Impfstoff von AstraZeneca
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Coronavirus

Experte: Festhalten an AstraZeneca „klug“

Ein Verzicht auf den AstraZeneca-Impfstoff – wie in anderen Ländern – würde die Impfstrategie deutlich verzögern. In Niederösterreich wäre ein Großteil der nächsten Termine betroffen. Der Epidemiologe Gerald Gartlehner sieht keinen Grund zur Ablehnung.

Der AstraZeneca-Impfstoff hat zuletzt die Schlagzeilen bestimmt. In Österreich wird der Impfstoff vorerst weiter verwendet – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern wie etwa Deutschland. Seither sind viele Ärztinnen und Ärzte, die gegen das Coronavirus impfen, mit einer Flut an sorgenvollen Anfragen konfrontiert. Die Verunsicherung dürfte gestiegen sein, berichtet etwa Gerhard Hartenstein, Allgemeinmediziner in Tulln. „Ich bemerke das wirklich massiv. Viele Menschen rufen fast panikartig an.“

Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen führt der Arzt derzeit besonders vielen Aufklärungsgespräche und setzt bei seinen Patientinnen und Patienten auf Beratung. „Was an den Nebenwirkungen mit dem Impfstoff zusammenhängen könnte, müssen natürlich Experten herausfinden. Ich versuche aber schon, zur Impfung zu motivieren. Sehr viele meiner Patienten zählen zur Risikogruppen und sind sehr alt. Da ist die Impfung definitiv besser als die Erkrankung.“

Gartlehner rät weiterhin zu AstraZeneca-Impfungen

Der Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems plädierte im „NÖ heute“-Interview am Dienstag für eine genaue Überprüfung der bisher aufgetretenen Nebenwirkungen. Dennoch beurteilte er die Entscheidung Österreichs, vorerst weiter mit dem Impfstoff von AstraZeneca zu impfen, als „klug“. Noch gäbe es keinen Grund, daran zu zweifeln, so Gartlehner. „Meiner Meinung nach hat sich hier in Europa eine Dynamik breit gemacht, die mehr politisch als wissenschaftlich bedingt ist.“

Gerald Gartlehner
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Epidemiologe Gerald Gartlehner würde auf Grundlage der bisherigen Daten nach wie vor zu einer Impfung mit AstraZeneca raten

Dem Experten zufolge würde die aktuelle Datenlage von einem Menschen pro 160.000 mit AstraZeneca geimpften Personen ausgehen, der ein Blutgerinnsel entwickeln könnte. Im Vergleich dazu sei etwa die Antibabypille deutlich gefährlicher. Hier komme es bei einer von 2.000 Frauen zu einem Blutgerinnsel. Am gefährlichsten sei nach wie vor die Infektion mit dem Coronavirus, bei der ein Drittel der Covid-19-Erkrankten Blutgerinnsel entwickeln würde, so Gartlehner. „Es ist also wesentlich gefährlicher, eine Thrombose in Folge einer Erkrankung zu entwickeln, als in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung.“

Kaum Einfluss auf Abmeldungen von Impfung

Zu einer Abmeldeflut dürfte die derzeit gestiegene Verunsicherung nicht führen. Notruf Niederösterreich, bei dem auch die niederösterreichische Impfkoordination angesiedelt ist, verzeichnet derzeit zwar Terminstornierungen, aber nur ein paar Dutzend pro Tag, wie es gegenüber noe.ORF.at heißt. Der Großteil der derzeit verfügbaren Impfstoffe stammt von AstraZeneca. 55 Prozent der zuletzt vergebenen Impftermine wurden dem britisch-schwedischen Impfstoff zugewiesen.

Der Hersteller kämpft derzeit allerdings nicht nur mit fehlendem Vertrauen, sondern auch mit Lieferproblemen. Wie am Dienstag bekannt wurde, müssen 10.000 Niederösterreicherinnen und Niederösterreich, die bereits einen Termin zugeteilt bekommen hatten, umgebucht werden. Sie erhalten einen neuen Termin sowie einen anderen Impfstoff.

Epidemiologe Gartlehner im Interview

Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems über die wissenschaftliche Datenlage zum AstraZeneca-Impfstoff

Impfgremium tagt am Donnerstag erneut

Die Entscheidung, ob AstraZeneca generell verwendet wird, hatte das nationale Impfgremium Montagabend auf Donnerstag vertagt. Bis dahin erwartet man neue Daten für eine nächste Empfehlungsgrundlage. Momentan überwiege jedenfalls der Nutzen das Risiko. Auch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) zeigte sich am Dienstag nach wie vor von dem Impfstoff überzeugt. Man habe bisher keine Hinweise darauf, dass der CoV-Impfstoff von AstraZeneca eine Blutgerinnung verursache – mehr dazu in EMA weiterhin von AstraZeneca überzeugt (news.ORF.at; 16.3.2021).

Nach einer Million Impfungen in Österreich wurden bislang 31 lebensbedrohliche Nebenwirkungen registriert. 19 davon beziehen sich auf das Vakzin von Biontech/Pfizer und zwölf auf jenes von AstraZeneca. Laut Behördenauskunft steht kein einziger Todesfall in einem bewiesenen Zusammenhang mit einer Impfung. Acht Fälle werden allerdings momentan noch untersucht – etwa auch jener der 49-jährigen Krankenpflegerin, die in Zwettl geimpft wurde und wenig später an einer Gerinnungsstörung starb. Momentan gibt es keinen Hinweis, dass das eine das andere verursacht hat, das Obduktionsergebnis steht aber weiterhin aus – mehr dazu in Todesfall: Nebenwirkungen werden analysiert (noe.ORF.at; 9.3.2021).

Impfanmeldung ab Freitag für 72- bis 79-Jährige

Unterdessen wird in Niederösterreich die Altersgrenze von bisher 80 Jahren gesenkt. In der nächsten Anmelderunde am Freitag können sich 72- bis 79-Jährige zur Coronavirus-Impfung anmelden. Ob ihr Termin dann auch halten kann, hängt aber letztlich maßgeblich von den weiteren Entscheidungen zum Impfstoff von AstraZeneca ab. Sollte er tatsächlich nicht mehr zum Einsatz kommen, würde schlagartig ein großer Teil der verfügbaren Impfdosen fehlen.