Chronik

Bluttat: Opfer mehrfach vorbestraft

Der am Samstag in Gerasdorf bei Wien (Bezirk Korneuburg) erschossene Mamichan U. war mehrfach vorbestraft. Er wurde u. a. wegen Schlepperei und falscher Zeugenaussage verurteilt. Die beiden festgenommenen Verdächtigen schwiegen weiterhin.

Für die Polizei sei die Motivlage weiterhin offen, sagte Roland Scherscher, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Niederösterreich, am Montag. Es könnte eine politische Handlung ebenso vorliegen wie etwa ein Streit, sagte Scherscher. Er bestätigte, dass das Opfer an der B7 in Gerasdorf von mehreren Schüssen getroffen worden war. Die Festnahme des mutmaßlichen Schützen Samstagabend in Linz unter Mitwirkung des EKO Cobra lobte Scherscher ausdrücklich.

Über die Beschuldigten, neben dem 47-Jährigen auch ein zunächst als Zeuge geführter 37-Jähriger, ebenfalls aus der tschetschenischen Community, so Friedrich Köhl von der Staatsanwaltschaft Korneuburg, wurde noch am Wochenende die U-Haft verhängt. Ein Ergebnis der von der Anklagebehörde angeordneten Obduktion des Opfers lag dem Sprecher zufolge am Montagvormittag noch nicht vor.

Tatort Gerasdorf
ORF/Rohrhofer
In diesem Hinterhof in Gerasdorf bei Wien wurde der Tschetschene in seinem Auto erschossen aufgefunden

Unterdessen wurde bekannt, dass das Opfer mehrfach vorbestraft war. Zuletzt hatte er bis Spätsommer 2019 eine Freiheitsstrafe verbüßt, aus der er Anfang September bedingt entlassen wurde. Der mutmaßliche Schütze ist laut Polizei auch kein unbeschriebenes Blatt. Er war in Ansfelden (Bezirk Linz-Land) gemeldet, wo nach seiner Festnahme eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde. Ob dabei Beweismaterial sichergestellt wurde, das in Richtung eines Auftragsmordes deuten könnte, ist unklar.

Bluttat in Gerasdorf: Opfer mehrfach vorbestraft

43-Jähriger lehnte Personenschutz ab

Gesprächspartner aus der bzw. mit Bezug zur tschetschenischen Community in Wien berichteten gegenüber der APA zudem, dass auf Mamichan U. alias Martin B. ein Kopfgeld ausgesetzt war. Es sei unter Tschetschenen ein offenes Geheimnis gewesen, dass sich der 43-Jährige mit seinem Videoblog in Lebensgefahr gebracht hatte. Seit April hatte der tschetschenische Ex-Polizist, der seit 2007 als anerkannter Konventionsflüchtling in Österreich lebte, auf seinem YouTube-Kanal insgesamt 29 Videos veröffentlicht, in denen er sich kritisch mit der Führung der russischen Teilrepublik Tschetschenien auseinandersetzte.

Insbesondere den Regionalpräsidenten Ramsan Kadyrow und dessen Familie soll B. beschimpft und teilweise wüst beleidigt haben. „Es war klar, dass das auf Dauer nicht gutgehen konnte“, sagte ein Insider. In tschetschenischen Kreisen habe es bereits Berichte über konkrete, gegen den Regimekritiker gerichtete Mordaufträge gegeben. Auch Summen sollen in diesem Zusammenhang genannt worden sein.

Der Mann sei deshalb als gefährdet eingestuft gewesen, sagte Friedrich Köhl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Korneuburg, am Montag gegenüber noe.ORF.at. „Die Polizei hat deshalb seine Wohnung überwacht, um ihn zu schützen. Personenschutz hat das Opfer allerdings abgelehnt.“

Verdächtiger kam mit Opfer zum Tatort

Die Brisanz des Mordfalls zeigt sich auch daran, dass der mutmaßliche Schütze und der zweite Verdächtige nicht von Rechtsanwälten vertreten werden, die in Justizkreisen bekannt dafür sind, dass sie russischstämmige bzw. tschetschenische Beschuldigte vertreten. Die Sache sei „zu heikel“, meinte einer von ihnen auf APA-Anfrage nach einem möglichen Mandat.

Die Staatsanwaltschaft Korneuburg bestätigte unterdessen am Montag einen Bericht der „Kronen Zeitung“ (Onlineausgabe), wonach der zweite Festgenommene gemeinsam mit dem Opfer zum Tatort gekommen war. „Es besteht der Verdacht, dass er auch an der Tat beteiligt ist“, sagte Köhl in Bezug auf den Beschuldigten. Dass es sich bei dem Beschuldigten um einen mutmaßlichen Bodyguard handelte, bestätigte Köhl nicht. Ob es bei dessen Waffe eine Ladehemmung gegeben habe, ließ Köhl ebenfalls offen: „Der Schießsachverständige schaut sich die Waffen noch an.“

Iskhanov: Politmorde in Europa beenden

Die im Exil lebenden Tschetschenen sorgen sich nun um ihre Sicherheit und fordern Aufklärung. Viele Emigranten der zu Russland gehörenden Kaukasus-Republik Tschetschenien, die nun in Westeuropa leben, flüchteten vor allem wegen des Machthabers Ramsan Kadyrow. Als Reaktion auf die Ermordung des gebürtigen Tschetschenen Martin B. kündigten Exiltschetschenen für Dienstagnachmittag eine Demonstration vor der russischen Botschaft in Wien an. „Wir versuchen, auf diesen Mord zu reagieren“, sagte Khuseyn Iskhanov, ein führender tschetschenischer Exilpolitiker in Österreich.

Festnahme in Linz
laumat.at/Matthias Lauber
Der mutmaßliche Täter wurde noch in der Nacht in Linz verhaftet

Mit der Demonstration wende man sich auch an den österreichischen Staat. „Von den hiesigen Behörden fordern wir, dieses Verbrechen aufzuklären“, ergänzte Iskhanov und brachte zum Ausdruck, dass er den Fall als politischen Auftragsmord unter Beteiligung russischer Geheimdienste und ihrer Agentennetzwerke sehe. Das Todesopfer hatte zuletzt in im Internet veröffentlichten Videos die tschetschenische Führung kritisiert und beschimpft.

Von Russland fordere man, Politmorde an tschetschenischen Flüchtlingen in Europa zu beenden, sagte der Exilpolitiker. Iskhanov leitet in Österreich den Kulturvereins Ichkeria. 2009 war der Anhänger einer tschetschenischen Eigenstaatlichkeit einer jener Aktivisten gewesen, die nach der Ermordung von Umar Israilow in Wien demonstriert hatten.

Nehammer: „Dulden Gewaltakte in unserem Land nicht“

Am Montag bezog Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) Stellung zu der Bluttat in Gerasdorf. In einer Aussendung sagte er: „Wir dulden Gewaltakte in unserem Land nicht. Derzeit wird intensiv ermittelt, wer die Hintermänner dieses Mordes sind."

Es brauche volle Aufklärung, so Nehammer, denn viel zu oft würden ausländische Konflikte nach Österreich hinein getragen werden. Dafür habe der Innenminister „null Toleranz“. Gewaltbereite oder radikale Gruppen, „die egal aus welchem Motiv den Rechtsstaat mit Füßen treten, werden entschieden in die Schranken gewiesen. Parallelgesellschaften haben in unserem Land keinen Platz und werden mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft“, so der Innenminister am Montag.

FPÖ kritisiert WEGA-Einsatz vor Wohnung

Heftige Kritik am Einsatz der WEGA, die die Wohnung des Opfers bewacht hatte, kam von der FPÖ. Man wolle sich mit Vehemenz für die Aufklärung der Hintergründe der Tat einsetzen, will aber auch die Arbeit der Sicherheitsbehörden und die Kosten dafür ins Visier nehmen, so ein Sprecher der FPÖ am Montagabend.