Eva Münker-Kramer im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein
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„Ganz Persönlich“

Traumaexpertin: „Unbeschwertheit ist weg“

Psychotherapeutin Eva Münker-Kramer ist auf Traumabewältigung spezialisiert. Der Anschlag in der Wiener Innenstadt und die Coronavirus-Pandemie stellen ihr zufolge für unsere Psyche eine Doppelbelastung dar. Darunter leidet die Unbeschwertheit.

Unsicherheit und Ungewissheit, Müdigkeit bis Verdrossenheit über verhängte Coronavirus-Maßnahmen, die Angst, selber zu erkranken. All das ist noch nicht genug. Es reiht sich ein weiterer Vorfall in das Jahr 2020. Der Terror erreichte Wien – und mit ihm kamen Angst, Schrecken und Sorge, Entsetzen und Wut.

Die Menschen müssen derzeit vieles verkraften und verarbeiten – eine Doppelbelastung für unsere Psyche, sagt Traumatherapeutin Eva Münker-Kramer im Interview. „Es löst das Gefühl aus, weniger entspannt zu sein. Man hinterfragt die Gesellschaft. Die Unbekümmertheit ist weg“, sagt sie.

noe.ORF.at: Was macht der Terror mit uns?

Eva Münker-Kramer: Er bringt uns aus einem Gefühl der Sicherheit heraus. Ich habe in vielen Gesprächen gehört, dass die Attentate in Paris oder London bisher schon als schlimm erlebt wurden, trotzdem haben wir es hier (in Österreich, Anm.) nicht erwartet, obwohl es theoretisch möglich ist. Das ist etwas, das uns potenziell nachhängen kann, wenn etwas, was sicher war, dann nicht mehr sicher ist. Damit verliert man ein Basisgefühl, das man braucht, um sich wohlzufühlen. Es war natürlich auch ein besonders perfider Angriff im Zusammenhang mit dem neuerlichen Lockdown.

noe.ORF.at: Ist das eine Doppelbelastung für unsere Psyche?

Münker-Kramer: Ja, auf jeden Fall. Gerade an diesem speziellen Abend. Die Menschen waren auf der Straße, weil klar war, dass es der letzte Abend vor dem Lockdown ist. Da ist die Absicht auch so deutlich geworden. Das schafft mehr Bedrohungspotenzial, weil man sich mehr hintergangen fühlt.

noe.ORF.at: Wie kritisch sind in diesem Zusammenhang die sozialen Medien zu sehen? Zum Teil kursierten grenzwertige Videos.

Münker-Kramer: Ich habe auch gleich an diesem Abend eines bekommen, noch bevor ich gewusst habe, was los war. Ich habe mich überhaupt nicht ausgekannt, was das ist. Wenn man sich das dann verdeutlicht, was da passiert ist, dann muss man sagen: Das zu zeigen, ist pietätlos. Denn eigentlich wäre ja der Reflex zu helfen und nicht Videos zu drehen. Die Unmittelbarkeit der Szenen, die Schießerei, das hat uns das alles auch noch viel näher gebracht.

Eva Münker-Kramer im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein
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Eva Münker-Kramer im „NÖ heute“-Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein

noe.ORF.at: Viele sprechen jetzt von einem Gefühl der Ohnmacht, das sie empfinden. Was macht das mit einer Gesellschaft?

Münker-Kramer: Es löst das Gefühl aus, weniger entspannt zu sein. Man hinterfragt die Gesellschaft. Die Unbekümmertheit ist weg. Das hat sich schon in den letzten Monaten während der Pandemie gezeigt, dass man in eine andere Lebensform kommt. Ich meine nicht die Unbekümmertheit einer Spaßgesellschaft, sondern für ganz normale Menschen, die sich jetzt Gedanken und Sorgen machen, die sonst nicht notwendig sind.

noe.ORF.at: Was kann man dagegen machen, wenn man merkt, dass einem das alles zu viel wird?

Münker-Kramer: Wichtig ist, die normale Alltagsstruktur beizubehalten und nicht gebannt auf den Fernseher zu starren. Fernsehen ist auch gleich das nächste Stichwort: Ich würde sogar so weit gehen und sagen, es ist besser Radio zu hören statt Bilder anzuschauen. Denn das ist nicht zu unterschätzen. Man muss versuchen, es sich so weit vom Leib zu halten, dass man informiert bleibt, aber sich nicht mit Details füttert. Wichtig ist auch Gespräche zu führen – auch abseits der besorgniserregenden Themen. Hier kann man seinem Gesprächspartner sagen, dass man nun über etwas anderes reden will.

noe.ORF.at: Was machen Sie eigentlich in solchen Situationen oder Phasen?

Münker-Kramer: Das gleiche. Ich versuche Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich bin auch viel draußen in der Natur. Die Natur ist für mich überhaupt eine der wichtigsten Quellen. Denn dort erneuert sich immer wieder alles und das gibt Zuversicht, dass es weitergeht.

Eva Münker-Kramer
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„Wichtig ist die Alltagsstruktur beizubehalten und nicht gebannt auf den Fernseher zu starren“, so der Tipp der Traumaexpertin, wie man am besten mit diesen herausfordernden Zeiten zurechtkommt

noe.ORF.at: Sie sind Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Traumabewältigung. Wie sind Sie zu diesem Fachgebiet gekommen?

Münker-Kramer: Ich habe vor 22 Jahren angefangen. Nach der Katastrophe von Lassing hatten wir im österreichischen Psychologenverband das Gefühl, die Psychologie hat etwas dazu zu sagen und dann kamen weitere Ereignisse. Also haben wir Strukturen aufgebaut wie beispielsweise das niederösterreichische Akutteam. Demnach bin ich über die Ereignisse zu diesem Thema gekommen und dann drangeblieben.

noe.ORF.at: Sind Ereignisse wie Lassing mit den aktuellen Geschehnissen vergleichbar?

Münker-Kramer: Ja, durchaus. Wenn jemand, der eigentlich gut aufgestellt ist, plötzlich einer Situation ausgesetzt ist, die nicht erwartbar und ungewöhnlich ist, macht das hilflos. Aber man kann das überwinden. Die Forschung sagt, dass ein Drittel der Betroffenen mithilfe ihres sozialen Umfeldes zurückfindet und die Geschehnisse einordnen kann. Es geht ja um das Einordnen, nicht um das Verdrängen. Das zweite Drittel braucht kurzfristige Hilfe, daher wurden die Akutteams gegründet. Beim dritten Drittel wird die Belastung letztlich chronisch. Da wird es dann notwendig sein, eine Traumatherapie in Anspruch zu nehmen.