Fußball-Länderspiel auf der Hohen Warte in Wien am 1.1.1930, Jubel der Zuschauer über ein Tor des legendären Wunderteams
ÖNB Wien/Lothar Rübelt
ÖNB Wien/Lothar Rübelt
Kultur

Als Sport Geschichte schrieb: „I wer’ narrisch!"

Cordoba? Nürburgring? Patscherkofel? Krankl, Lauda und Klammer? Sportfans verbinden mit diesen Orten und Namen österreichische Sportgeschichte. Ab 13. März zeigt das Haus der Geschichte in St. Pölten die Ausstellung „I wer narrisch! Das Jahrhundert des Sports“.

„Nach der Ausstellung über Adolf Hitler nehmen wir nun eine scharfe Kurve in Richtung Freizeitgeschichte. Es geht uns um die Wechselwirkung zwischen Sport und Gesellschaft in den letzten 100 Jahren“, erläuterte Christian Rapp, wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte die Zielsetzung.

„Da spielen Politik, Medien und Wirtschaft eine große Rolle. Es wird auch ein Blick hinter die Kulissen des Sportbetriebs: Was steckt hinter großen Leistungen, was macht die Faszination aus?“, ergänzte der Sporthistoriker Bernhard Hachleitner, der die Ausstellung gemeinsam Christian Rapp, Bernhard Vogl und Andrea Thuile kuratierte. Gestaltet wurde sie von der Südtiroler Gruppe Gut.

Über Siege, Medaillen, Wunderteams und Grenzen

Die Sonderausstellung „I wer‘ narrisch! Das Jahrhundert des Sports“ im Haus der Geschichte in der Kulturstadt St. Pölten soll Kulturbegeisterte ebenso ansprechen wie Sportfans. Sie wird auch Jung und Alt die Gelegenheit geben, die geistige und die körperliche Fitness unter Beweis zu stellen. „Die Schau erzählt die Geschichte von faszinierenden Persönlichkeiten und Mannschaften, von spektakulären Siegen und Niederlagen. Sie erzählt von technischen Entwicklungen im Sport und von seiner politischen Verführungskraft“, heißt es auf der Website des Museums.

Ingrid Wendls Eislaufschuhe
Ingrid Wendl/NÖ Museum Betriebs GmbH
Mit diesen Schuhen lief Ingrid Wendl zur Bronzemedaille im Damen-Eiskunstlauf bei den Olympischen Winterspielen 1956, in drei Saisonen gewann Wendl sieben Medaillen bei Großereignissen

Im zweiten Teil der Ausstellung können die Besucherinnen und Besucher aktiv werden, verschiedene Sportarten ausprobieren oder einen Sportwettkampf kommentieren. Dieser Bereich wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Sportland Niederösterreich entwickelt – offizieller Kooperationspartner von „I wer’ narrisch! Das Jahrhundert des Sports“. Vier niederösterreichische Sportlerinnen und Sportler sind Botschafterinnen und Botschafter der Ausstellung: Fußballlegende Toni Pfeffer, die Karatekämpferin Funda Celo, der Schwimmer Andreas Onea und die zweifache Olympiasiegerin Michaela Dorfmeister.

Das Jahrhundert des Sports

Sport wurde in den letzten 100 Jahren zum Massenphänomen, unabhängig davon, ob man zuschaut oder mitmacht. Die Einführung des Achtstundentages nach dem Ersten Weltkrieg schuf für die Menschen erstmals die Möglichkeit einer aktiven Freizeitgestaltung, sie bildet eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung des Sports in der Gesellschaft.

„Industrialisierung und wachsender Wohlstand haben auch einen Bewegungsmangel der Menschen zur Folge, dem wiederum ein verstärktes Gesundheitsbewusstsein entgegenwirken soll. Die Geschichte des Sports steht daher immer auch in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen, es geht um Fragen der politischen Instrumentalisierung, der Ausgrenzung, der Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion“, heißt es auf der Website des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich. Die Ausstellung, die von 13. März bis 9. Jänner 2022 in der Landeshauptstadt zu sehen ist, präsentiert das „Jahrhundert des Sports“ anhand von fünf Themenbereichen.

Der Körper muss in Form sein

Adalbert Slama (1884–1965) war Sportlehrer in Stockerau (Bezirk Korneubug), Landesschulinspektor für Leibeserziehung, Lehrbeauftragter an der Universität Wien und in der Christlich-deutschen Turnerschaft bzw. der Turn- und Sportunion tätig. In der Ausstellung wird dokumentiert, dass Slama als einer der Ersten multimedialen Sportunterricht anbot: Er arbeitete mit Fotos, drehte Filme und ließ von seiner Illustratorin Hilde Fischer Bewegungsskizzen anfertigen.

Turnunterricht undatiertes Foto
Sporthistorisches Archiv, Institut für Sportwissenschaft Univ. Wien/Adalbert Slama
Dieses – leider undatierte – Bild zeigt, wie Turnunterricht vor vielen Jahrzehnten unter dem Motto „Der Körper muss in Form sein“ ablief

Filmausschnitte, Plakate und Objekte zeigen die wechselnden Körper- und Fitnessideale von den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart. Dabei wird auch der in vielfacher Hinsicht problematische Umgang mit dem Körper thematisiert, vor allem mit dem weiblichen. Er reicht von der Diskriminierung der Frau im Sport durch pseudowissenschaftliche Argumente über Schönheitsnormen bis zu sexistischen Formen der Vermarktung.

Höher, schneller, weiter

Die Ausrüstung von Sportlerinnen und Sportlern wird mit hohem finanziellem und zeitlichem Aufwand perfekt an den Körper angepasst und auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Ab 2008 waren beispielsweise High-Tech-Schwimmanzüge in Gebrauch, die den Wasserwiderstand herabsetzten und Auftrieb und Körperstabilität verbesserten. Nach vielen neuen Rekorden und heftigen Diskussionen wurden sie zwei Jahre später verboten. In der Ausstellung ist ein Anzug aus dem Besitz von Markus Rogan zu sehen.

Wie Rennräder an die Anforderungen unterschiedlicher Disziplinen angepasst werden, zeigen ein Bahnrennrad aus den 1930er-Jahren von Max Bulla, dem einzigen Österreicher, der jemals im Gelben Trikot bei der Tour de France fuhr, und ein Rad von Roland Königshofer, dem dreifachen Steher-Weltmeister aus den 1990er-Jahren.

Österreich Radrundfahrt 2016 Glockneretappe
APA/EXPA/JFK
Der Großglockner ist bei der Österreich-Radrundfahrt immer eine Herausforderung – in den 1970er-Jahren halfen manchmal „Spezialmittel“, Radrennfahrer wurden damals oft als „rollende Apotheken“ bezeichnet

Und was Doping ist, definieren meistens der Zeitgeist und der Stand der Technik. Das veranschaulicht der Medikamentenkoffer des Radsportlers Alfred Kain aus den 1950er-Jahren. Er enthält damals im Radsport übliche Aufputschmittel und Medikamente, von denen die meisten heute auf der Verbotsliste zu finden sind.

Wer gehört dazu?

Vereine und Verbände sind wesentlich für das Sportgeschehen. „Sie organisieren Training und Wettkämpfe und kümmern sich um die Förderung des Nachwuchses. Sie stärken den Zusammenhalt und stiften Gemeinschaften, die über die Gruppe der aktiven Vereinsmitglieder hinausgeht und mit der sich auch Fans identifizieren können. Sie definieren aber auch, wer zu einer Gemeinschaft dazugehört und wer nicht“, so das Haus der Geschichte. Gerade in der Ersten Republik zieht sich die politische Spaltung der Gesellschaft auch durch die Sportvereine. Der Ausschluss von jüdischen Sportlerinnen und Sportlern beginnt schon im 19. Jahrhundert durch sogenannte Arierparagraphen in den Statuten vieler Vereine.

Als Reaktion darauf wird der jüdische Sportverein Hakoah gegründet. Bis zu seinem Verbot 1938 ist er einer der mitgliederstärksten Vereine Österreichs. Fotos und Auszüge aus dem Vereinsakt berichten über das Frauenschwimmteam und die folgenreiche Entscheidung von vier Schwimmerinnen, an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin nicht teilzunehmen. Die Ausstellung erzählt auch die Geschichte der Flucht und Rückkehr von Emanuel Schwarz, dem Präsidenten des Wiener Fußballklubs Austria in den Jahren von 1946 bis 1955.

Der Sport braucht Bühnen

Eine Sitzbank der Pfarrwiese, der ehemaligen Heimstätte des SK Rapid, Modelle des Bundessportzentrums Südstadt und der Innsbrucker Bergiselschanze dokumentieren die Geschichte der Inszenierung des Sports. Gerade bei Olympischen Spielen wird deutlich, dass diese Inszenierung in ein weit über die Architektur hinausgehendes Gesamtkonzept eingebettet ist: Das zeigen in der Ausstellung Plakate, Olympische Fackeln von den Spielen in Berlin 1936 sowie Innsbruck 1964 und 1976, aber auch die Bekleidung der österreichischen Mannschaft bei der Eröffnungsfeier und die Goldmedaille von Franz Klammer im Ski-Abfahrtslauf von 1976.

Modell der Berg-Isel-Sprungschanze in Innsbruck 1976
ARCHIV FÜR BAU.KUNST.GESCHICHTE/Johannes Plattner
Das Architekturmodell für das Skisprungstadion am Bergisel in Innsbruck, bei den Olympischen Spielen 1976 gewannen hier Karl Schnabl und Toni Innauer Gold und Silber auf der Großschanze

Einen Kontrast zu diesen durchkonzipierten Inszenierungen bildeten Autorennen, die bis in die 1970er-Jahren auf völlig ungesicherten Pferderennstrecken, Flugplätzen oder Landstraßen stattfanden und bei denen Rennfahrer meist auch ihre eigenen Mechaniker waren. Privatfahrer traten neben großen Stars wie dem späteren Formel-1-Weltmeister Jochen Rindt oder dem Motorradweltmeister Rupert Hollaus aus Traisen (Bezirk Lilienfeld) an. Das illustrieren Fotos von Rennen in Niederösterreich und Objekte wie die Kurbelwelle eines Puch-Rennmotorrads aus den 1930er-Jahren.

Sport in Ton und Bild

Erst die Massenmedien machen den Sport auch zum Massenphänomen. 1928 liefert die erste Radioübertragung eines Fußball-Länderspiels in Österreich das Match ins Wohnzimmer. Die Spiele des legendären „Wunderteams“ waren nicht zuletzt Medienereignisse. Das berühmteste Spiel, die 3:4-Niederlage gegen England im Dezember 1932, wurde via Unterseekabel live aus London übertragen, sogar mit Großlautsprechern am Wiener Heldenplatz. In der Ausstellung sind Ausschnitte aus legendären Radioreportagen zu hören. Zu sehen ist auch Paul Meissners Gemälde „Das Wunderteam“, das die österreichische Mannschaft beim Einlaufen ins Londoner Stamford Bridge Stadion zeigt.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Funda Celo
Pixel & Pony
Die Ausstellung hat vier Botschafterinnen und Botschafter: Die 19-jährige Neulengbacherin Funda Celo schlägt sich buchstäblich durchs Leben – und das mit WM- und EM-Titel höchst erfolgreich: Sie betreibt „Kata“, eine spezielle Art des Karate
Andreas Onea
Fargo Circle
Der 1992 in Zwettl geborene Andreas Onea verlor bei einem Autounfall seinen linken Arm, zu Therapiezwecken begann er zu schwimmen – und gewann neun Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften und eine bei den Paralympics
Michaela Dorfmeister
SportPeak GmbH
Die Amstettnerin Michaela Dorfmeister errang in ihrer 14-jährigen Ski-Karriere zwei Olympiasiege, zwei Weltmeistertitel und einen Gesamtweltcupsieg, 2006 wurde sie zur österreichischen Sportlerin des Jahres gewählt
Toni Pfeffer
Pixel & Pony
Der 1965 in Lilienfeld geborene Toni Pfeffer ging mit seinem legendären Satz in der Halbzeit des Fußball-Länderspiels gegen Spanien in die Annalen der Sportgeschichte ein, als er bei einem 0:5-Rückstand sagte: „Hoch wer‘ mas nimma g’winnen“

Auch Edi Fingers legendärer und für diese Ausstellung titelgebender Satz „I wer‘ narrisch!“ über Österreichs Sieg gegen Deutschland bei der Fußball-WM ertönte 1978 aus dem ORF-Radio. Ein Bildfunkgerät aus dem Jahr 1960 ist Zeugnis einer rasanten technologischen Entwicklung in den Medien, die sich mit Digitalkameras auf Schienen, GoPros auf Helmen und Drohnenflügen bereits mehrfach selbst überholt hat. Das Millionenpublikum macht Sport auch zu einem Milliardengeschäft.

Auf die Plätze, fertig, los!

Im letzten Raum der Ausstellung sind die Besucherinnen und Besucher am Zug: „An sieben interaktiven Stationen messen sie ihre Sprungkraft, versuchen sich auf der Slackline, betreiben mit dem Standrad eine Carrera-Autorennbahn oder begeben sich am Ski-Simulator auf die Slalompiste. In der Selfie-Station mischen sie sich unter die Stars und in der Kommentatorenbox machen sie Rainer Pariasek Konkurrenz.“