Mütter und ihre Kinder nehmen am „Spiele Essen“ teil
ORF, Tschandl
ORF, Tschandl
gesundheit

Kinder-Reha: „Keine kleinen Erwachsenen“

Nicht nur Erwachsene brauchen nach schweren oder bei angeborenen Erkrankungen einen Reha-Aufenthalt, um wieder fit zu werden, auch Kinder und Jugendliche benötigen Therapie. Hilfe finden die Jüngsten seit einem Jahr im Reha-Zentrum kokon in Bad Erlach (Bezirk Wiener Neustadt).

Zu Mittag im Reha-Zentrum kokon: Drei Mütter mit ihren Kleinkindern haben es sich in einem Therapieraum auf dem Fußboden rund um eine Picknickdecke gemütlich gemacht. Es ist Essenszeit für die kleinen Patienten, alle nicht älter als zwei Jahre. Dass dies kein normales Mittagessen ist, zeigt sich schon an der Menüauswahl. Auf der Decke liegen appetitlich in kleinen Schüsseln angerichtet etwa Schokolade, Chips, süße Fruchtaufstriche, Salzstangen und Leberwurst. Nicht die gesündeste Auswahl, aber all das hat einen therapeutischen Hintergrund. Die Kinder lernen hier zu essen, denn das konnten sie aufgrund einer angeborenen Erkrankung bisher nur schlecht.

Kinder lernen in der Therapie das Kauen und Schlucken

Luca ist zwei Jahre alt und wurde mit einer Fehlbildung der Speiseröhre geboren, in der Fachsprache Ösophagusatresie genannt. Im Reha-Zentrum kokon spezialisierte man sich auf genau solche Fälle. „Kinder mit dieser Diagnose werden oft sehr lange künstlich ernährt und kennen kein Schlucken oder Kauen“, erklärte die ärztliche Direktorin des kokon, Anna Maria Cavini. Und so musste auch Luca, der monatelang über eine Sonde ernährt wurde, lernen, wie man isst.

Luca lernt zu essen
ORF
Luca lernt beim Spieleessen die richtige Nahrungsaufnahme

„Mir ist kurz die Luft weggeblieben, als er während der Therapie plötzlich nach einer Semmel verlangt und daran zu knabbern angefangen hat“, erzählt Nadine Lengauer aus Linz, Lucas Mutter. Mittlerweile kann Luca beim sogenannten Spieleessen, das in der Therapie veranstaltet wird, schon zugreifen. Die Wahl fällt auf Erdnussflips und Fruchtpüree, alles was schmeckt ist erlaubt. „Das Spielen mit dem Essen, zu pantschen, in einen Brei hineinzufassen und sich damit vollzuschmieren, das ist bei uns in der Therapie gewünscht“, so Cavini, denn all das bräuchten diese Kinder, um einen gesunden Zugang zum Essen zu erlernen.

Bis vor einem Jahr hätte es für den kleinen Mann in Österreich noch keine Möglichkeit für eine Reha gegeben. Kinder- und Jugendrehabilitatsionszentren sind eine Seltenheit: Fünf gibt es mittlerweile in Österreich, eines in Niederösterreich, nämlich das kokon in Bad Erlach. „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie brauchen spezielle Betreuung und spezielles Personal, das sich um die Therapie kümmert. Auch die Umgebung muss auf Kinder angepasst sein“, unterstreicht die ärztliche Direktorin die Wichtigkeit von speziellen Therapiezentren für Kinder und Jugendliche.

Joseph füttert seine Mama
ORF
Joseph füttert seine Mama beim Spieleessen, auch das hilft in der Therapie

Auch Eltern brauchen Unterstützung

Die Eltern sind ein essenzieller Teil der Therapie, auch sie brauchen Unterstützung in dieser schwierigen Zeit. „Nach der Diagnose und einer anfänglichen Schockphase standen Ängste und Überforderung auf der Tagesordnung. Man möchte zu 100 Prozent für sein Kind da sein und alles richtig machen, der Druck ist enorm", erzählt etwa die Mutter des fast zweijährigen Joseph, Eva Daxbacher aus Ybbs an der Donau (Bezirk Melk), bei dem ebenfalls die Diagnose Ösophagusatresie lautete.

Drei bis fünf Wochen bleiben die Kinder und Jugendlichen stationär im kokon, das man intern als „sicheren Raum zum Wachsen“ bezeichnet. Danach werden die kleinen Patienten wieder in den Alltag entlassen, wo sie weiterhin betreut werden. Dass die Therapie Früchte trägt, darüber sind sich die Eltern einig.

„Luca hat sich seit unserem Aufenthalt im kokon toll entwickelt. Er hat Freude am Essen entwickelt, mittlerweile kann man auch schon von Portionen sprechen. Nudeln mit Sauce isst er sogar mit den Fingern, obwohl er sich total ungern schmutzig macht", erzählt Nadine Lengauer über ihren Sohn. Die Mutter des kleinen Joseph ergänzt: „Mit der Zeit habe ich nicht nur ein gutes Gespür für die Bedürfnisse meines Kindes, sondern auch mehr Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten entwickelt.“