Soziales

Marienthal: Chance für Langzeitarbeitslose

Dass Langzeitarbeitslosigkeit eine psychische Belastung darstellt, hat schon die Marienthalstudie 1933 gezeigt. An ihrem Entstehungsort in Gramatneusiedl (Bezirk Bruck an der Leitha) hilft das AMS seit Herbst Langzeitarbeitslosen zurück ins Berufsleben.

Das AMS-Projekt ist in der ehemaligen Textilfabrik in Gramatneusiedl beheimatet. Der Standort und die Auswahl der Projektgemeinde ist kein Zufall. Als die Fabrik in Marienthal 1930 wegen der Weltwirtschaftskrise schließen musste, verloren über 1.000 Menschen ihre Arbeit.

Die 1933 publizierte Marienthalstudie zeigte die psychischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf. Demnach führte der Verlust des Arbeitsplatzes zu Apathie, Hoffnungslosigkeit und Depression. Die Studie gehört heute zu den international bekanntesten Werken österreichischer Wissenschaft. Sie gilt noch immer als aktuelles Grundlagenwerk der Arbeitslosenforschung und als wegweisendes Projekt der empirischen Sozialforschung.

Archivbild von ehemaliger Textilfabrik Marienthal
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Nach der Schließung der Fabrik 1930 entstand die berühmte Studie über die „Arbeitslosen von Marienthal“

Projekt zeigt positive Wirkung von Vollbeschäftigung

Das „Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal“ (MAGMA) wurde in Anlehnung an die Marienthalstudie von 1933 entwickelt, will aber den umgekehrten Effekt aufzeigen, nämlich welche positive Wirkung Vollbeschäftigung auf Menschen hat. Das Projekt läuft über einen Zeitraum von drei Jahren und hat sich zum Ziel gesetzt, alle Langzeitarbeitslosen aus Gramatneusiedl wieder in Beschäftigung zu bringen. MAGMA wird von den Universitäten Wien und Oxford wissenschaftlich begleitet.

Seitens des AMS Niederösterreich zeigt man sich bisher zufrieden. „Wir sehen, dass sich die ersten Teilnehmer und Teilnehmerinnen sehr gut entwickeln, dass sie sehr motiviert sind und arbeiten wollen. Das ist ja etwas, was wir zeigen wollten, dass die meisten Langzeitarbeitslosen nichts sehnlicher wollen, als endlich wieder zu arbeiten. Da wollen wir sie bestmöglich unterstützen“, sagt der Geschäftsführer des AMS Niederösterreich, Sven Hergovich.

Ehemalige Textilfabrik Marienthal Gramatneusiedl
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Auf 500 Quadratmetern sind in der ehemaligen Textilfabrik eine Kreativwerkstatt sowie eine Tischlerei untergebracht

Beschäftigung bringt mehr Kraft und Motivation

Am Jobprojekt nehmen aktuell 42 Personen aus Gramatneusiedl teil. Sie alle waren zuvor langzeitarbeitslos. Eine von ihnen ist Joanna D. Die 43-Jährige ist froh, wieder beschäftigt zu sein. „Ich habe mehr Kraft und mehr Motivation, um einen Job zu suchen und Bewerbungen zu schicken, denn das war früher manchmal schwer“, so die Projektteilnehmerin.

Auch Karl B. hat wieder neue Hoffnung geschöpft. Der ehemalige Schuhhändler war lange ohne Job. „Ich bin seit Anfang Februar bei MAGMA und noch in der Einschulungs- und Einlernphase. Ich habe ein paar Seminare besucht und alles kennengelernt. Es gefällt mir recht gut und ich finde es interessant. Es ist für mich wieder ein Schritt nach vorne in eine Zukunft“, sagt er hoffnungsvoll.

Teilnehmerin von AMS Projekt an Nähmaschine
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Joanna D. hat durch die Teilnahme an dem AMS-Projekt wieder mehr „Kraft und Motivation, um einen Job zu suchen“

Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden am Standort der ehemaligen Textilfabrik in Gramatneusiedl auf 500 Quadratmetern neue Jobs geschaffen. So gibt es etwa eine Kreativwerkstatt, wo Textilien wie etwa Kinderrucksäcke genäht werden. In einer Tischlerei fertigen Projektteilnehmer Arbeitstische oder Hochbeete aus Holz an. In einem anderen Arbeitsauftrag widmen sich die Beschäftigten zum Beispiel der Planung eines Radwanderweges.

Erster und zweiter Arbeitsmarkt

Als ersten Arbeitsmarkt bezeichnet man den „normalen“ Arbeitsmarkt, auf dem Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse bestehen, die im Unterschied zum zweiten Arbeitsmarkt ohne öffentliche Förderungen oder staatliche Maßnahmen zustande gekommen sind.

Ziel ist Wiedereinstieg am ersten Arbeitsmarkt

Ziel ist es, langfristig für jede Person wieder einen Arbeitsplatz am ersten Arbeitsmarkt zu finden, sagt AMS-Geschäftsführer Sven Hergovich. „Wir haben schon jetzt Teilnehmer, die am ersten Arbeitsmarkt Arbeit gefunden haben, aber wir gehen auch davon aus, dass es Teilnehmerinnen und Teilnehmer gibt, die zum Beispiel aus Gesundheitsgründen am ersten Arbeitsmarkt nichts mehr finden werden und für die müssen wir zusätzliche Arbeitsplätze schaffen und finanzieren.“ Das AMS Niederösterreich rechnet mit rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern über den gesamten Projektzeitraum.