Was für Laien wie ein durchsichtiger Ring auf einer gelben Petrischale aussieht, könnte der Beginn eines der wichtigsten neuen Medikamente sein. Die gelbe Oberfläche besteht nämlich aus Bakterien, die für das Experiment dort gezüchtet wurden und überall wachsen, nur nicht im transparenten Ring. In der Mitte dieses Rings liegt ein Papierplättchen mit einer neuen Substanz, die die Bakterien bekämpfen soll – und das offensichtlich auch tut.

Die Substanz gewann das Forscherteam der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Tulln aus einem Schimmelpilz. „Diesen Pilz haben wir effektiv aus der Donau gefischt“, erzählt Laborleiter Christoph Schüller mit einem leichten Lächeln. Man habe ihn dann gereinigt und festgestellt, dass es sich um eine bisher unbekannte Spezies handelt. Weil sie offenbar gegen Bakterien wirkt, könnte die Substanz auch gegen Krankheitserreger beim Menschen helfen. Dadurch könnte sie wiederum die Grundlage für ein neues Antibiotikum bilden. Das klingt noch hypothetisch, ist aber bereits ein großer Erfolg der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Tulln.
Erfolgsgeschichte mit einem großen Problem
Antibiotika zählen zu den wichtigsten Errungenschaften in der Menschheitsgeschichte. Dieser Siegeszug innerhalb der Medizin begann mit der Entdeckung des ersten Antibiotikums, dem Penicillin, das im Jahr 1928 aus einem Schimmelpilz gewonnen worden war. Damit wurden auf einen Schlag zahllose bakteriell ausgelöste Krankheiten behandelbar, die bis dahin als Todesurteil gegolten hatten. Wundinfektionen nach Operationen oder das früher oft tödliche Kindbettfieber sind nur zwei Beispiele dafür.
In den Jahrzehnten nach dieser Entdeckung wurden etliche weitere Antibiotika gefunden, die heute noch im Einsatz sind. Nach der anfänglichen Euphorie offenbarte sich allerdings auch ein zunehmendes Problem: So entwickelten die Bakterien, gegen die die Medikamente ankämpfen sollten, mit der Zeit immer mehr Resistenzen gegen immer mehr Wirkstoffe. Neue Antibiotika wurden gleichzeitig allerdings kaum noch gefunden. Dadurch hatten Ärztinnen und Ärzte in bestimmten Fällen immer weniger Optionen zur Verfügung. Krankheiten, die bereits als überwunden galten, wurden plötzlich wieder gefährlich.
Heute zeigt sich dieses Problem vor allem in Krankenhäusern. Sogenannte multiresistente Keime sind heutzutage in westlichen Staaten eine der häufigsten Todesursachen, oft bleiben sie allerdings unerkannt. Schätzungen zufolge sterben allerdings alleine in Österreich jedes Jahr etwa 5.000 Menschen an derartigen multiresistenten Krankenhauskeimen.

Mit Robotern zur Bio-Lotterie
Hier setzt das Projekt namens „BiMM“ (Bioactive Microbial Metabolites) aus Tulln an. „Wir haben eine Methode entwickelt, die die Chance wesentlich erhöht, etwas Neues zu finden“, sagt Projektleiter Joseph Strauss, der am BOKU-Standort dem Institut für mikrobielle Genetik vorsteht. Das Team forscht an vielen verschiedenen Schimmelpilzen – nicht nur an jenen aus der Donau. Zum Teil handelt es sich dabei um bereits bekannte Pilze. In ihnen könnten allerdings noch unbekannte Stoffe stecken, die ebenfalls gegen Bakterien wirken.
„In grundlegenden Forschungen haben wir gesehen, dass die Pilze diese neuen Stoffe nicht immer bilden. Sie bilden sie vor allem dann nicht, wenn sie bei uns gemütlich im Labor leben“, sagt Strauss. Deshalb setzt sein Team die Pilze künstlich unter Stress. Dafür kombiniert er sie mit allen möglichen anderen Substanzen. Bildet ein Pilz daraufhin einen aktiven Stoff, ist er ein Kandidat für ein neues Antibiotikum.
Das Resultat ist eine Art biologische Lotterie. Im Labor in Tulln gibt es speziell entwickelte Roboter, die Tag und Nacht die unterschiedlichsten Kombinationen ausprobieren. Millionen dieser Kombinationen wurden in den vergangenen Jahren getestet, 20-mal gab es in dieser Lotterie sechs Richtige.

Damit fand das Team bereits vielversprechende Ansätze, bis zu einer Anwendung im Alltag braucht es aber noch viel Arbeit. „Von diesen 20 neuen Substanzen gibt es bisher drei, denen wir eine ganz konkrete medizinische Wirkung zuordnen können“, sagt Projektleiter Strauss. Zwei dieser Substanzen könnten demnach neue Antibiotika-Klassen darstellen. Die dritte könnte sich für die Krebstherapie eignen. „Sie könnte bei Krebszellen, die gegen die Chemotherapie resistent geworden sind, eine neue Behandlungsmöglichkeit eröffnen“, hofft der Forscher.
Studien in Krems und Wien
Welche Auswirkungen die hier entdeckten Stoffe haben werden, ist noch nicht abschätzbar. Sie könnten in unterschiedlichen Lebensbereichen angewandt werden. Parallel zu den Möglichkeiten in der Medizin testet die BOKU in Tulln auch einen Einsatz der neuen Substanzen in der Landwirtschaft. Krankheiten bei Pflanzen, die etwa durch den Klimawandel häufiger auftreten, könnten mit den Pilzen womöglich auf natürliche Weise bekämpft werden.
In allen Bereichen braucht es weitere wissenschaftliche Ergebnisse. Zwei medizinische Studien laufen bereits am Wiener AKH und am Universitätsklinikum in Krems. Bis ein mögliches Medikament zugelassen und in der Apotheke erhältlich ist, könnten aber noch fünf bis zehn Jahre vergehen, schätzt Strauss.

An den weiteren Schritten bis hin zur Zulassung von Medikamenten oder Pflanzenschutzmitteln werden die Tullner Forscherinnen und Forscher nicht mehr direkt beteiligt sein. Darum geht es in der Grundlagenforschung aber auch nicht. Stattdessen sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits auf der Suche nach weiteren vielversprechenden Stoffen. 2015 wurde das Projekt ins Leben gerufen, vor kurzem wurde es mit weiteren Fördergeldern verlängert. Das verschafft dem Team mehr Zeit – zumindest bis zum Jahr 2024 kann es die Suche nach weiteren Lottosechsern fortsetzen.