Norbert Nowotny
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Coronavirus

Virologe: „Normales Leben im Herbst“

Der zuletzt konstante Anstieg der Coronavirus-Neuinfektionen beunruhigt Fachleute – vor allem wegen des immer höheren Anteils an Mutationen. Laut dem Virologen Norbert Nowotny sei noch ein längerer Weg zu gehen. Eine Normalität erwartet er im Herbst.

In Niederösterreich stieg die Zahl der aktiven Infektionen seit den Lockerungen vor zwei Wochen konstant an. Die 7-Tage-Inzidenz, die einen Überblick über das Infektionsgeschehen der vergangenen sieben Tage pro 100.000 Einwohnern ausweist, liegt in Niederösterreich mit einem Wert von 159,7 derzeit so hoch wie zuletzt vor Weihnachten. Vor zwei Wochen lag sie noch bei 107. Norbert Nowotny, Virologe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, sprach im „NÖ heute“-Interview über den derzeit stark steigenden Anteil der Virusmutationen, den Impfstoffengpass und gab als Schätzung für ein „annähernd normales Leben“ den Herbst an.

noe.ORF.at: Zwei Wochen liegen die Öffnungsschritte jetzt zurück. Woran liegt es, dass wir nun mehr Fälle als vor 14 Tagen haben: an den Öffnungen, an den Mutationen oder an der hohen Anzahl der durchgeführten Tests?

Norbert Nowotny: Ich denke, dass hier alle drei Faktoren zusammenspielen. Wir sind mittlerweile Testweltmeister und je mehr wir testen, desto mehr Fälle finden wir und können Infektionsketten unterbrechen. Aber wir wissen auch, dass sich die Lockerungen hier bemerkbar machen und dass vor allem im Osten Österreichs die britische Variante überhand nimmt. Wir haben teils schon 50 Prozent der Neuinfektionen durch die britische Variante. Die ist nicht nur ansteckender, sondern könnte aktuellen Daten der britischen Behörden nach sogar zu etwas schwereren Krankheitsbildern führen.

noe.ORF.at: Von der südafrikanischen Variante gibt es in Niederösterreich bisher keinen Nachweis. Ist sie bei uns noch nicht angekommen oder hat man sie nur nicht gefunden?

Nowotny: Es ist durchaus realistisch, dass die südafrikanische Variante noch nicht nach Niederösterreich gelangt ist, denn derzeit werden alle PCR-Tests auch auf die verschiedenen Varianten untersucht.

noe.ORF.at: Muss man befürchten, wenn die Varianten so ansteckend sind, dass sie den Impfstoff quasi überholen, also dass die Impfstoffe dadurch an Wirksamkeit einbüßen?

Nowotny: Es ist so, dass alle derzeit am Markt befindlichen Impfungen einen Basisschutz geben werden. Wie hoch dieser ist, können wir nicht sagen, aber definitiv wird dadurch ein Schutz aufgebaut. Ich gehe davon aus, dass wir in einem Jahr ohnehin eine Auffrischungsimpfung brauchen werden und die wird dann mit jenem Virusstamm sein, der dann die aktuellste Virusvariante darstellt.

Norbert Nowotny
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Norbert Nowotny im Gespräch mit Werner Fetz

noe.ORF.at: In Niederösterreich wurde Ende Dezember mit dem Impfen begonnen und nach wie vor gibt es Cluster in Pflegeheimen. Wie kann das sein?

Nowotny: Das weiß ich auch nicht. Genau das sollte verhindert werden, denn wir wissen, dass ältere Menschen besonders schwer erkranken und auch an dem Virus versterben. Eine mögliche Erklärung wäre, dass sich nur etwa die Hälfte des Pflegepersonals hat impfen lassen.

noe.ORF.at: Zur Beurteilung der aktuellen Sitution werden die aktuellen Infektionszahlen herangezogen. Muss man hier irgendwann umdenken, sobald die vulnerablen Gruppen durchgeimpft sind und dann vielleicht eher auf die Auslastung der Spitäler achten?

Nowotny: Absolut! Allerdings wird das leider noch etwas dauern, bis selbst die vulnerablen Gruppen durchgeimpft sind. In den Pflegeheimen ist man fast durch. Aber es wird noch brauchen, bis die Über-75-Jährigen außerhalb der Pflegeheime geimpft sind. Danach kann man das, was Sie gesagt haben, andenken.

noe.ORF.at: Vor den Lockerungen Anfang Februar haben Sie gesagt, dass es nicht allzu lange brauchen wird, bis es wieder Einschränkungen braucht. Bleiben Sie in Anbetracht der aktuellen Situation bei dieser Einschätzung?

Nowotny: Ich bleibe bei dieser Einschätzung, jedoch mit einer kleinen Variation: Ich könnte mir vorstellen, dass wenn wir jetzt vermehrt auf regionale Maßnahmen setzen – und es gibt gewaltige Unterschiede der 7-Tage Inzidenz zwischen den einzelnen Bezirken – dass wir uns bundesweite restriktive Maßnahmen sparen können, wenn wir in einzelnen Bezirken restriktive Einschränkungen setzen.

noe.ORF.at: Die Pandemie wird als Marathon bildlich dargestellt. Wenn man die Normalität als Ziel betrachtet, bei welchem Kilometer stehen wir jetzt?

Nowotny: Ich würde sagen, dass wir bei Kilometer 30 oder 31 angekommen sind und damit noch eine lange Gerade vor uns haben. Normalität wird erst dann einkehren, wenn wir genügend Impfstoffe zur Verfügung haben und das wird leider erst im Sommer so weit sein. Ich gehe also davon aus, dass wir erst im Frühherbst ein einigermaßen normales Leben haben werden.