62-jähriger Bankberater bei Mordprozess vor Gericht
APA/CHRISTOPHER ECKL
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Chronik

Mordprozess: Banker mit Erinnerungslücken

Am Dienstag musste sich ein Bankberater in Wiener Neustadt vor Gericht verantworten, weil er im September 2019 in Edlitz (Bezirk Neunkirchen) eine 86-jährige Kundin getötet haben soll. Der 62-jährige Angeklagte bekannte sich schuldig.

Der Jurist, ein österreichischer Staatsbürger, hatte die 86-Jährige seit mehr als 30 Jahren in finanziellen Angelegenheiten betreut. Dabei veranlagte der dreifache Familienvater das Vermögen der Seniorin in Höhe von rund 700.000 Euro. Zwei- bis dreimal pro Jahr trafen die beiden einander, um die finanziellen Geschäfte zu besprechen.

Im Vorjahr wünschte die Pensionistin schließlich eine Transferierung und Zusammenlegung ihrer Wiener Bankkonten auf ein Geldinstitut in ihrer Nähe. Dieser Wunsch ließ den 62-Jährigen laut Anklage unter Druck geraten. Der Grund: Der Berater hatte die betagte Frau über ihre Geldgeschäfte falsch informiert und ihr der Anklagebehörde zufolge über Jahre hinweg entstandene Spekulationsverluste bewusst verschwiegen. „Er begründet dies damit, dass die Frau sehr echauffiert war, als er ihr erste Verluste mitgeteilt hat“, sagte der Staatsanwalt im Rahmen des Eröffnungsvortrags.

Mord hätte wie ein tödlicher Unfall aussehen sollen

Um seinen Ruf zu wahren, soll der Beschuldigte einen Plan geschmiedet haben. Er wollte die 86-Jährige in ihrem eigenen Haus mit einem Sparstrumpf bewusstlos schlagen, die Kellerstufen hinunterstoßen und dort den Kopf der Frau fest gegen eine Stufenkante schlagen. Alles sollte wie ein tödlicher Unfall aussehen.

Dazu stahl er einen Hausschlüssel der Seniorin und befüllte einen eigenen Socken mit Münzen. Mit diesen Utensilien ging der Beschuldigte mehrmals zu Beratungsgesprächen mit der Pensionistin, um sie von ihrem Geldtransfer abzubringen. Obwohl dies nicht gelang, ließ er laut Anklage zunächst von seinen Tötungsplänen ab – bis zum 16. September. An diesem Tag kaufte der 62-Jährige Frischhaltefolie und Einweghandschuhe, mietete ein Auto und fuhr zum Haus seiner Kundin. Mit dem Vorwand, die Toilette benutzen zu wollen, verschaffte sich der Mann dort Zutritt. Im Gebäude erwähnte der Banker der Seniorin gegenüber erstmals die massiven Verluste, die er mit seinen Geschäften verursacht hatte. „Von den 700.000 Euro waren nur mehr 100.000 Euro übrig“, rechnete der Staatsanwalt vor. Die 86-Jährige reagierte erbost.

Es entwickelte sich ein lautstarker Streit, den ein Nachbar mitbekam. Obwohl dieser an der Tür des Hauses der Pensionistin klopfte, zog der Angeklagte den Sparstrumpf aus der Tasche und schlug laut Anklage zehnmal gegen den Kopf der betagten Frau. Entgegen dem Tatplan wurde die Attackierte aber nicht ohnmächtig, sondern war nur benommen und meinte: „Was tun Sie?“ Mit der mitgebrachten Frischhaltefolie versuchte der Beschuldigte daraufhin, die 86-Jährige zu ersticken. Die Seniorin wehrte sich so heftig, dass er schlussendlich erst durch festes Zudrücken von Nase und Mund mit seinen Händen den Tod hervorrief.

Mann flüchtete durchs Fenster

Durch das Wohnzimmerfenster ergriff der Mann danach die Flucht. Er beschloss, Suizid zu begehen und sprang auf der Südautobahn (A2) vor einen Lkw. Den Zusammenstoß überlebte der Beschuldigte schwer verletzt.

Astrid Wagner, die den Banker gemeinsam mit Wolfgang Blaschitz verteidigt, sprach davon, dass die Ursache für die Tat rund 25 Jahre zurückliege. Es habe damals durch den Beschuldigten verursachte Fehlveranlagungen gegeben, Teile des Vermögens der 86-Jährigen seien verloren gegangen. „Er hat sich nicht getraut, ihr das zu sagen. Das war der Anfang dieser Lebenslüge“, sagte die Rechtsanwältin. Mit Umschichtungen habe ihr Mandant versucht, den Schaden wettzumachen. Dies sei teilweise gelungen, bis es „am Aktienmarkt wieder runter“ gegangen sei.

„Gehofft, irgendwie wird’s schon gehen“

„Ich habe immer gehofft, irgendwie wird’s schon gehen“, sagte der Beschuldigte vor Gericht zu den verschwiegenen finanziellen Verlusten der Seniorin. In Bezug auf das Tatgeschehen offenbarte der Jurist größere Erinnerungslücken. Er könne sich etwa nicht mehr daran erinnern, wie oft er ihr auf den Kopf geschlagen habe, „ein Bild habe ich noch, wo sie am Türstock so runterrutscht“, sagte der Jurist. Nach der Attacke sei völlige Stille gewesen, danach seien in ihm bereits zuvor gehegte Suizidgedanken hochgekommen.

„Wie kommt man auf die Idee, jemandem mit einem Sparstrumpf erschlagen zu wollen – noch dazu als Banker?“, fragte die vorsitzende Richterin. „Ich weiß es nicht, wahrscheinlich habe ich das irgendwo gelesen. Ich schäme mich“, entgegnete der 62-Jährige.

Banker sorgte sich um seinen Ruf in Finanzwelt

Ein großes Thema im Rahmen der Einvernahme des Angeklagten war die Geschäftsbeziehung zum späteren Todesopfer. Nach anfänglichen „schönen Entwicklungen“ am Geldmarkt habe es bei einer „aggressiven, aber durchaus vertretbaren“ Aktienveranlagung Verluste von 25.000 Euro gegeben. Die Reaktion der Frau darauf habe ihn durchaus verblüfft. Geld, das sie unter anderem von ihrem Vater erhalten hatte, sei der 86-Jährigen unglaublich wichtig gewesen. „Da durfte nichts passieren“, sagte der Jurist.

Rund um das Jahr 1999 habe er mit dem anvertrauten Geld der Niederösterreicherin 140.000 Euro Minus gemacht. „Das habe ich ihr verschwiegen“, gab der Bankberater zu. Er habe sich um seinen Ruf in der Finanzwelt gesorgt und gehofft, die Verluste wieder einspielen zu können. Die Ausgangsposition dafür sei aber schwierig gewesen, durch Abhebungen der Frau habe sich das zur Verfügung stehende Kapital nämlich weiter reduziert.

Angeklagter: „Sie hat mir vertraut“

Warum er den Schaden nicht aus dem eigenen Vermögen kompensiert hat, sei eine Frage „die ich mir selbst sehr oft gestellt habe“, gab der 62-Jährige zu Protokoll. Stattdessen habe er der Frau aber weiter falsche Unterlagen und Zahlen präsentiert. Generell habe er sich für die Verluste der Frau „moralisch verantwortlich gefühlt“: „Sie hat mir vertraut.“ Rückblickend hätte er gerade beim Vermögen der 86-Jährigen wohl mehr auf konservative Veranlagung achten sollen, „weil sie allfällige Verluste schwierig verkraftet hat“.

Nachbar im Zeugenstand: „Und dann war Totenstille“

Im Prozess wurde am Nachmittag in Wiener Neustadt der Nachbar der Getöteten als Zeuge befragt. Der 57-Jährige hörte die Attacke auf die Frau mit an, als er am Haus der 86-Jährigen vorbeiging. Er habe ein eigenartiges, nicht zuordenbares Stöhnen und ein Klopfen vernommen – „und dann war Totenstille“, gab der Mann zu Protokoll.

Gemeinsam mit seinem herbeigeholten Sohn klopfte er an zwei Fenstern und an der Tür des Hauses der Frau. „Danach haben wir keine Geräusche mehr gehört“, ergänzte der 23-jährige Sohn im Zeugenstand.

Wenig später sah der Nachbar – bereits wieder auf seinem eigenen Grundstück stehend –, wie eine Person aus dem Fenster des Hauses sprang. „Da war mir klar, da ist etwas passiert“, sagte der 57-Jährige. Danach habe er den Beschuldigten zunächst verfolgt und schließlich die Polizei alarmiert. Ein Urteil in der zweitägigen Geschworenenverhandlung wird für den 28. Juli erwartet.