Mary Vetsera
Mayerling, Karmel St. Josef
Mayerling, Karmel St. Josef
Kultur

Mary Vetsera: Das reiche Mädl und der Kronprinz

Marie Alexandrine Freiin von Vetsera, genannt „Mary“, wäre wohl nicht in den Geschichtsbüchern zu finden, wenn sie nicht 1889 von Kronprinz Rudolf in Mayerling erschossen worden wäre. Ihr junges Leben endete im „Selbstmördereck“ des Friedhofs Heiligenkreuz. Am Freitag jährt sich ihr Geburtstag zum 150. Mal.

In einem ihrer Abschiedsbriefe bekundete Mary Vetsera den Wunsch, dass sie in einem gemeinsamen Grab mit Kronprinz Rudolf auf dem Friedhof von Alland (Bezirk Baden) bestattet werden wolle. Doch es kam ganz anders. Der damalige Auftrag an die Polizei-Agenten des Habsburgerreiches lautete, den Leichnam der toten Mary so schnell und so unauffällig wie möglich aus der Nähe des toten Thronfolgers in Mayerling zu bringen. Er war ja am 30. Jänner 1889 – offiziell – einem Herzinfarkt erlegen.

Noch in der Nacht sollten die Totengräber aus Heiligenkreuz in der „Selbstmörderecke“ direkt an der Friedhofsmauer neben einem primitiven Holzverschlag ein Grab für sie ausheben. Der erste Versuch misslang, weil die Erde in dieser kalten Jännernacht völlig festgefroren war. Oberst a.D. Helmut Reinmüller von der Kriminalpolizei Wien zeigt an einem ähnlich kalten Märztag 2021 noe.ORF.at jene Stelle, an der Mary Vetsera damals in einem einfachen Holzsarg beigesetzt wurde, eine Stelle, die auch heute noch sehr wenig Würde ausstrahlt.

Ein Kloster für ihn und eine Kapelle für sie

Kaiser Franz Joseph I. verfügte nach der Tragödie von Mayerling, dass Kronprinz Rudolfs Jagdschloss zu einem Kloster umgebaut werden solle, mit einer Kirche an jener Stelle, an der die Tat geschah, die bis heute die Menschen schaurig fasziniert. Karmeliterinnen sollten für das Seelenheil des Thronfolgers beten. Ein Teil des Klosters ist heute ein ausgezeichnet gestaltetes Museum, das historisch genau ist und trotzdem genug Raum für Fantasie übrig lässt.

Karmel Mayerling
Karmel Mayerling/E.Fürst
Karmel Mayerling

Baronin Helene Freifrau von Vetsera ließ wenige Monate nach dem 30. Jänner 1889 eine Gruft für ihre Tochter Mary auf dem Heiligenkreuzer Friedhof errichten. Sie stiftete zudem eine große Kapelle zum Gedenken an Mary und ihrem damals bereits verstorbenen Sohn Ladislaus. Er war beim Wiener Ringtheaterbrand 1881 ums Leben gekommen.

„Das Glasfenster, das gleichzeitig als Altarbild dient, zeigt die Mutter Gottes mit zwei Engeln an ihrer Seite, und diese Engeln tragen die Gesichtszüge von Ladislaus und Mary“, erklärte Pater Johannes Paul Chavanne vom Zisterziensterstift Heiligenkreuz. „Darunter steht der Schriftzug ‚Mater dolorosa‘ – ‚schmerzhafte Mutter‘. Damit hat sie natürlich die Gottesmutter gemeint, aber auch sich selbst, in der Trauer um ihre beiden Kinder.“ Einmal im Jahr, zu Allerheiligen, feiern die Zisterziensermönche in der Kapelle eine Messe, bei der sie für Mary im Speziellen, aber auch für alle auf dem Friedhof Begrabenen beten.

Ein Kriminalfall sorgt für die Lösung des anderen

Der Kriminalfall von Mayerling mit Mord und Selbstmord wurde vor 30 Jahren noch einmal zum Kriminalfall. Polizei-Oberst Helmut Reinmüller leitete 1992 die Ermittlungen, nachdem der oberösterreichische Möbelhändler Helmut Flatzelsteiner 1991 die Gruft der Mary Vetsera in einer Nacht- und Nebelaktion hatte aufbrechen lassen und den Sarg raubte, um selbst das Rätsel von Mayerling zu lösen. Zuerst wurde Flatzelsteiner nur als Zeuge geführt. Er verstrickte sich aber in Widersprüche, sodass die Zweifel an seinen Darstellungen im größer wurden. Überführt hatte ihn, erzählte Reinmüller, dass die Ermittler in der Gruft Teile einer Taschenlampe fanden. Der dazugehörende andere Teil befand sich im Auto Flatzelsteiners.

Grab von Mary Vetsera am Friedhof Heiligenkreuz
Mary Vetseras Grab am Friedhof in Heiligenkreuz

„Flatzelsteiner hat sich eines Verbrechens schuldig gemacht, kein Zweifel, aber er hat mit seinem Grabraub wesentlich zur Lösung des Rätsels Mayerling beigetragen, das muss ich ihm aus heutiger Sicht zugute halten“, erklärte Reinmüller. Durch forensische Untersuchungen am Leichnam konnte die Polizei damals den Mordfall Mayerling klären: „Das Ergebnis war eindeutig. Der Kopf von Mary Vetsera hat klar einen Einschuss aufgewiesen, der auch die Todesursache war. Nachdem Einschussöffnung und Austrittsöffnung von links nach rechts verliefen, sie aber Rechtshänderin war, lag auf der Hand, dass Kronprinz Rudolf sie zuerst erschossen hat und dann sich selbst“, fasste Reinmüller die Ergebnisse zusammen.

Mary Vetsera
Viktor Kabelka/Gießhübl
Mary Vetsera (1871-1889)

Obwohl die Nachkommen der Familie Vetsera nach wie vor einen DNA-Abgleich mit den Haarproben des Leichnams ablehnen, ließen eine Reihe von Indizien sehr deutlich darauf schließen, dass es sich bei der Leiche tatsächlich um Mary Vetsera handelt: Das Alter der Leiche passt, die Statur stimmt mit historischen Zeugnissen über Mary überein. Das Kleid stammt von einem exklusiven Schneider aus Wien, bei dem auch die Vetseras eingekauft haben. Man weiß, dass Mary sehr zarte Füße hatte. Dazu passen die kleinen Schuhe, die sich im Sarg befanden.

Wer war Mary Vetsera und was war ihr Motiv ?

Marie Alexandrine Freiin von Vetsera stammte aus einer der reichsten Familien der Monarchie. Ihr Großvater mütterlicherseits, Theodor Baltazzi, hatte nach seinem Tod seiner Tochter Helene laut einer Recherche der „Wiener Zeitung“ das immense Vermögen von zehn Millionen Gulden (umgerechnet 126 Millionen Euro) hinterlassen. „Er war ein Finanzmogul, der seinen Reichtum als Bankier in Istanbul erwirtschaftet hat“, erläuterte Hannes Etzlstorfer, Buchautor und Ausstellungsgestalter. „Damit waren Helene und später natürlich auch deren Tochter Mary eine der begehrtesten ‚Partien‘ der Monarchie.“

Dieser Hintergrund lässt noch mehr darüber staunen, was die 17-jährige Mary Vetsera antrieb, mit Kronprinz Rudolf in den Tod zu gehen, sich von ihm erschießen zu lassen. Für den Kunsthistoriker Hannes Etzlstorfer ist ein Grund im gesellschaftlichen Umfeld zu suchen. Aus heute banal geltenden Gründen nahmen sich die Menschen damals das Leben. Der Liebestod war gemäß dem Richard-Wagner-Kult im 19. Jahrhundert sehr en vogue. „Tristan und Isolde“ sehnen in der gleichnamigen Oper Wagners den Tod als Vollendung ihrer gesellschaftlich unmöglichen, weil eben ehebrecherischen Liebe herbei. Doch beim Thronfolger darf man an der Liebe stark zweifeln, verbrachte er doch die Nacht vor Mayerling bei seiner Langzeitgeliebten Mizzi Kaspar. Auch sie soll er einmal gefragt haben, ob sie mit ihm aus dem Leben scheiden wolle.

Raum in der Ausstellung im Karmel Mayerling
Karmel Mayerling
Das Museum im Karmel Mayerling dokumentiert das Leben von Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera und geht auch den möglichen Gründen für die Tragödie am 30. Jänner 1889 und den damit bestehenden Legenden nach

Auch wenn 20 Treffen mit Mary Vetsera historisch belegt sind, so bezeichnete er Mary als „nicht hübsch“ und stand ihr anfangs reserviert gegenüber, gibt Etzlstorfer zu bedenken. Mary war hingegen vermutlich über beide Ohren in den Thronfolger verliebt. Die 17-Jährige schrieb davon, ihm hörig zu sein. Im Abschiedsbrief an ihre Mutter heißt es: „Verzeih, was ich gettan – ich konnte der Liebe nicht widerstehen“. Hannes Etzlstorfer vermutet ihre Pubertät als weiteren Grund hinter Vetseras Bereitschaft zum Tod: „Sie war in ihrer jugendlichen Energie empfänglich für Euphorisierung, empfänglich für rasche Entscheidungen, für außergewöhnliche Entscheidungen.“ So bleibt als das große Rätsel wohl noch die Beziehung der beiden „Helden“ zueinander in der weltberühmten Tragödie von Mayerling.