Rudolf Buchbinder mit Eva Steinkellner-Klein in der Rubrik „Ganz persönlich“
ORF
ORF
„Ganz persönlich“

Buchbinder: Kein Gedanke an Grafenegg-Absage

Er ist eine Legende am Klavier: Rudolf Buchbinder. Der 73-Jährige tritt auch heuer wieder beim Grafenegg Festival auf, das am Freitag beginnt, coronavirusbedingt freilich unter geänderten Umständen, aber mit vielen prominenten Künstlerinnen und Künstlern.

noe.ORF.at: Herr Buchbinder, heuer mussten viele Festivals abgesagt werden. Haben Sie befürchtet, dass auch Grafenegg abgesagt werden muss?

Rudolf Buchbinder: Dieser Gedanke ist niemandem gekommen. Wir waren der festen Überzeugung, dass Grafenegg stattfinden muss. Wir haben ein sehr gutes Programm auf die Beine gestellt: Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, die Wiener Philharmoniker und viele mehr treten heuer auf. Böse Zungen behaupten, es ist fast besser als das ursprüngliche Programm.

noe.ORF.at: Hat Ihnen die Coronavirus-Krise in die Hände gespielt?

Buchbinder: Ja, einige Künstler hatten mehr Zeit. Wir waren natürlich gezwungen, Künstler zu engagieren, die in Österreich leben oder zumindest nahe Österreich. Wir mussten sämtliche ausländische Orchester ausladen, was mir sehr weh tut, aber es wird alles nachgeholt!

noe.ORF.at: Sie sind schon überall auf der Welt aufgetreten, von New York bis Japan. Im Wiener Musikverein können Sie den Weg von der Garderobe zum Klavierhocker auf der Bühne wahrscheinlich blind gehen, so oft haben Sie schon dort gespielt. Sind Sie eigentlich noch nervös?

Buchbinder: Sie werden es nicht glauben, aber je älter ich werde, desto nervöser werde ich. Ich weiß nicht, wie viele Tausende Konzerte ich schon gespielt habe, aber man setzt sich die Latte immer höher. Die eigenen Erwartungen zu erfüllen, ist das allerschwerste.

Rudolf Buchbinder mit Eva Steinkellner-Klein in der Rubrik „Ganz persönlich“
ORF
Grafenegg abzusagen war nie ein Thema, so Buchbinder. Das „Notprogramm“ profitiere davon, dass viele Künstler mehr Zeit als sonst haben

noe.ORF.at: Wie macht sich diese Nervosität bemerkbar?

Buchbinder: Weil Sie den Musikverein erwähnt haben: Da gibt es einen schmalen Gang auf den Weg zur Bühne, den ich immer mit den Löwen vergleiche, die in die Arena reingehen.

Im Künstlerzimmer ist noch alles eitel Wonne, man ist gut aufgelegt und reißt Witze, dann kommt dieser Gang, und dann werden die Finger eiskalt. Wenn man dann auf die Bühne kommt, dauert es noch eine Weile. Man registriert nicht, wer im Publikum sitzt, man ist im vollkommenen Trancezustand. Die Menschen bemerkt man erst, wenn man die Zugaben spielt.

noe.ORF.at: Sie sind ein gefragter Starpianist. Was bedeutet es für Sie, ganz oben zu sein?

Buchbinder: Ich sage immer, wer glaubt etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden. Das heißt, es gibt immer eine Steigerung. Man lernt ein Leben lang.

noe.ORF.at: Lassen die technischen Fingerfertigkeiten mit den Jahren nach?

Buchbinder: Ich bin ein spezieller Fall, weil ich sehr ökonomisch arbeite. Man kann mir nicht weismachen, dass man sechs Stunden konzentriert arbeiten kann. Wenn ich zwei Stunden am Tag übe, ist das sehr viel, dafür aber sehr intensiv. Daher werde ich im Alter immer besser. Aber es gibt auch Tage, sogar Wochen, wo ich gar nicht spiele.

noe.ORF.at: Wirklich? Vermissen Sie das Spielen dann?

Buchbinder: Das ist dann wie ein Drogenentzug. Das erste Konzert nach so einer langen Pause ist fantastisch. Ich übe auch nicht immer vor einem Konzert. Bei mir gibt es keine Regel. Die einzige Regel ist der Mittagsschlaf vor dem Konzert. (lacht)

Reise durch Grafenegg, Konzertabend
ORF
Rudolf Buchbinder bei der Sommernachtsgala, die heuer als Konzertabend im Fernsehen stattfand

noe.ORF.at: Sie stammen aus einfachen Verhältnissen: geboren 1946 im Nachkriegs-Wien, ohne Vater, Ihre Mutter war arm. Sie haben als Kind am Klavier ihres Onkels zu spielen begonnen. Und Sie waren mit fünf Jahren der jüngste Student an der Musikhochschule in Wien.

Buchbinder: Das war ein gemietetes Klavier, das in unserer kleinen Wohnung gestanden ist, weil mein Bruder Klavierstunden bekommen hat. Dieses Klavier hat mich wie ein Magnet angezogen. Ich habe dann mit fünf Jahren die Aufnahmeprüfung für die Musikhochschule gemacht, ohne Noten lesen zu können, einfach so, auch ohne lesen und schreiben zu können. Bei der Prüfung habe ich einen Schlager gespielt: „Ich möchte dein Herz klopfen hören“, so wie ich ihn im Radio immer gehört habe. Ich war von meinem fünften bis zum elften Lebensjahr in der Vorbereitungsklasse, mit elf bin ich dann in die Meisterklasse gekommen.

noe.ORF.at: Während der Coronavirus-Krise haben Sie im Internet Konzerte gegeben. Glauben Sie, dass Streaming eine Möglichkeit ist, die klassische Musik einem jüngeren Publikum näherzubringen?

Buchbinder: Das kann immer nur ein kleiner Teil sein. Das Live-Erlebnis ist und bleibt das wichtigste. Mein erstes Konzert nach der Coronavirus-Krise habe ich in der Münchner Philharmonie gegeben. Das ist ein Saal für 2.500 Menschen – und dieser Saal war leer. Da haben mich dann viele gefragt, ob mich das stört. Wenn es ein normales Konzert wäre, dann würde es mich stören, aber in so einem Fall nicht. Man lernt damit zu leben.

Aber später gab es zwei Konzerte im Musikverein mit Publikum. Und ich bin bei der Tageskasse vorbeigefahren, die Leute standen Schlange. Das heißt, die Menschen lechzen nach Kultur – das ist, wie wenn man durch die Wüste ohne Wasser geht. Man braucht Wasser in der Wüste, und Kultur zum Leben.

noe.ORF.at: Sie sind ja in Wien noch immer der „Rudi“. Man könnte meinen, dass dieser Spitzname zu einem Starpianisten nicht mehr so richtig passt?

Buchbinder: (lacht) Nein, das stört mich nicht. Der Maxi Böhm hat sich im Alter nur mehr Max Böhm genannt. Mich stört so etwas aber nicht. Ich kann es ja sowieso nicht ändern.