Wohnsiedlung
ORF.at/Christian Öser
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Politik

Boomender Zuzug ins Wiener Umland

Ein Trend, der schon länger offensichtlich ist, wird jetzt durch Zahlen der Statistik Austria untermauert: Der enorme Zuwachs an Einwohnern im Bereich rund um Wien und die Abwanderung vor allem aus dem Waldviertel. Für beide Seiten birgt das Probleme.

Die Statistik Austria veröffentlichte die Bevölkerungsentwicklung der vergangenen zehn Jahre in Niederösterreich. Danach ergibt sich ein Bevölkerungszuwachs im gesamten Bundesland von 1,61 Millionen zu Jahresende 2010 auf fast 1,7 Millionen am Ende des Jahres 2020. Das entspricht einem Plus von mehr als fünf Prozent.

Bezirk Bruck mit plus 15 Prozent

Den größten Zuwachs verzeichnete der Bezirk Bruck an der Leitha mit fast 15 Prozent, auch Gänserndorf und Wiener Neustadt (Stadt) kommen auf mehr als zehn Prozent Zuwachs. Zu den Bezirken mit mehr als fünf Prozent plus zählen St. Pölten (Stadt) St. Pölten (Land), Baden, Korneuburg, Tulln, Wiener Neustadt (Land) und Mödling.

Auf ein Plus von bis zu fünf Prozent kommen Krems (Stadt) und Krems (Land), Amstetten, Hollabrunn, Melk, Mistelbach, Scheibbs und Neunkirchen. Ein leichtes Minus von bis zu drei Prozent weisen Waidhofen an der Ybbs und der Bezirk Horn aus, auf ein Minus von mehr als drei Prozent kommen der Bezirk Lilienfeld sowie die Waldviertler Bezirke Zwettl, Gmünd und Waidhofen an der Thaya. Letzterer ist mit 5,1 Prozent negativer Spitzenreiter.

Weniger Einwohner wegen Überalterung

Der Waidhofener Bezirkshauptmann Günther Stöger erklärt das mit der Überalterung. Diese bedinge hohe Sterbe- und geringere Geburtenraten, was eine Spirale nach unten erzeuge, so Stöger. Der zweite Grund sei die Abwanderung Richtung Wien: „Viele kommen zwar zurück, weil die Lebensqualität einfach deutlich höher ist. Aber die Frage ist: Erst in der Pension oder schon früher?“

Eine Voraussetzung, um auch Junge anzulocken, sei eine für eine so ländliche Region wie das Waldviertel außergewöhnlich hohe Abdeckung mit Breitband-Internet. Bezirkshauptmann Stöger erhofft sich dadurch ein Einbremsen der Abwanderung.

Strasshof bremst Zuwanderung ein

Ein Einbremsen der Zuwanderung – und damit das Gegenteil – erhofft sich Ludwig Deltl (SPÖ), der Bürgermeister von Strasshof an der Nordbahn (Bezirk Gänserndorf). Strasshof wuchs in den vergangenen zehn Jahren um fast 30 Prozent. Was Folgen hat, denn ein Mehr an Einwohnern bedingt auch ein Mehr an entsprechender Infrastruktur. Neben Wohnraum sind das auch Schulen und Kindergärten, die schnell gebaut werden müssen. Deshalb wurde im Vorjahr eine Bausperre eingelegt. Zumal der unkontrollierte Zustrom auch die Grundstückspreise in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht habe, wie Deltl betonte.

Die Wissenschaftlerin Gerlind Weber – sie ist Expertin für Soziologie und Raumplanung – erforscht diese Entwicklung seit Jahrzehnten: „Es ist eine Wanderbewegung von Wien hinaus in das Umland, aber auch von einigen Regionen Niederösterreichs, die weiter von Wien entfernt sind, in Richtung der Bundeshauptstadt. Dadurch steigen in dieser Region rund um Wien die Bodenpreise. Der Kreis wird weiter, um wieder leistbaren Wohnraum zu finden, aber trotzdem die Wien-Nähe aus beruflichen Gründen zu haben.“

Ein regionaler Ausgleich wird gefordert

Sie fordert mehr politische Einflussnahme: „Es wäre ein Grundauftrag, hier einen regionalen Ausgleich zu schaffen. Weil sonst nämlich die sogenannten Disperitäten immer größer werden. Die, die wuchern, die wuchern weiter, während die, die schrumpfen, ebenfalls weiter schrumpfen.“

Aber vielleicht leitete die Coronavirus-Pandemie auch eine Trendwende ein, wieder hin zum Leben auf dem Land. Die Anfragen bei den Immobilienträgern seien zuletzt sprunghaft gestiegen, sagte der Zwettler Bürgermeister Franz Mold (ÖVP): „Einerseits bin ich froh, wenn Corona endlich vorbei ist, aber andererseits würde ich mich freuen, wenn dieser Trend zum Wohnen auf dem Land anhält.“ Aber zur landschaftlichen Attraktivität braucht es wohl ein Konzept für alle Altersschichten, um die Abwanderung zu stoppen.