Bauernbund-Demo 1971
ORF/Archiv
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Politik

Josefi 1971: Als die Bauern Wien eroberten

19. März 1971: Vor 50 Jahren sind am Josefitag niederösterreichische Bauern mit 7.000 Traktoren nach Wien gefahren, um gegen die Agrarpolitik von Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) zu demonstrieren. Es war die seit 1945 bisher größte bäuerliche Kundgebung.

Vermutlich war schon am 1. März 1970 der Grundstein für die große Unzufriedenheit der Bauern und die damit zusammenhängende Bereitschaft zu Protesten gelegt worden: Die SPÖ unter Bruno Kreisky hatte an diesem Tag die Nationalratswahl gewonnen. Die ÖVP, die seit 1945 den Bundeskanzler gestellt hatte, hatte nicht nur den Kanzler und die absolute Mehrheit im Nationalrat, sondern auch die relative Stimmenmehrheit verloren. Zum ersten Mal sah sich der Österreichische Bauernbund, die stärkste Teilorganisation der ÖVP, mit einer sozialistischen Minderheitsregierung konfrontiert.

Für den niederösterreichischen Landeshauptmann Andreas Maurer (ÖVP), der im Mai 1970 zum Obmann des Niederösterreichischen Bauernbundes gewählt werden sollte, und „andere agrarische Spitzenfunktionäre war klar, dass man nun erstmals in der Geschichte des Ackerbau- beziehungsweise Landwirtschaftsministeriums einen sozialistischen Minister als Gesprächs- und Verhandlungspartner akzeptieren musste“, so die Agrarhistoriker Ernst Langthaler und Josef Redl.

Der Widerstand wurde zur Demonstrationswelle

Bereits ein halbes Jahr nach der Nationalratswahl, am 27. September 1970, nahmen etwa 25.000 Bauern an der vom Niederösterreichischen Bauernbund organisierten Protestkundgebung in St. Pölten teil, bei der Andreas Maurer die schlechte Einkommenssituation der Landwirte beklagte und Versäumnisse der Agrarpolitik unter Kreisky kritisierte.

Bauernbunddemonstration am 27. September 1970 in Sankt Pölten
Niederösterreichischer Bauernbund
Am 27. September 1970 waren circa 25.000 Bauern und Bäuerinnen bei der Kundgebung des Bauernbundes in St. Pölten

Dann formierte sich der Widerstand und wurde zu einer Demonstrationswelle in ganz Österreich: Im Jänner 1971 ein Schweigemarsch unter Bauernbundpräsident Roland Minkowitsch (ÖVP), einem Landwirt aus dem Weinviertel, zum Bundeskanzleramt in Wien; Mitte März dann protestierende Bauern in Klagenfurt und in Salzburg, in Graz konnten 10.000 Bauern für eine Demonstration mobilisiert werden. Die größte bäuerliche Protestaktion war in der Bundeshauptstadt Wien für den 19. März 1971 geplant. Am 19. März ist für die römisch-katholische Kirche das Hochfest des heiligen Josef, seit 1870 der Schutzpatron der gesamten Kirche. In vielen Ländern ist der 19. März ein Feiertag. Daher hatte die Demonstration vor 50 Jahren an einem 19. März für den Bauernbund auch eine besondere Bedeutung.

Kritik: Hoher Dieselpreis und wenig Geld für Milch

Was war die Ursache für die Proteste seitens des Bauernbundes? Im Wahlprogramm zur Landwirtschaftskammerwahl 1970 hieß es: „Um den bäuerlichen Familienbetrieb zu stärken und ihm einen angemessenen Platz in der Industriegesellschaft zu sichern, müssen die Maßnahmen der Agrarstrukturpolitik, der Markt- und Preispolitik sowie der Bildungs- und Beratungsarbeit eng aufeinander abgestimmt sein und durch die Sozialpolitik wirkungsvoll ergänzt werden.“

Bauernbunddemonstration 1971
Niederösterreichischer Bauernbund
Die Funktionäre des Bauernbundes kritisierten die langen Verhandlungen ohne Ergebnisse

Doch die monatelangen Verhandlungen und die Hinhaltetaktik der Bundesregierung hinsichtlich der Erfüllung von konkreten Forderungen ließ die Bauern zu anderen Maßnahmen greifen. Was waren nun die Forderungen, um die es ging? „Die Bauernvertretung versuchte mit dem Hinweis, dass die österreichische Landwirtschaft den höchsten Dieselpreis in Europa zu zahlen hat, die Bundesregierung zur ‚Abgabe von gefärbtem Dieselöl für die Landwirtschaft zum Heizölpreis‘ zu bewegen“ (Langthaler/Redl).

Die zweite Forderung bestand in der Erhöhung des Milcherzeugerpreises. Ein Beispiel wurde damals gebracht: „Musste ein Landwirt 1965, dem Jahr der letzten Produzentenpreisregelung, für eine Mechanikerstunde 28 Liter Milch aufwenden, kostete ihn die gleiche Dienstleistung im Jahr 1971 43 Liter Milch“ (Langthaler/Redl).

Andreas Maurer sprach von „leeren Versprechungen“

Mit mehr als 7.000 Traktoren kamen am 19. März 1971 niederösterreichische Bauern in die Bundeshauptstadt, um gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung zu protestieren. „Der Protestzug bewegte sich in imponierender Disziplin über die Wiener Ringstraße zum Bundeskanzleramt auf dem Wiener Ballhausplatz, wo sich zusätzlich weit über 10.000 Bauern und Bäuerinnen zu einer Großkundgebung zusammengefunden hatten. Bei den Städtern warben die Bauern auf Flugblättern um Verständnis“, kann man in dem 2006 erschienenen Buch „Im Bund mit Land und Leuten. 100 Jahre Niederösterreichischer Bauernbund“ lesen.

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Bauernbund-Demo 1971
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Bauernbundobmann Andreas Maurer: „Mit der Existenz der Bauern ist der gesamte ländliche Raum gefährdet“
Bauernbund-Demo 1971
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Seit 1970 mussten die Vertreter der Bauern mit einem sozialistischen Regierungschef verhandeln
Bauernbund-Demo 1971
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Mehr als 10.000 Menschen waren bei der Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt
Bauernbund-Demo 1971
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7.000 Traktoren fuhren aus Niederösterreich in die Bundeshauptstadt
Bruno Kreisky
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Bundeskanzler Bruno Kreisky kritisierte den „Druck von der Straße“
Bauernbund-Demo 1971
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Andreas Maurer (2.v.r.) verwahrte sich gegen den Vergleich der Demonstration mit dem Kommunistenputsch
Bauernbund-Demo 1971
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Der Josefitag … 1971 war er komplett anders als sonst!
Bauernbund-Demo 1971
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Finanzminister Hannes Androsch diskutierte auf der Straße mit Demonstranten
Bauernbund-Demo 1971
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Kreisky bezeichnete die Traktoren als „Bauernpanzer“
Bauernbund-Demo 1971
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Mit den Ergebnissen konnte der Bauernbund zufrieden sein

Hauptredner war Andreas Maurer, der sagte, dass die Bundesregierung versprochen habe, die Einkommenslage der Bauern zu verbessern. Es sei aber bei leeren Versprechungen geblieben. Maurer betonte, dass mit der Existenz der Bauern der gesamte ländliche Raum gefährdet sei. Der Bundeskanzler empfing eine Delegation des Bauernbundes, die ihm eine Resolution mit den Forderungen überreichte. Kreisky wollte „keine Konzessionen machen und verglich unvorsichtigerweise den Bauernprotest mit dem Kommunistenputsch von 1950, was von den Verhandlungsteilnehmern empört zurückgewiesen wurde“, so die Historiker Ernst Langthaler und Josef Redl.

Die Bauern erhielten, was sie gefordert hatten

Der Josefitag war der Tag des Andreas Maurer, nach der Aussprache mit Kreisky wurde er auf den Schultern der Bauern vom Ballhausplatz getragen. In der Tageszeitung „Die Presse“ hieß es: „Die Agrarpolitik, bisher Stiefkind, ist plötzlich brennheiß geworden. Hat es wirklich erst der Proteste des Bauernbundes bedurft, um jedermann begreiflich zu machen, welche Schwierigkeiten es zu meistern gilt?“

Paul Nemecek, Direktor des Niederösterreichischen Bauernbundes, zieht einen Vergleich mit heute: „Damals wie heute übernehmen die Bäuerinnen und Bauern in Österreich Verantwortung für alle Lebensbereiche in der Gesellschaft. Sie sorgen für wertvolle regionale Lebensmittel, einzigartige Lebensräume und sichern die Lebensqualität in unserer Heimat.“ Heute gehe es unter anderem auch um die Frage der Versorgungssicherheit: „Corona ist eine Weichenstellung für die gesamte Welt, für Europa, und auch für die heimische Landwirtschaft.“

Auf der Website des Niederösterreichischen Bauernbundes kann man über die Ergebnisse dieser Demonstration am 19. März 1971 lesen: „Die Großdemonstration der Bauern, deren Planung und Durchführung Bauernbunddirektor Robl geleitet hatte, verfehlte weder bei der Bevölkerung noch bei der Regierung ihre Wirkung. Hatte Bundeskanzler Kreisky noch einen Tag zuvor erklärt, dass es ‚unter dem Druck der Straße keinen Groschen für die Bauern‘ geben werde, so fand er sich schließlich doch bereit, einer Milchpreisnachziehung sowie einer Verbesserung der Treibstoffpreisverbilligung seine Zustimmung zu geben.“ Am 18. Mai 1971 wurde der Milcherzeugerpreis um 25 Groschen angehoben, es kam auch zu einer teilweisen Verbilligung des Treibstoffpreises für die Landwirtschaft.