Kundgebung vor Gemeindeamt
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Chronik

Eichgraben: Kundgebung gegen Abschiebung

In Eichgraben (Bezirk St. Pölten) haben sich am Sonntag hunderte Menschen versammelt, um für den Verbleib einer in der Gemeinde lebenden Familie aufzutreten. Diese hätte diese Woche nach Georgien abgeschoben werden sollen, ist aber untergetaucht.

Laut Polizei waren etwa 300 Menschen zu der Kundgebung am Rathausplatz in Eichgraben (Bezirk St. Pölten) gekommen, die Veranstalter und der Bürgermeister sprachen von „bestimmt 400“. Die seit fünf Jahren in Österreich lebende Sevinj A. und ihre drei Kinder gelten in der Wienerwaldgemeinde als bestens integriert, die Mutter spreche fließend Deutsch, habe hier den Führerschein und Computerführerschein erworben, engagiere sich vielerorts ehrenamtlich und achtete auf den schulischen Erfolg ihrer Kinder. Diese seien – wie ihre Mutter – bis vor kurzem noch in den örtlichen Vereinen aktiv gewesen.

Am gültigen negativen Asylbescheid lässt sich im Fall von Sevinj aber nichts mehr ändern, auch ihr Abschiebebescheid liegt nach wie vor am Tisch. Eine Entscheidung darüber, ob die Familie ein humanitäres Bleiberecht bekommt, gibt es noch nicht.

Breite Rückendeckung in der Gemeinde

Die Bestürzung im Ort, dass die georgische Familie nun abgeschoben werden sollte, ist dennoch groß. Als die Polizei tatsächlich kam, waren Sevinj und ihre Kinder jedoch nicht zu Hause anzutreffen, sie waren untergetaucht. Brigitte Ammer-Weiss ist eine der wenigen, die täglich Kontakt zur Familie hat: „Es geht ihnen okay. Aber natürlich ist da die Angst, was als nächstes kommt. Sie leben jetzt schon so lange in Ungewissheit, langsam wird es ungesund.“

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Rathausplatz Eichgraben
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Polizeiangaben zufolge verlief die Kundgebung „ohne Vorkommnisse“, alle Teilnehmenden hätten zudem die Covid-Notmaßnahmenverordnung eingehalten
Kinder halten Plakate
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Unter den Teilnehmenden waren auch viele Klassenkolleginnen und -kollegen der sechs-. zwölf- und 16-jährigen Kinder
Kundgebung vor Gemeindeamt
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Knapp jeder zehnte Einwohner der Gemeinde war zu der Kundgebung gekommen
Journalist Florian Klenk
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Auch Journalist Florian Klenk machte sich für den Verbleib der Familie stark. Er ist selbst Eichgrabner
Kind mit Plakat
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Veranstaltet wurde die Kundgebung am Sonntag von Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde, die sich in den letzten Jahren bereits in der Flüchtlingshilfe engagiert hatten. „Unser Kernanliegen ist, dass die Familie bleiben darf. Und mittel- bzw. längerfristig wünschen wir uns, dass auch Gesetze geändert werden und die Kinderrechte in die Betrachtungen künftig besser einbezogen werden“, sagt die Organisatorin Sissi Hammerl.

Gemeinderat appelliert an Innenminister

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hielt bis zuletzt an den Abschiebungen fest. Georg Ockermüller, Eichgrabens Bürgermeister und ebenfalls von der ÖVP, wünscht sich einen Verbleib der Familie und spricht von einem „Musterbeispiel der Integration“. Daher sehe er es als Aufgabe, „mein Möglichstes zu tun. Der gesamte Gemeinderat hat ein Ansuchen und die Bitte an den Innenminister gestellt, diese Sache neu zu bewerten“, sagt Ockermüller. Aber nicht nur die Gemeinde sowie ihre politischen Vertreterinnen und Vertreter stünden hinter der Familie, sondern auch die Kirche.

Laut dem Journalisten und Aktivisten Florian Klenk, der als Eichgrabner ebenfalls an der Kundgebung teilnahm, würde sich der Fall von anderen Fällen unterscheiden: „Denn hier gibt es noch eine rechtliche Möglichkeit. Aus diesem Grund sind wir alle hier: Um zu sagen, dass es einen Rechtsstaat gibt und dass dieser auch Verhältnismäßigkeit kennt.“ Damit spielt Klenk auf die zuletzt aus Wien abgeschobenen Minderjährigen an – mehr dazu auch in Abschiebungsstreit lässt Wogen hochgehen (news.ORF.at; 30.1.2021).

Diskussion um „humanitäres Bleiberecht“

Die Kritik an Abschiebungen von Minderjährigen reißt nicht ab und gleichzeitig droht wieder einer Familie aus Eichgraben die Abschiebung. In „Orientierung“ äußern sich die Kirchen kritisch.

Humanitäres Bleiberecht an Voraussetzungen geknüpft

Vor wenigen Tagen wurde im Fall der Eichgrabner Familie der Antrag auf humanitäres Bleiberecht abgeschickt. Damit ist nun das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beschäftigt. Unklar ist nicht nur wie lange die Bearbeitung brauchen wird, sondern auch, ob die Familie dadurch doch wird bleiben können.

Jedenfalls ist solch ein Aufenthaltsrecht an wesentliche Voraussetzungen geknüpft, die erfüllt sein müssen – etwa ein Mindestaufenthalt von fünf Jahren in Österreich, die erfolgreiche Integration sowie die Fähigkeit, sich selbst erhalten zu können. Die ersten beiden Punkte treffen zumindest laut Ansicht des Bürgermeisters und der Besucherinnen und Besucher der Kundgebung zu. Und auch die Selbsterhaltungsfähigkeit dürfte geklärt sein.

Hannes Ziselsberger, Direktor der Caritas St. Pölten und ebenfalls Teilnehmer der Kundgebung, bestätigte gegenüber noe.ORF.at, dass Sevinj eine fixe Arbeitszusage in seiner Organisation habe. Die ausgebildete Volksschullehrerin befinde sich bereits in Ausbildung zur mobilen Hauskrankenpflegerin und könne danach sofort zu arbeiten anfangen. „Es gibt nicht nur die Arbeitszusage, es gibt auch den Bedarf nach Pflegekräften. Es wäre nicht klug, jemanden, der die Ausbildung gemacht hat, die menschlichen Fähigkeiten mitbringt, die Anstellungsvoraussetzungen – und sie kann wunderbar Deutsch – nicht anzustellen. So zu urteilen und sie abzuschieben, wäre für unsere Gesellschaft nicht klug“, meint Ziselsberger. Ob es soweit kommt und wann, darauf warten in Eichgraben jetzt viele.