Franz Kolland und Eva Steinkellner
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„Ganz persönlich“

Franz Kolland: „Corona hat uns alt gemacht“

Der Altersforscher Franz Kolland von der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems sagt, dass die Coronavirus-Krise ältere Menschen mitunter viel älter gemacht hat, als sie sind.

Franz Kolland, Jahrgang 1954, ist seit zwei Jahren Leiter des Zentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der quantitativen Soziologie und der sozialen Gerontologie mit dem Fokus auf Bildungs- und Kulturforschung im Alter, Gesundheit und Pflegeversorgung, ältere Beschäftigte und neue Technologien. Seine Bilanz nach vier Jahrzehnten Beschäftigung mit dem Alter: Die Gesellschaft habe noch nicht begriffen, dass wir immer älter werden.

noe.ORF.at: Herr Kolland, Sie sind Experte für das Alter. Wie geht es Ihnen persönlich mit dem Älterwerden?

Franz Kolland: Sehr gut, weil ich Forscher aus Leidenschaft bin und aktuell sehr viele Forschungsanfragen habe. Das Alter ist ein wichtiges Thema geworden. Die Älteren sind in der Coronakrise als Risikomenschen eingestuft worden, social distancing ist ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft geworden. Insgesamt ist kaum eine andere Gruppe so stark adressiert worden wie die ältere Generation. Da gibt es viele Unsicherheiten, wie man mit dieser Gruppe umgehen soll.

noe.ORF.at: Soll die Politik Ältere stärker isolieren? Es gibt ja Modelle, die zeigen, dass eine stärkere Isolation die Fallzahlen senken würde.

Kolland: Als Altersforscher habe ich da erhebliche Bedenken. Grundsätzlich ist es gut, dass dieser Schutz angeboten wird, und die Mehrheit der älteren Menschen steht dem auch positiv gegenüber. Aber es hat auch gleichzeitig zu Einschränkungen geführt, die gar nicht notwendig waren. Denn es war nicht verboten, rauszugehen und sich im öffentlichen Raum zu bewegen. Diese starke Ansage, dass alte Menschen zu Hause bleiben sollen, hat bei einigen jedoch zu einer „Übervorsicht“ geführt. Wir wissen aber, dass Bewegung im Alter besonders wichtig ist.

noe.ORF.at: Haben ältere Menschen das Gefühl bekommen, zum „alten Eisen“ zu gehören?

Kolland: Ja, ganz sicher. Studien zeigen, dass wir uns jünger fühlen, je älter wir werden. Je älter wir werden, desto größer wird die Distanz zum Kalenderalter. Corona hat die Menschen älter gemacht. Das kann man nicht verallgemeinern, aber gerade bei Menschen, die ängstlich sind und zu Depressionen neigen, tritt das besonders zutage, und das ist nicht gut.

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Franz Kolland im „NÖ heute“-Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein: „Was in dieser Krise auffällig ist, ist die hohe Solidarität der Jüngeren mit den Älteren“

noe.ORF.at: Rechnen Sie damit, dass sich ein Generationenkonflikt entwickeln könnte? Alt gegen jung? Denn es gibt Stimmen, die meinen, die Jungen müssen die wirtschaftlichen Folgen dieser Krise schultern, während die ältere Generation nicht so stark betroffen ist.

Kolland: Nein, das sehe ich nicht. Denn was in dieser Krise auffällig ist, ist die hohe Solidarität der Jüngeren mit den Älteren. Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass der Transfer grundsätzlich von den Älteren zu den Jungen verläuft, das betrifft zum Bespiel Geld oder auch Zeit für die Enkelkinder, damit die Eltern arbeiten gehen können. Nur weil es jetzt eine Phase gibt, in der Jüngere Ältere etwa mit Lebensmittel versorgen oder mit ihnen telefonieren, sehe ich keinen Generationenkonflikt entstehen.

noe.ORF.at: Finden Sie, dass eine stärkere Isolation notwendig ist?

Kolland: Das kann man nicht verallgemeinern. Es gibt eine große Gruppe von alten Menschen, die keine Vorerkrankung haben und wahrscheinlich fitter sind als so mancher 40-Jähriger. Dieses „wir“ und „sie“ ist für eine Gesellschaft nicht günstig, denn das fördert die Altersfeindlichkeit und die Stereotypen. Und das ist nicht gut für den Zusammenhalt.

noe.ORF.at: Wie schaut die Zukunft des Alterns aus?

Kolland: Wir sehen ja schon jetzt eine neue Kultur des Alters. Wir sehen zum Beispiel Ältere, die sich sehr stark in der Freiwilligenkultur beschäftigen, sie sind ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Wir müssen aufhören, Langlebigkeit als Last zu sehen, als Krankheit. Dieses Bild des alten Menschen, der auf der Parkbank sitzt und ins Weite schaut, das ist ein Bild von gestern. Das Bild der Zukunft ist das der sozialen Teilhabe von alten Menschen, auch etwa, was die digitale Welt betrifft, die viele alte Menschen für sich entdecken.

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„Wir sind nun mal in einer Gesellschaft mit vielen alten Menschen. Das hat die Gesellschaft aber noch nicht begriffen“, sagt Franz Kolland, Leiter des Zentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität in Krems

noe.ORF.at: Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, dass man sich im Alter oft viel jünger fühlt als man eigentlich ist. Ist das wirklich nur positiv oder nicht auch ein Druck, ständig jugendlich zu sein?

Kolland: Grundsätzlich ist es ein positiver Effekt, dass ich mich auch im Alter mit mir selbst beschäftige und auf mich schaue. Das ist günstig, weil ich in Bewegung bleibe. Der Nachteil ist, dass das Alter verdrängt wird. Ich kann aber auch Alter leben, ohne dass ich mich auf jung schminke oder Schönheits-OPs durchführe.

Das Alter könnte ein neuer Abschnitt sein, der mehr Gelassenheit und Entschleunigung bringt. Ich bemerke aber zunehmend eine sogenannte Geschäftigkeitsethik. Man wird noch schneller, hat einen vollen Terminkalender und ein schlechtes Gewissen, wenn man nicht dauerbeschäftigt ist. Da möchte ich vielen den Rat geben, einfach mal leerer zu sein. Auch eine gewisse Selbstironie zu entwickeln, nicht so leben, wie ich mit 50 gelebt habe und dieses Alter quasi einfrieren, sondern auf der Suche nach Neuem zu bleiben.

noe.ORF.at: Gelingt Ihnen das?

Kolland: Ja, ich versuche es. Ich arbeite an Forschungsprojekten, die in das Jahr 2026 reichen – da habe ich mich natürlich gefragt: Kann ich das, darf ich das, weil ich dann über 70 bin. Aber so können wir Zukunft ja nicht denken. Das Leben ist immer ein Entwurf, der endet nie, erst wenn wir sterben.

noe.ORF.at: Sie beschäftigen sich bereits seit vier Jahrzehnten mit dem Alter. Woher kommt das Interesse?

Kolland: Es gibt da auch einen persönlichen Hintergrund. Ich habe keine Großeltern erlebt. Als ich – als junger Mann – mit der Altersforschung begonnen habe, habe ich viele Interviews mit alten Menschen gemacht. Das war für mich so berührend, da kam etwas zum Vorschein, was ich nicht hatte. Außerdem war es für mich immer ein Gewinn, etwas zu erfahren. Die Altersforschung bietet so viele Felder, alt werden ist ja eine große Herausforderung.

noe.ORF.at: Man weiß, dass die Gesellschaft immer älter wird, Niederösterreich ist keine Ausnahme. Was bedeutet das für die Gesellschaft?

Kolland: Es braucht ein Umdenken in der Politik. In Japan geschieht das schon. Da versucht man die community, die Gemeinschaft zu stärken. Man investiert in die Infrastruktur und versucht Straßen und Radwege so zu gestalten, dass sich alte Menschen wohlfühlen können. Wir sind nun mal in einer Gesellschaft mit vielen alten Menschen. Das hat die Gesellschaft aber noch nicht begriffen.