„Ganz persönlich“

Profitipps gegen Verschwörungstheorien

Verschwörungsmythen nehmen in extremen Zeiten zu. Der Ton im Internet wird in der Pandemie rauer, stellt Autorin und Digital-Expertin Ingrid Brodnig fest. Im Interview sagt sie, was man tun kann, wenn Familienmitglieder in Verschwörungstheorien versinken.

noe.orf.at: Trügt der Eindruck oder ist das Thema Verschwörungstheorien während der Pandemie momentan problematischer?

Ingrid Brodnig: Ja, es ist problematischer, weil das viele Menschen derzeit erleben, die früher nichts damit zu tun hatten. Unsichere Zeiten bringen bei manchen Menschen eine Sehnsucht nach einer großen Erzählung hervor, nach einer Wahrheit. Gerade wenn Menschen das Gefühl haben, der Boden ist ihnen unter den Füßen weggezogen worden, dann steigt die Verschwörungserzählung als attraktive Alternative. Ich habe dieses Buch auch deshalb geschrieben, weil mich Leute kontaktiert haben, deren Familie plötzlich solche Geschichten glaubt, und es plötzlich so hart ist zu diskutieren. Da hat sich schon was verschoben. Falsches kursiert immer, aber es gibt Zeiten, da ist es schlimmer.

Ganz persönlich Ingrid Brodnig Fake News
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Fragen zu stellen sei eine der klügsten Methoden gegen Verschwörungstheorien, sagt Ingrid Brodnig (re.) im Interview mit Eva Steinkellner-Klein

noe.orf.at: Sie geben in ihrem Buch „Einspruch!“ Tipps, was man machen kann, wenn jemanden an Verschwörungstheorien glaubt. Welche?

Brodnig: Zuerst würde ich immer empfehlen nachzufragen, wie tief die Person tatsächlich daran glaubt. Das macht einen riesigen Unterschied. Manchmal finden Leute sowas nur interessant und sind mit Fakten leicht zu überzeugen. Wenn aber jemand mehr glaubt, diese Erzählungen schon aufgesaugt hat, dann würde ich empfehlen, das Gespräch nicht rein auf Fakten anzulegen. Fakten prallen oft ab. Ich kann den Spieß umdrehen und zum Beispiel Fragen stellen: Woher hast du diese Information? Warum glaubst du dieser Quelle? Wie fühlst du dich, wenn du das hörst? Fragen sind zunächst einmal nicht angriffig. Das heißt, man zeigt Interesse und dann gelingt es manchmal, dass das Gegenüber beginnt, genauer nachzudenken, und die eigenen Quellen in Frage stellt. Fragen sind eine der klügsten Methoden im Gespräch, weil man manchmal gemeinsam die Sinnhaftigkeit einer Erzählung inspizieren kann.

noe.orf.at: Besonders bitter ist es ja, wenn die eigene Mutter, der Bruder oder Opa den Boden der Tatsachen völlig verlassen hat und man merkt, dass kein normales Gespräch mehr möglich ist.

Brodnig: Das Blöde bei Verschwörungserzählungen ist, da wird ja viel Falsches verbreitet, auch viele falsche Gesundheitsempfehlungen. Ich habe zum Beispiel mit einer Bekannten gesprochen, deren Vater in der Coronakrise begonnen hat, Desinfektionsmittel zu trinken, weil im Internet solche falschen Erzählungen kursieren. Wenn man das nämlich trinke, dann helfe das gegen das Virus. Das ist natürlich ein Unsinn. Das sind Wundermittel, die im Internet verkauft werden. Ich glaube, wenn es so weit geht, muss man dranbleiben, um Schlimmeres zu verhindern.

noe.orf.at.: Was ist denn Ihrer Meinung nach die gefährlichste Verschwörungstheorie derzeit?

Brodnig: Die gefährlichste ist wahrscheinlich die QAnon-Verschwörungstheorie, weil es so weit weg von der Realität ist. Da geht es um die Verherrlichung von Donald Trump, aber es wird vor allem die Idee verfolgt, dass eine dunkle Elite Kinder entführt, ihnen Blut absaugen würde und sich mit diesem Blut verjüngen kann. Kompletter Humbug. Das Problem ist, dass in solchen Gruppen oft auch schon gewaltvolle Vorstellungen kursieren.

Das ist sicher eine der gefährlichsten. Aber riskanter sind die harmlosen Geschichten, die noch nicht total weit weg von der Realität sind und die man noch glauben kann. Ich gebe ein Beispiel: Es gibt sehr viele Impfmythen. Es gibt starke Argumente gegen diese Mythen, aber die Leute sind verunsichert. Um die Mythen und Geschichten zu glauben, muss man gar nicht verschwörungsgläubig sein. Da reicht Angst und man ist zugänglich für solche Geschichten.

noe.orf.at.: Viele Verschwörungstheorien könnten durch einen Faktencheck entkräftet werden. Aber gerade jene, die an diese Geschichten glauben, wollen das nicht hören.

Brodnig: Wenn jemand zu 100 Prozent von etwas eingenommen ist, dann prallt der beste Faktencheck der Welt ab. Das Tolle ist: Nicht alle sind zu 100 Prozent eingenommen. Bei vielen wirkt die Information häufig schon. Das Problem ist, wir haben Schutzmechanismen. Wenn wir etwas glauben wollen, dann sind wir sehr gut darin, unseren Standpunkt zu verteidigen. Man nennt das den „confirmation bias“ – auf Deutsch den Bestätigungsfehler. Das heißt, eine Information, die mich bestätigt, die werde ich eher für wahr halten. Es gibt auch das Gegenteil, den sogenannten „disconfirmation bias“: Etwas, das ich nicht glauben möchte, weil es mir nicht ins Konzept passt, lehne ich eher ab. Ich habe da einen guten Tipp: Wenn ich etwas online lese und mir denke, ja, genau das habe ich schon immer befürchtet, dann ist der Moment gekommen, genauer hinzuschauen. Viele falsche Informationen sind erfunden, um die Leute zu bestätigen oder ihre tiefen Ängste anzusprechen.

noe.orf.at: In Niederösterreich war zuletzt die Aufregung rund um die Online-Vergabe von Impfterminen groß. Viele haben keinen Termin bekommen. Das liegt in erster Linie daran, dass derzeit einfach zu wenig Impfstoff am Markt ist. Aber der Frust war trotzdem groß und hat sich auch in den sozialen Netzwerken entladen. Ist das ein Zeichen unserer Zeit? Die empörte Gesellschaft?

Brodnig: Aufregen ist ja grundsätzlich noch kein Problem. Digitale Möglichkeiten verschaffen einem die Möglichkeit, sich auszuleben. Ich gehe davon aus, dass die meisten das noch recht konstruktiv machen. Aber es gibt eine Online-Enthemmung – das bedeutet, dass man übelst postet. Dazu gibt es eine Theorie des Psychologen John Suler. Im Netz herrschen Anonymität und Unsichtbarkeit, ich sehe also mein Gegenüber nicht, wenn ich etwas Schlimmes schreibe. Ich glaube, wenn sich Leute aufregen, dann ist das noch nicht das Problem. Schlimm wird es, wenn man sich in einer Art und Weise aufregt, die anderen Menschen schadet oder sie zumindest so tief verletzt, dass andere Leute darunter leiden, wenn sie das lesen müssen.

noe.orf.at: Haben Hass im Netz, die Pöbeleien und die Verschwörungstheorien in den vergangenen Jahren zugenommen?

Brodnig: Der Hass im Netz kommt in Wellen. Das sind immer Themen, die die Gesellschaft spalten. Das war die Debatte über geflüchtete Menschen, dann hatten wir auch in Österreich ganz furchtbare Wahlkämpfe und jetzt die Pandemie. Immer dann, wenn es in der Gesellschaft Wut oder Polarisierung gibt, sieht man das im Internet besonders schlimm. Ich würde sagen, wir leben generell in sehr erhitzten Zeiten und das Netz ist wie ein Zerrspiegel: Man sieht es noch einmal vergrößert.

noe.orf.at: Sind Sie selbst einmal Opfer von solchen Angriffen geworden?

Brodnig: Ich kriege immer wieder beleidigende und auch abstruse E-Mails. Zum Beispiel schreiben mir Leute, dass ich wohl von Bill Gates bezahlt werde. Darüber schmunzelt man dann ja eher oder wundert sich. Ab und zu bekomme ich auch sexistische E-Mails. Wenn ich als Frau in der Öffentlichkeit stehe, dann gibt es eine Sorte Menschen, die glaubt, Frauen auf diese Weise niedermachen zu müssen. Ich sehe das so: Jedes E-Mail, das so ist, ist ein Grund weiterzumachen.