Chronik

Pandemie als Armutsfalle für Mittelschicht

Jobverlust oder Kurzarbeit haben mitunter massive Auswirkungen auf die finanzielle Situation vieler Menschen, heißt es bei der Caritas der Erzdiözese Wien. Die Zahl der Erstberatungen stieg in Niederösterreich im vergangenen Jahr um 41 Prozent.

Armutsgefährdet seien nun vielfach Menschen, die bisher zur Mittelschicht zählten, sagt Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas der Erzdiözese Wien. „Wir sehen in unseren 53 Sozialberatungsstellen der Caritas, dass der Druck auf die Menschen steigt. Je länger diese Pandemie dauert, desto stärker sind die sozialen Folgen spürbar. Immer mehr Menschen kommen zu uns, die nie gedacht hätten, dass sie einmal die Hilfe der Caritas brauchen“, so Schwertner.

Klaus Schwertner
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Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner

Auch in Niederösterreich ist die Situation laut Caritas mittlerweile dramatisch: 2020 verzeichnete die Hilfsorganisation um 41 Prozent mehr Erstanfragen. Betroffen seien vor allem die Region um Wiener Neustadt sowie das Weinviertel.

„Man verschuldet sich Monat für Monat“

Einer der Betroffenen ist der 25-jährige Emanuel Coltouan. Der gelernte Installateur glaubte einen sicheren Job zu haben, doch wegen der schlechten Auftragslage verlor er 2020 seinen Arbeitsplatz. „Es war nicht leicht“, sagt Coltouan. „Man weiß nicht, wohin man in so einer Notsituation kann, wenn man seinen Job verliert und verhältnismäßig wenig Arbeitslosengeld bekommt. Dazu kommen die Fixkosten, die man dann einfach nicht mehr stemmen kann. So verschuldet man sich Monat für Monat“, erzählt der Niederösterreicher.

Installateur, der in der Pandemie kurzzeitig seinen Job verlor
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Der Installateur Emanuel Coltouan (Vordergrund) war im Vorjahr plötzlich arbeitslos

Caritas-Hotline

Unter der Telefonnummer 05/17 76 300 bietet die Caritas Beratungen an. Die Hotline ist von Montag bis Freitag zwischen 9.00 und 13.00 Uhr besetzt.

Besonders schlimm sei die Ungewissheit gewesen. „Man kann nicht wissen, ob man in einer Woche wieder Arbeit findet oder ob es zwei, drei Monate dauert. Hätte es bei mir wirklich so lange gedauert, dann wäre es sehr schlimm gewesen. Im Jänner war es schon mit der Miete knapp. Eigentlich hätte ich sie nicht bezahlen können, hätten mich meine Eltern nicht unterstützt“, sagt der Niederösterreicher, der Ende Jänner 2021 wieder einen Job als Installateur fand.

Menschen können Miete und Heizkosten nicht mehr zahlen

Die Armut habe durch die Coronavirus-Pandemie neue Gesichter bekommen. „Es sind Menschen, die vorher eigentlich ein gutes Leben hatten, aber jetzt zu uns in die Sozialberatungsstelle kommen“, erzählt Klaus Schwertner. „Die Menschen rufen an, weil sie nicht mehr weiter wissen und völlig verzweifelt sind. Sie wissen nicht mehr, wie sie die Miete, ihre Heizkosten oder die Lebensmittel für sich und für die Kinder bezahlen sollen.“

Betroffen sind Menschen aus allen Branchen. „Das sind Einzelunternehmerinnen und Einzelunternehmer, Personen aus dem Event- oder Kulturbereich, die Hilfe brauchen, aber es sind auch kinderreiche Familien, Alleinerziehende und ältere Menschen, die sich an uns wenden“, sagt der Caritas-Geschäftsführer.

Caritas: Rechtzeitig Hilfe holen

Die Caritas empfiehlt Betroffenen, sich rechtzeitig zu melden. „Viele kommen erst, wenn der Rucksack an Problemen schon sehr groß ist“, sagt Schwertner. Wichtig sei es auch, die Bevölkerung zu sensibilisieren – „hinzusehen, nicht wegzusehen, wenn etwa in der Nachbarschaft oder im Arbeitsumfeld Menschen unter Druck geraten“, appelliert Schwertner. Er empfiehlt, Betroffene anzusprechen und Unterstützung anzubieten, damit rechtzeitig geholfen werden kann.

Gerade in dieser Pandemie brauche es starken Zusammenhalt, Zuversicht und Hoffnung. „Die Schutzimpfung ist eine wesentliche Maßnahme, um diese Gesundheitskrise hoffentlich besser zu bewältigen. Für die sozialen Folgen der Krise werden wir aber ein ganzes Maßnahmenbündel benötigen, etwa mehr aktive Arbeitsmarktpolitik, mehr Mittel für diesen Bereich, um Menschen möglichst rasch wieder in Jobs zu bringen“, sagt Schwertner.