Deportation mit Viehwaggons in der NS-Zeit
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Wissenschaft

Die Reise im Viehwaggon in Richtung Tod

Im Frühjahr 1941 begann die Deportation jüdischer Mitbürger in die NS-Vernichtungslager. Die jüdische Gemeinde St. Pöltens war stark betroffen. Mit Steinen der Erinnerung wird jener gedacht, die vor 80 Jahren in Viehwaggons ihre Reise in den Tod antreten mussten.

Josef Rosenstingl und sein Sohn Alfred, der sich später im englischen Exil Alfred Ratcliffe nannte, flüchteten 1939 von St. Pölten aus gemeinsam nach Italien, wo Vater Josef von den Behörden aber das Visum nach Großbritannien verweigert wurde. Nur der Sohn durfte weiterreisen. Seinen Enkeln erzählte dieser später von der herzzerreißenden Szene am Bahnhof, als er sich von seinem Vater verabschieden musste. Beide weinten. Alfred hatte sich niedergekniet und um den Segen des Vaters gebeten. Beide ahnten, dass es ein Abschied für immer war.

Der Vater, Josef Rosenstingt, wurde von den Italienern nach Wien abgeschoben und schließlich 1941 von den nationalsozialistischen Machthabern vom Aspangbahnhof aus nach Riga in Nordosteuropa deportiert und dort ermordet. Er schrieb noch 1941 an seinen Sohn: „Übermorgen ist es zwei Jahre her, seitdem wir Abschied nahmen. Noch fühle ich deine warme Wange, als ich dich zum Abschied küsste.“ Sohn Alfred meldete sich in London freiwillig zum Militär und konnte als Befreier 1945 seine Mutter in Wien wiederfinden und in die Arme schließen.

Steine der Erinnerung in St. Pölten
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Steine des Erinnerung für mehrere Familien, die im Haus Lederergasse 8 in St. Pölten wohnten

Dieses Schicksal lässt sich, wie weitere 67 andere, nachlesen in den Broschüren, die begleitend zu den verlegten Steinen der Erinnerung vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs herausgegeben wurden. Josef Rosenstingl betrieb in der Herzogenburger Straße 31 ein kleines Gemischtwarengeschäft, das bereits 1938 von den Nazis liqudiert wurde. Er wurde verhaftet.

1941 keine jüdischen Mitbürger mehr in Niederösterreich

1941, also genau vor 80 Jahren, lebten – außer jenen Personen, die versteckt wurden – keine jüdischen Familien mehr in St. Pölten. „Alle haben bereits in Sammelwohnungen in Wien gelebt. Das heißt, in zwangsweise zugewiesenen Wohnungen, mit zum Teil mehreren Familien auf engstem Raum. Das waren schon richtige Deportations- oder Konzentrationsorte“, schilderte Martha Keil, die Leiterin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs, die Lage.

In Viehwaggons und unter unmenschlichen Bedingungen wurden die meisten St. Pöltner Männer, Frauen und Kinder der jüdischen Gemeinde Ende Februar und Anfang März 1941 von Wien in die polnischen Ghettos in Lodz und Opole gebracht. „Aus Opole kommen die Menschen dann weiter ins Vernichtungslager nach Sobibor, von Lodz werden die Menschen zu den Gaswagen nach Chelmno gebracht oder von dort weiter nach Ausschwitz“, erklärte die Historikerin Keil. Erste vereinzelte Transporte gab es bereits im Jahr 1939, die verschleppten Menschen mussten in Osteuropa die ersten Internierungslager aufbauen.

Deportation mit Viehwaggons in der NS-Zeit
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Jüdische Mitbürger und Mitbürgerinnen auf einem Bahnhof

32 Steine für 68 Menschen an 26 Adressen

Im Herbst 2020 wurden 20 Steine der Erinnerung, wenn möglich im Beisein von Angehörigen, an den letzten freiwilligen Wohnsitzen der Betroffenen in der Stadt im Asphalt der Gehsteige eingelegt. Sie dienen den Menschen als Mahnung und den Hinterbliebenen als wichtiger Ort der Trauer und der Erinnerung. Denn von den Verschleppten und Ermordeten gibt es keine Gräber.

„Ich finde es sehr schön, wenn man sich nach so vielen Jahren noch an diese umgekommenen Menschen erinnern kann“, sagte Hans Morgenstern gegenüber noe.ORF.at. Der Stein der Erinnerung für seine Großmutter liegt in der Kremser Gasse. „Wir sind 1939 nach Palästina emigriert. Da war ich eineinhalb Jahre alt. Ich habe natürlich keine Erinnerung an die Großmutter. Aber ich weiß, dass sie 1941 von St. Pölten nach Wien musste.“

Für die Steine der Erinnerung können Patenschaften übernommen werden. Weitere Informationen dazu befinden sich auf der Internetseite des Instituts für jüdische Geschichte, das in in der ehemaligen Synagoge in St. Pölten seinen Sitz hat. Ähnliche Initiativen mit Gedenksteinen gibt es in Bad Erlach (Bezirk Wiener Neustadt), Hinterbrühl (Bezirk Mödling), Krems an der Donau, Mödling, Neunkirchen, Pitten (Bezirk Neunkirchen) und Wiener Neustadt.