Häuser Risse Sommerein
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Chronik

Klimawandel bedroht ganze Wohnsiedlung

Dutzende Häuser in Sommerein (Bezirk Bruck/Leitha) sind von teils massiven Rissen bedroht. Ein Haus musste bereits abgerissen werden. Schuld daran sind der Boden und der Klimawandel, doch die Versicherungen wollen für den Schaden nicht aufkommen.

„Wir sind eigentlich schon zermürbt, und ich bin schon enttäuscht, wie man mit Menschen und Versicherungsteilnehmern umgeht“, sagt Hausbesitzer Martin Klinger bei einem Lokalaugenschein von noe.ORF.at. Im Sommer 2018 stellte er erste, kleine Risse fest, was ihn aber nicht weiter verwunderte. „Doch plötzlich hat’s dann einen Ruck gemacht, und jetzt schaut es so aus, wie es ausschaut“, schildert Klinger.

Zwei Jahre später erstreckt sich quer über die ganze Hauswand ein mehrere Zentimeter dicker Riss, praktisch jede Hausecke ist beschädigt, im Badezimmer fallen Fliesen von der Wand, an manchen Stellen kann man sogar schon durch die Wand schauen. Und es höre nicht auf, sagt Klinger: „Vor ein paar Wochen war es massiv in der Nacht, es hat geknallt, wir sind mehrere Male erschrocken, weil es so laut war.“ Ein Haarriss kann sich innerhalb von nur wenigen Tagen groß ausdehnen.

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Das Haus von Martin Klinger ist mittlerweile in jedem Raum von Rissen durchsetzt
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An manchen Stellen kann man sogar schon durch die Wand nach draußen schauen
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Fast jede Hausecke ist mit tiefen Rissen durchzogen
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Ob eine Sanierung möglich bzw. sinnvoll ist, kann Martin Klinger gar nicht einschätzen
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Mit einem Spion kontrollieren die Hausbewohner die Entwicklung der Risse
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Im Badezimmer haben sich durch die Risse sogar schon Fließen gelöst
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Ein Haus musste auf Grund der massiven Risse im Sommer abgerissen werden
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Andere Bewohner, die noch nicht so schlimm betroffen sind, versuchen die Schäden notdürftig zu beheben

15 Häuser stark bedroht

Von solchen Rissen ist in der Wohnsiedlung am Ortsrand von Sommerein fast jeder betroffen, der eine mehr, der andere weniger. Ein Haus musste schon abgerissen werden, zwölf bis 15 weitere sind laut Gemeinde massiv bedroht. Für alle Bewohner sei die Situation eine Belastung, erzählt Engelbert Trinko: „Unsere Tochter sitzt im Rollstuhl. Wir haben das Gebäude behindertengerecht gebaut mit dem Vorsatz, dass – wenn wir mal nicht mehr sind – die Tochter das Haus verkaufen kann und damit einen Start in ein selbstständiges Leben hat.“

Doch ohne Sanierung wird ein Verkauf schwierig, weiß auch Bürgermeister Karl Zwierschitz (SPÖ). Laut dem Ortschef habe es aber bis vor zwei Jahren keinerlei Anzeichen für Probleme gegeben, die Häuser stehen alle in normalem Baugebiet: „Wir haben Häuser, die seit 25 Jahren stehen, 24 Jahre davon war nichts, und auf einmal macht es einen Klacks, und die fallen auseinander.“ Sowohl die Bewohner als auch die Gemeindevertreter waren deshalb lange Zeit ratlos.

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In der Wohnhaussiedlung ist mittlerweile fast jeder Bewohner betroffen

Tonminerale führen zu Fundamentrissen

Seit Jahresbeginn kennt man zumindest die Ursache. Eineinhalb Jahre wurden die Schäden bzw. der Boden wissenschaftlich untersucht – mit Sachverständigen, Ziviltechnikern, Statikern, sogar der Boden wurde anhand von Satellitenbildern vermessen. Laut dem Gutachten, das mehr als 600 Seiten umfasst, verursachen Tonminerale im Boden die Risse. „Die haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie je nach Stand des Grundwasserspiegels aufquellen und schrumpfen können“, erklärt Landesgeologe Klemens Grösel.

„Dadurch kommt es zu Hebungen und Setzungen im Untergrund, weshalb das Bauwerksfundament aufgemürbt wird und Risse am Bauwerk entstehen“, sagt Grösel. Der Klimawandel hat diesen Effekt durch den weiter sinkenden Grundwasserspiegel in den vergangenen Jahren noch verstärkt. „Unsere Studien zeigen, dass das zwar ein langsamer Prozess ist und Zeit bleibt, um die Häuser zu sanieren, aber es muss unbedingt gemacht werden“, stellt der Landesgeologe klar.

Bodenbewegung nicht als Katastrophe definiert

Für die Sanierung der Häuser suchte die Gemeinden, die selbst schon eine halbe Million Euro für Gutachten investierte, um Hilfe aus dem Katastrophenfond an. Die Antwort war aber ernüchternd, denn solche Auf- und Abwärtsbewegungen des Bodens sind im Gesetz nicht aufgezählt. Seitliche Erdrutsche sind dagegen als Katastrophe definiert, diese können laut Gutachten zwar nicht ausgeschlossen werden, wurden aber auch nicht ausdrücklich nachgewiesen. Damit sehen aber auch die Haushaltsversicherungen keine Katastrophe und zahlen wenig bis nichts.

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Laut Finanzministerium gelten „Setzungen“ im Boden nicht als Katastrophe, daher gibt es keine Entschädigung aus dem Katastrophenfond

In Sommerein sorgte das für heftigen Unmut. „Wenn es seitlich geht, dann ist es eine Katastrophe, dann ist es förderbar. Wenn es sich aber auf und ab bewegt, ist das Haus zwar genauso hin, aber dann ist es keine Katastrophe. Und alle lehnen sich zurück und sagen: ‚Pech gehabt.‘ Das kann es ja wohl nicht sein“, ist Zwierschitz erzürnt. Die Gemeinde überlegt deshalb die Causa vor das Höchstgericht zu bringen, um einen Präzedenzfall zu schaffen. „Die klimatischen Problemen werden wir weiter haben – in fünf Jahren zerlegt es den nächsten Ortsteil, in zehn Jahren dann das halbe Leithagebirge“, sagt der Ortschef und will für die betroffenen Bewohner Klarheit.

Denn während manche Bewohner noch hoffen, haben viele andere schon aufgegeben. Martin Klinger ist ratlos: „Egal welchen Baumeister man fragt, es möchte sowieso keiner hier etwas angreifen, verständlich. Und ob eine Sanierung möglich ist oder Sinn machen würde, das wage ich ja gar nicht zu sagen.“