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Gesundheit

Ein Ort für Schädel-Hirn-Trauma-Betroffene

Bei Familie Pfeifer war ein simpler Reifenplatzer der Grund für ein schweres Schädel-Hirn-Trauma der Tochter. Durch die Erfahrungen mit einer Angehörigen der Pflegestufe 7 angespornt, baut die Familie einen Erholungsort für Betroffene mit ähnlichem Schicksal.

Vor Jahren war die alte Mühle in Breitenwaida (Bezirk Hollabrunn) ein kaum sichtbares, verwachsenes und baufälliges Anwesen. Doch daraus erwächst nun mehr als nur ein neues Zuhause für die seit fünf Jahren an einem Schädel-Hirn-Trauma schwer erkrankte Ylvie.

Ein Reifenplatzer beim Auto der Maturantin veränderte alles in Sekundenschnelle, erinnert sich ihre Mutter Sandra Pfeifer gegenüber noe.ORF.at: „Am 27. August 2016, am späten Nachmittag, hat sich das Auto meiner Tochter auf dem Heimweg mehrmals überschlagen. Die weiteren Insassen sind Gott sei Dank unverletzt geblieben. Aber Ylvie erlitt ein offenes Schädel-Hirn-Trauma. Sie wurde ins Unfallkrankenhaus gebracht, lag lange Zeit im Koma und da hat ein anderes Leben begonnen.“

Durch viel Liebe, Fürsorge und Zuwendung durch die Eltern und die Schwester und mithilfe intensiver Therapien kann Ylvie mittlerweile wieder etwas sprechen. „Es ist ein langer und kräfteraubender Weg für alle, mit Erfolgen oft nur in Millimetergröße, dennoch muss man dranbleiben – ein Leben lang“, ergänzt Sandra Pfeifer.

Einzigartiges Erholungszentrum soll entstehen

Aus diesem Familienschicksal heraus entwickelte Familie Pfeifer das Konzept für eine Erholungs- und Urlaubsanlage für Familien, die ein Kind mit Schädel-Hirn-Trauma pflegen. Laut Angaben von Harald Pfeifer, dem Vater von Ylvie, fehle solch eine Einrichtung und sei in Europa einzigartig. „Ich habe etliche Einrichtungen kennengelernt, die ich mir genau angesehen habe, um viele Eindrücke mitzubringen, auch von Dingen, die dort aus meiner Sicht als Betroffener nicht optimal waren.“

Familie Pfeifer
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Familie Pfeifer kennt die Herausforderungen und Bedürfnisse von Betroffenen mit Schädel-Hirn-Trauma und bringt dieses Wissen in die Konzeption des Erholungsortes ein

So entsteht seit drei Jahren aus der alten Mühle in Breitenwaida eine Urlaubs- und Therapie- sowie Informationsdestination in sieben zusammenhängenden Häusern. Ein speziell eingerichtetes Arztzimmer, ein Raum für eine Wassertherapie, eine Koppel für vier Pferde sowie Räume für Bewegungstherapie, Seminare und Vorträge bekommt noe.ORF.at bei einem Besuch der Anlage im Rohzustand präsentiert.

Während ein Pflegling umfangreiche Therapien erfährt, können die Eltern im Wein-, Obst- und Gemüsegarten mitarbeiten, entspannen und ein wenig loslassen – soweit das eben geht. Das Selbstgekochte wird in einem großzügigen Gemeinschaftssaal gegessen. Im ersten Stock entstehen zwei Apartments für die Gastfamilien. „Wir sind sehr vernetzt in der Gemeinschaft der Betroffenen. Die Eröffnung unserer neuen Mühle wird bereits sehnsüchtig erwartet. Manche Angehörige sagen, dass der Aufenthalt hier ihr erster gemeinsamer Urlaub wird – und das in manchen Fällen nach Jahrzehnten“, erzählte Harald Pfeifer, der Vater von Ylvie und Projektleiter der Initiative.

Millioneprojekt in Nachbarschaftshilfe

Seit drei Jahren wird die Mühle umgebaut, mit großer Unterstützung von Baufirmen aus der Region. Die größte Teil der Arbeit geschieht in Eigenregie. So konnten die Kosten für die Anlage von 2,5 Millionen auf eine Millionen gesenkt werden. „Ich habe einige Helfer in meinem Freundeskreis, die für das Projekt brennen und tatkräftigst mithelfen. Mein besonderer Dank gilt aber auch den Firmen der Region, die das Projekt so gut mittragen“, zeigt sich Harald Pfeifer sichtlich bewegt.

Wassertherapiebecken
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Die Einrichtung und Therapien soll nicht nur den Patientinnen und Patienten helfen, sondern auch deren Angehörigen. Hier entsteht ein Becken für Wassertherapie

Dennoch sind für den Betrieb weitere Spenden vonnöten. Ein Förderverein namens „Ylvie“ soll künftig helfen. Ein finanzieller Gewinn sei weder möglich noch beabsichtigt, sagt Familie Pfeifer, wohl aber ein therapeutischer und menschlichlicher.

Mehr als 60.000 Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma als Folge

Laut der Statistik der österreichischen Gesellschaft für Schädel-Hirn-Trauma erleiden pro Jahr mehr als 60.000 Menschen in Österreich ein Schädel-Hirn-Trauma bei Unfällen, sei es im Straßenverkehr, im Haushalt, beim Sport oder anderen Freizeitaktivitäten bzw. durch Gewalttaten.

Die meisten Unfälle bleiben ohne Folgeschäden. Bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma sterben viele Patienten noch am Unfallort. Bei den überlebenden Betroffenen kommen zu den schweren Gehirnschäden noch weitere sekundäre Erkrankungen mit bleibenden körperlichen Behinderungen hinzu. Im Alltag verlangt das auch den pflegenden Angehörigen sehr viel ab – und oft von einem Tag auf den anderen.