Sonntagabend, innerhalb von nur 15 Minuten, führten heftige Niederschläge im Most- und Waldviertel zu zahlreichen Überflutungen. Straßen verwandelten sich in reißende Flüsse, ganze Ortsteile standen unter Wasser. Viele Bewohner wurden von den Wassermassen überrascht, so wie Andreas Lohr aus Inning (Bezirk Melk): „Ich hatte kurz zuvor mein Motorrad in der Garage abgestellt, dann ist ein Gewitter gekommen, und zehn Minuten später war der Keller schon bis auf 1,50 Meter mit Wasser voll.“ Die Feuerwehren mussten Dutzende Keller auspumpen.
Im Waldviertel hatten einige freiwillige Helfer ein Deja-vu, denn schon am Vortag hatten Sturmböen, Starkregen und bis zu drei Zentimeter dicke Hagelkörner im Bezirk Waidhofen an der Thaya für schwere Schäden gesorgt. Felder wurden teilweise weggespült, die Ernte zerstört. Zwei Landesstraßen mussten zudem gesperrt werden, weil Schlamm und Geröll die Fahrbahn vermurt hatten. Im Bezirk Baden deckte wiederum ein Tornado mehrere Dächer ab und entwurzelte Bäume. In der Landwirtschaft entstand laut Hagelversicherung ein Millionenschaden.
1.100 Feuerwehrleute im Einsatz: „Stärkste Unwetter seit Langem“
Vergangenes Wochenende sind über Niederösterreich heftige Unwetter niedergegangen. Mehr als 1.100 Feuerwehrleute standen im Einsatz, um Wasser- und Schlammmassen zu beseitigen.
Gewitterarmer Saisonstart
Der Grund für solche lokale, aber sehr heftige Unwetter ist laut Klimaforschern der Klimawandel – auch wenn es heuer bisher ungewöhnlich wenige Gewitter gab. Bis Anfang Juni registrierte das Österreichische Blitzortungssystem ALDIS nur etwa 7.000 Blitzeinschläge in Österreich. Im Jahr 2018 gab es zum Vergleich im selben Zeitraum etwa 52.000 Blitzeinschläge. Eine Untersuchung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) zeigt jedoch eine Zunahme des Unwetterrisikos. Und die Unwetter werden stärker.
Durch die wärmere Luft könnten Wolken etwa mehr Wasserdampf aufnehmen, sagt ZAMG-Experte Georg Pistotnik – mit jedem weiteren Grad um sieben Prozent – wodurch die Niederschläge intensiver werden. Die Kondensation von Wasserdampf setzt zudem große Energiemengen frei, die den Auftrieb in Gewitterwolken verstärken. Und durch die abnehmenden Temperaturunterschiede zwischen Äquator und Nordpol schwächen sich die Winde in der Atmosphäre ab, die Gewitterwolken ziehen also nicht so schnell weiter.
Gewitterrisiko steigt
Um langfristige Änderungen in der Zahl von Gewittern und Unwettern zu analysieren, werden in einem derzeit an der ZAMG laufenden Projekt die Wetterlagen der letzten Jahrzehnte in Europa analysiert. Ein erstes Ergebnis: In den 1980er und 1990er Jahren blieb die Zahl der Wetterlagen mit Unwetterpotenzial in Europa noch relativ ähnlich. Seit den 2000er Jahren zeigt sich in Österreich eine Zunahme des Gewitterpotenzials von etwa 20 Prozent – wobei nicht jede gewitteranfällige Wetterlage auch tatsächlich Gewitter auslöst.
Der Klimaexperte stellte jedoch fest, dass die Feuchtigkeit aus dem Boden bei der Gewitterbildung eine erhebliche Rolle spielt: „Sind die Böden bereits feucht, steigt die Neigung zur Bildung von Regenschauern und Gewittern. Gerade bei Wetterlagen mit geringen Luftdruckgegensätzen reagieren Sommergewitter sehr deutlich auf die lokale Verdunstung.“ Solange dieses Muster nicht durch eine andere Wetterlage nachhaltig unterbrochen werde, könnten sich feuchte Wetterphasen – genauso wie trockene bei wenig Niederschlag – selbst verstärken und verlängern, sagt Klimaforscher Pistotnik.
Bodenversiegelung erhöht Schäden
Laut Pistotnik muss aber zwischen dem meteorologischen Risiko und den Auswirkungen und Schäden unterschieden werden: „Denn die zunehmende Versiegelung von Flächen und die Verdichtung des Bodens in landwirtschaftlichen Nutzflächen erhöhen den Anteil des Wassers, der sofort oberflächlich abfließt.“ Und die öffentliche Wahrnehmung derartiger Ereignisse sei höher als früher, sagt der Klimaforscher, „da mittels Smartphone binnen Sekunden Fotos und Videos in Sozialen Netzwerken geteilt und von den Medien aufgegriffen werden.“
In den nächsten Tagen erwarten Meteorologen jedenfalls eine flache Druckverteilung mit warmer, schwüler Luft aus dem Osten. Diese Großwetterlage sei prädestiniert für Gewitter und dürfte für zumindest eine Woche anhalten. Dabei steigt auch die Gefahr von Überflutungen und Murenabgängen, vor allem in Regionen, die bereits von Gewittern betroffen waren: Einerseits kann der Boden weniger Wasser aufnehmen, andererseits fördert verdunstendes Wasser die neuerliche Bildung von Wolken und Regen.