Tomatenproduktion
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„Im Fokus“

Regional unstillbarer Hunger nach Tomaten

Tomaten zählen in Österreich zum gefragtesten Gemüse. In den letzten 20 Jahren hat sich der Pro-Kopf-Konsum verdoppelt, der Großteil wird jedoch importiert. noe.ORF.at hat einen der wenigen Produzenten besucht, der ganzjährig anbaut.

In den Gewächshallen der Firma Zeiler Tomaten in Münchendorf (Bezirk Mödling) wachsen knapp 250.000 meterhohe Tomatenpflanzen, die den für diese Gewächse typischen Geruch verströmen. Kaum hat man die Desinfektionsschleuse passiert, steigt er in die Nasen der Besucherinnen und Besucher – noch bevor sie zu den Anbauflächen vorgedrungen sind. Das Personal nimmt ihn kaum noch wahr, schließlich haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tagein, tagaus mit den Pflanzen zu tun. Das gesamte Jahr über bearbeiten sie ausschließlich Cherrytomatenpflanzen – klassische Monokulturen.

Die ganzjährige Verfügbarkeit von Tomaten in den Supermarktregalen ist umstritten. Im Gespräch mit Geschäftsführer Christian Zeiler kommt bald das Thema der ökologischen Bilanz seines Betriebs auf. Für seine Pflanze herrscht 365 Tage im Jahr Sommer. Beim Besuch von noe.ORF.at zeigt das Thermometer am Vormittag 20 Grad an, am Nachmittag bekommen die Tomaten für optimale Reifung und möglichst reiche Erträge lichtreiche Bestrahlung mit 25 Grad. Laut eigenen Angaben verbraucht der Standort in Münchendorf zehn Megawattstunden Strom pro Jahr. Speziell während der dunklen Jahreszeit von Oktober bis März kann nur mithilfe der zusätzlichen Beleuchtung dieselbe Menge geerntet werden wie im Sommer.

Große Nachfrage nach Tomaten

Tomaten sind das Lieblingsgemüse der Österreicher. Einer der größten heimischen Produzenten baut die roten Früchte in Münchendorf (Bezirk Mödling) an.

Ganzjährige Verfügbarkeit als ökologischer Streitpunkt

Der Anbau in Österreich sei deutlich nachhaltiger und ökologisch vertretbarer als Tomaten aus Südeuropa oder Nordafrika nach Österreich zu importieren, betont Zeiler. „Abgesehen davon, dass es aus Umweltsicht schonender ist, merkt man auch einen Unterschied bei Geschmack und Nährstoffen. Früchte, die unreif geerntet werden, damit man sie weit transportieren werden und nachreifen können, kommen eben nicht an das heran, was man sich unter einer aromatischen Tomate vorstellt“, so der Produzent und ist überzeugt, dass die Konsumentinnen und Konsumenten das zunehmend ähnlich beurteilen. „Es gibt genug Menschen, die das ganze Jahr über Tomaten kaufen und essen möchten – auch am 1. Jänner und am 15. Februar – und in der Vergangenheit davon enttäuscht waren, dass es sie nicht ganzjährig in Österreich mit vollem Geschmack gibt.“

Produziert werden in Münchendorf ausschließlich konventionelle Tomaten, Bio-Tomaten findet man nicht im Sortiment. Dennoch seien die Früchte nahezu ökologisch, betont Zeiler gegenüber noe.ORF.at. „Im Pflanzenschutz gelingt es uns, die ökologischen Kriterien zu erfüllen. Der basiert zu hundert Prozent auf biologischer Grundlage. Wir setzen etwa Nutzinsekten ein, die die Schädlinge bekämpfen und das biologische Gleichgewicht herstellen.“ Auch die Bestäubung erfolgt natürlich – mithilfe von ca. 6.000 Hummeln, die durch die Glashäuser schwirren. Die Kriterien für Bio-Früchte erfüllen die Tomaten aufgrund des Substrates nicht, auf dem sie wachsen. „Wir produzieren hier auf einer Hydrokultur und nicht in der Muttererde. Das ist der Grund, warum wir die Früchte nicht als biologisches Produkt verkaufen dürfen“, so Zeiler.

Vier von fünf Tomaten sind importiert

Bis vor kurzem waren Zeilers Tomatenhäuser laut eigenen Angaben die einzige ganzjährige Produktion Österreichs. Mittlerweile erkannte aber auch die Konkurrenz das Geschäft mit dem ganzjährigen Angebot der Lieblingsgemüsesorte der Österreicherinnen und Österreicher und produziert ebenfalls von Jänner bis Dezember. Nach wie vor gehört Zeiler aber zu den Großen seiner Branche.

In den vergangenen Jahren stieg die Nachfrage nach Tomaten sprunghaft an. Laut der letzten Erhebung der Statistik Austria im Jahr 2017 lag der Pro-Kopf-Konsum in Österreich bei 29 Kilogramm pro Jahr. Vor zwei Jahrzehnten waren es erst gut 16 Kilo. Der Lebensmitteleinzelhandel verkaufte etwa 33.000 Tonnen Paradeiser, weniger als ein Zehntel davon waren Produkte aus biologischer Erzeugung. Der Selbstversorgungsanteil lag bei gerade einmal einem Fünftel, etwa 80 Prozent stammen aus dem Ausland.

Christian Zeiler erzählt, dass die Nachfrage nach Tomaten aus österreichischem Anbau zuletzt deutlich stieg und auch durch die Coronavirus-Pandemie einen weiteren Schub erhielt. „Hier geht der Trend wieder zurück zur Regionalität. Dennoch ist sicherlich noch Luft für das eine oder andere Kilo an Extraumsatz.“ Die Früchte der Münchendorfer Gewächshäuser findet man ausschließlich in Österreich, exportiert wird nichts. „Wir ernten unsere Tomaten reif und dann haben sie 24 bis 36 Stunden Zeit, um in den Regalen zu landen.“ Verkauft werden sie ausschließlich an österreichische Supermärkte.

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Tomatenproduktion
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Ob Sommer oder Winter – in Münchendorf werden ganzjährig Tomaten geerntet
Tomatenernte
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Bestäubt werden die Pflanzen mithilfe von tausenden Hummeln, die in Boxen zwischen den Pflanzen leben
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Pro Woche ernten die Beschäftigten bis zu 60 Tonnen – ein Bruchteil der Tomaten, die in Österreich konsumiert werden
Tomatenproduktion
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Die Pflanzen sind einjährig und werden auf eine Höhe von etwa sieben Metern gezogen
Tomatenproduktion
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Mittlerweile werden energieintensive Natriumdampflampen im Pflanzenbau zunehmend durch stromsparende LED-Lampen ersetzt

Computer berechnen Nährstoffzufuhr und Co.

Der umsatzschwächste Monat, um Tomaten zu verkaufen, ist Zeiler zufolge der August. Das liege „einerseits an den Hobbygärtnern, weil da am meisten Tomaten in den Gärten und auf den Balkonen des Landes reif sind und andererseits an der Urlaubszeit“. Daher ist im Sommer die einzige Zeit des Jahres, in der in Münchendorf sieben Wochen lang nicht geerntet wird und die Förderbänder still stehen. Eine Woche braucht es, um die Pflanzen am Ende ihrer Lebenszeit zu entfernen, die Gewächshäuser von Grund auf zu säubern und neue Pflanzen heranzuziehen. Nach weiteren sechs Wochen tragen sie bereits wieder tonnenweise reife Früchte. 40 bis 60 Tonnen Tomaten verlassen die Gewächshäuser in Münchendorf jede Woche. Geerntet wird von Montag bis Samstag.

Temperatur, Licht, CO2-Zufuhr und Dünger werden genau eingestellt und den Pflanzen in genau auf ihre Sorte abgestimmtem Verhältnis zugeführt. Per Computer werden die Daten aufgezeichnet und gesteuert. Ohne Gärtnerinnen und Gärtner, die durch die Reihen fahren, sich die Pflanzen ansehen und beurteilen, kommt aber auch die spezialisierte Massenproduktion nicht aus. „Sie sind es, die beurteilen können, ob die Pflanzen ein halbes Grad mehr weniger brauchen und ob die Wassermenge stimmt. Die Arbeit an lebenden Pflanzen braucht immer Menschen. Gesetzt, geerntet, gewickelt und gepflegt wird auch ausschließlich per Hand“, erklärt Zeiler. In Münchendorf beschäftigt er trotz aller Automatisierung ca. 80 Personen.