die Krise seien Voch zufolge Menschen zu mehr Bewegung motiviert worden. Im flachen Tullnerfeld entdeckten viele das Fahrradfahren wieder für sich. Ob Kinderrad, E-Bike oder Rennrad – Voch kann über mangelnde Beschäftigung nicht klagen.