Landesgericht St. Pölten
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CHRONIK

Kirchstetten: Bedingte Haftstrafen für Pfleger

Der Prozess rund um die Vorgänge im Pflegeheim Kirchstetten (Bezirk St. Pölten) ist am Mittwoch mit bedingten Haftstrafen zu Ende gegangen. Den vier Beschuldigten wurde vorgeworfen, Heimbewohner gequält und sexuell missbraucht zu haben. Die Angeklagten wiesen die Vorwürfe zurück.

Gegen die vier ehemaligen Pflegekräfte war seit Oktober 2016 ermittelt worden, im September des Vorjahres startete schließlich der Prozess – mehr dazu in Prozess gegen Pflegekräfte gestartet (noe.ORF.at; 15.9.2020). Den Angeklagten wurde vorgeworfen, Heimbewohner gequält, vernachlässigt und auch sexuell missbraucht zu haben. Im Fokus stand eine WhatsApp-Gruppe, in der sich die Beschuldigten über Patienten lustig gemacht haben sollen. Da die Opfer nicht mehr mitteilungsfähig waren, stützte sich auch die Anklage im Wesentlichen auf die Protokolle dieser Gruppe sowie auf Anzeigen zweier anderer Mitarbeiterinnen des Heims.

Staatsanwältin: „Menschenunwürdig und respektlos“

Die Vorwürfe seien in den vergangenen Wochen intensiv durchgekaut worden, hielt die Staatsanwältin am Mittwoch fest. Die Tatsache, dass sich die Opfer nicht mehr äußern können, dürfe nun „nicht zum Vorteil der Angeklagten“ ausgelegt werden, appellierte sie an das Schöffengericht. Besonders zu beachten sei der wiederhergestellte Verlauf der WhatsApp-Gruppe. Tonfall und die besprochenen Themen seien „an Menschenunwürdigkeit und Respektlosigkeit nicht zu überbieten“.

Es sei denkunmöglich, dass jemand, der tagtäglich solche Dinge schreibt, bei der Pflege „einfühlsam mit den Menschen umgeht“. Wäre alles eine Intrige gegen die Angeklagten gewesen, hätten sich zahlreiche Kollegen, Reinigungskräfte und Verwandte der Betroffenen zusammenschließen müssen. An ein solches umfassendes Konstrukt glaubte die Vertreterin der Anklagebehörde nicht.

Angeklagte spricht von „furchtbaren Vorwürfen“

„Es steht nirgends geschrieben, dass den Angeklagten weniger zu glauben ist als den Zeugen“, führte Stefan Gloß, Anwalt der vier Beschuldigten, ins Treffen. Er vermisste unter anderem klare Zeitangaben zu den vorgeworfenen Delikten, außerdem seien die Opfer hinsichtlich der Verletzungen „nie untersucht“ worden. Darüber hinaus könne man den Chat-Verlauf vergessen: „Alles, was da drinnen steht, ist nicht geschehen.“ Das Geschriebene sei vielmehr eine Art Seelenreinigung gewesen, gab der Jurist zu bedenken. Es habe eine „arbeitsbezogene Überforderung“ bestanden. Handfestes hätten sich seine Mandanten jedenfalls nicht zuschulden kommen lassen.

Ins selbe Horn stieß auch der 30-jährige Angeklagte: „Es gibt keinen einzigen Beweis für irgendwas.“ Die 53 Jahre alte Beschuldigte sprach von „furchtbaren Vorwürfen“, die Leben und Familien zerstören würden. Die Anschuldigungen der Ex-Kolleginnen „haben unsere Seelen kaputtgemacht“, sagte die 34-jährige Viertangeklagte abschließend.

Beschuldigte bestritten Vorwürfe bisher

Die Beschuldigten, die sich seit Mitte September 2020 vor Gericht verantworten müssen, bestritten vor Gericht bisher sämtliche Vorwürfe. Ihr Anwalt betonte im Prozess, dass sich in den Protokollen der Pflegedokumentation keine Hinweise auf Verletzungen der betroffenen Heimbewohner finden. In der WhatsApp-Gruppe hätten seine Mandanten Ballast vom anstrengenden Pflegeberuf abgeworfen. In diese Richtung hatten auch die Angeklagten zu Prozessbeginn ausgesagt – mehr dazu in Pflegeprozess: „Die Vorwürfe sind furchtbar“ (noe.ORF.at; 23.9.2020).

Den Fall hatten zwei Mitarbeiterinnen ins Rollen gebracht. Eine berichtete im Prozess von Übergriffen und davon, dass Verletzungen auf Anweisung eines Angeklagten nicht immer dokumentiert worden sein sollen. Einer Beamtin der Pflegeanwaltschaft, die das Heim wenige Wochen nachdem die Causa bekanntwurde, besucht hatte, war besonders die negative Sprache im Heim aufgefallen, die sich durch „sehr wenig Gespür für die Bewohner ausgezeichnet“ habe, so die Frau im Zeugenstand.

Richterin: „Wehrloseste Opfer ausgesucht“

Die Schöffen folgten schließlich der Ansicht der Staatsanwaltschaft. Die vier Angeklagten wurden zu bedingten Haftstrafen zwischen zwölf und 18 Monaten verurteilt, zwei von ihnen erhielten zusätzlich eine Geldstrafe. Die Richterin begründete die Urteile – ähnlich wie die Staatsanwältin – mit den Chatverläufen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass man „so eine andere Seite im tatsächlichen Leben hat, wenn man so schreibt“. Es gebe Möglichkeiten, Sachen zu verarbeiten, „aber nicht auf diese Art und Weise“. Zudem würde in den Chats auf konkrete Tathandlungen Bezug genommen.

Die Aussagen der Kollegen, die den Fall ins Rollen brachten, seien zudem glaubwürdig, meinte die Richterin. Es gebe für diese kein Motiv, die Angeklagten zu belasten. Zum Schluss wandte sich die Richterin noch einmal an die Angeklagten und sagte: „Sie haben sich wirklich die schwächsten und die wehrlosesten Opfer ausgesucht, die auf der Station waren.“ Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.