Gräberfeld in Ungarn
Kurt W. Alt/Danube Private University
Kurt W. Alt/Danube Private University

Jungsteinzeitbauern: Sesshaft, aber mobil

Die Jungsteinzeitbauern in Mitteleuropa waren sesshafte Menschen, die Getreide anbauten und in fixen Siedlungen lebten. Sie waren aber recht mobil, berichtet der Anthropologe Kurt W. Alt von der Danube Private University Krems mit Kollegen im Fachjournal „Plos One“.

Oft waren in den Siedlungen die dort lebenden Männer oder Frauen nicht lokal aufgewachsen, was etwa auf rege Heiratsmobilität und wirtschaftlichen Austausch schließen lässt, so die Forscher. Ein Team um Alt, der am Zentrum Natur- und Kulturgeschichte des Menschen der Danube Private University (DPU) forscht, und Margaux Depaermentier von der Universität Basel (Schweiz) untersuchte 718 menschliche Zahnschmelzproben aus 55 Fundstellen im Karpatenbecken. Diese stammten aus der Jungsteinzeit und der darauffolgenden Kupferzeit aus dem Zeitraum von 8.000 bis 6.000 Jahre vor heute.

Gräberfeld in Ungarn
Kurt W. Alt/Danube Private University
Das Forscherteam untersuchte 718 menschliche Zahnschmelzproben aus der Jungsteinzeit wie etwa aus diesem Gräberfeld aus Ungarn, auch das Bild oben zeigt eine der 55 Fundstellen

Die Zusammensetzung von Strontium- und Sauerstoff-Isotopen (Isotopen sind Varianten dieser Elemente mit unterschiedlichem Gewicht, Anm.) zeigte den Forschern, ob die untersuchten Personen in der Gegend, wo sie begraben wurden, auch ihre Kindheit verbracht hatten, das heißt, ob sie dort geboren wurden oder erst später eingewandert sind. Der Zahnschmelz verändert sich nämlich nach seiner Bildung in der Kindheit nicht mehr und speichert somit das Signal des kindlichen Herkunftsortes.

Wer zog nach der Heirat zu wem? Die Frau zum Mann?

In den unterschiedlichen Kulturgruppen, denen diese Menschen angehört hatten, gab es nahezu überall kleinräumige und großräumige Mobilität – in manchen mehr, in manchen weniger, so die Forscher gegenüber der Austria Presse Agentur. Teils zeigten eher die Männer ein lokales Isotopensignal, die Frauen aber nicht. In diesem Fall sind möglicherweise die Frauen nach einer „Heirat“ stets in die Siedlung der Männer gezogen, erklärte Depaermentier: „Man spricht dann von Patrilokalität, das heißt, man wohnt am Wohnort des Mannes.“

20 Milligram Zahnschmelz für die Analyse
Kurt W. Alt/Danube Private University
Von einem Zahn wurden 20 Milligramm Zahnschmelz für die Analysen gewonnen – Zahnschmelz, der über Siedlungsgewohnheiten in der Jungsteinzeit Auskunft gibt

Dies konnten die Forscher in den Gruppen der Starčevo-Kultur, der „transdanubischen Linearbandkeramik“, der Vinča-, Lengyel-, und der Balaton-Lasinja-Kultur nachweisen. Bei der Sopot- und Esztár-Kultur hingegen hatten umgekehrt die Frauen meist lokale Isotopensignale und die Männer eine fremde Herkunft. Hier wechselten wohl die Männer traditionell in die Siedlungen der Frauen, dies nennt man Matrilokalität.

Es gab keine typischen Unterschiede bei den Gräbern und Grabbeigaben für bei Einheimischen und „Auswärtigen“. Das zeigt, dass letztere ganz normal in die damaligen Gesellschaften integriert wurden und bei der Bestattung sozial gleichgestellt waren, so Kurt W. Alt.

Internationales Forschungsprojekt seit zehn Jahren

Der 72-jährige Wissenschafter gilt als einer der renommiertesten Experten für Dental-Anthropologie. „Dieses Projekt war mein bisher größtes, was die Höhe der finanziellen Fördermittel betrifft“, umriss Alt im Gespräch mit noe.ORF.at den Umfang der Studie. Die Arbeiten daran begannen vor zehn Jahren. Für 2021 kündigte Kurt W. Alt die Publikation von Forschungsergebnissen über das Ernährungsverhalten von Menschen aus der Jungsteinzeit an.