Evangelische Kirche in Hainburg an der Donau
Robert Herbst
Robert Herbst
Kultur

Auf der Suche nach evangelischen Spuren

Für die evangelische Kirche, der in Niederösterreich etwa 42.000 Menschen angehören, ist der Karfreitag ein zentraler und identitätsstiftender Feiertag. Das Buch „Auf evangelischen Spuren“ geht den evangelischen Stationen im Bundesland nach.

„Noch 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag in Wittenberg ist Österreich ein Land, das geistig und kulturell tief vom Katholizismus geprägt ist. Diese Prägung ist so fundamental, dass viele Menschen sich nicht vorstellen können, dass unsere Heimat im 16. Jahrhundert zum Großteil den Lehren Martin Luthers gefolgt ist“ – so beginnt das schmale Buch „Auf evangelischen Spuren“, verfasst von Andrea Ramharter, Leiterin der Fachbereichsbibliothek Alte Geschichte der Universität Wien, und Johannes Ramharter, Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung – und Lektor der evangelischen Gemeinde Tulln.

Dieses Buch ist Band 51 der Niederösterreichischen Kulturwege, einer Schriftenreihe des Niederösterreichischen Landesarchiv und des NÖ Instituts für Landeskunde. Herausgeberin ist die Historikerin Elisabeth Loinig, Leiterin des NÖ Instituts für Landeskunde. Seit 15 Jahren gibt es diese Buchreihe, jeder Band hat 48 Seiten und mehr als 100 Farbfotos zu einem Preis von sechs Euro. Zuletzt erschienen in dieser Reihe die Bände mit den Nummern 53 („Filmland Niederösterreich“ von Andreas Ungerböck) und 54 („Wallfahrtsorte südlich der Donau“ von Karl Heinz).

Geschichte an verschiedenen Stationen darstellen

Im 16. Jahrhundert waren 90 Prozent der in Niederösterreich lebenden Menschen evangelisch. Die Gegenreformation brachte ab 1620 in Böhmen und Österreich nicht nur das religiöse, sondern auch das kulturelle und schulische evangelische Leben zum Stillstand, vielfach auch zum Verschwinden. Erst das Toleranzpatent Kaiser Josef II. im Jahr 1781 – in dem die Protestanten „Akatholische“ genannt wurden – ermöglichte wieder öffentliches evangelisches Leben in Österreich. In Niederösterreich war es in Mitterbach am Erlaufsee (Bezirk Lilienfeld), wo die erste evangelische Gemeinde im Jahr 1785 wieder entstand.

Evangelische Kirche Krems
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Die evangelische Kirche in Krems: Otto Bartning, dem Architekten, war die praktische Nutzung des Raums wichtiger als Fragen des Stils

Die Evangelische Diözese Niederösterreich hat 27 Gemeinden mit etwa 42.000 Evangelischen. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von etwa drei Prozent. Die größte evangelische Gemeinde des Landes gibt es in Mödling mit circa 5.000 Mitgliedern. „Die Evangelischen in Niederösterreich verstehen sich nicht als vernachlässigbare Minderheit, sondern als Teil des Ganzen, der sich auch mit seinen Besonderheiten und Angeboten in die Gemeinschaft einbringen möchte“, heißt es auf der Website der Evangelischen Kirche in Österreich.

Das Buch „Auf evangelischen Spuren“ möchte die Geschichte an verschiedenen Stationen darstellen "und dazu einladen, den oft versteckten Zeugnissen des evangelischen Niederösterreich nachspüren, so Andrea und Johannes Ramharter. Die beiden Autoren präsentieren Ereignisse und Orte aus mehr als fünf Jahrhunderten.

Eine Spurensuche nach Schauplätzen in Niederösterreich

Einer der wichtigsten Erinnerungsorte des Zeitalters der Reformation ist die Rosenburg (Bezirk Horn). „1487 erwarb die Familie Grabner, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu den Anführern des evangelischen Adels im Lande gehörte, die Burg, von deren ursprünglichem Baubestand nur mehr sehr wenig erhalten ist.“

Ein Schlossbau der Renaissance, der "als beispielhaft für die Repräsentationsbedürfnisse des evangelischen Adels angesehen werden kann, ist die Schallaburg (Bezirk Melk). Bauherr war Hans Wilhelm von Losenstein, einer der wichtigsten Vertreter der evangelischen Konfession.

„Die am besten überlieferten Zeugnisse evangelischen Lebens des 16. Jahrhunderts in Österreich sind zweifellos die diversen Grabmonumente.“ Als Beispiele angeführt seien jene in den Kirchen von Maria Laach am Jauerling (Bezirk Krems), Hardegg (Bezirk Horn), Winzendorf (Bezirk Wiener Neustadt), Purgstall an der Erlauf (Bezirk Scheibbs) und Murstetten (Bezirk St. Pölten).

„Ein gut erhaltenes Beispiel für eine evangelische Patrimonialstadt ist die heutige Bezirksstadt Horn im Waldviertel.“ Stadtherr war im 16. Jahrhundert nicht der Landesfürst, sondern die Familie Puchheim, in deren Besitz die Stadt seit 1440 war. Große Teile unter der Familie Puchheim entstandenen Infrastruktur sind heute noch erhalten. 1608 trafen sich in Horn evangelische Adelige aus Niederösterreich, um den Horner Bund zu schließen, der ihre Rechte gegen die Ansprüche des katholischen Landesfürsten sichern sollte.

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Evangelische Kirche Naßwald
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Evangelische Kirche in Naßwald
Evangelische Kirche Krems
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Evangelische Kirche in Krems
Evangelische Kirche Mödling
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Evangelische Kirche in Mödling
Evangelische Kirche Mödling
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Evangelische Kirche in Mödling
Evangelische Kirche Berndorf
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Evangelische Kirche in Berndorf
Evangelische Kirche Berndorf
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Evangelische Kirche in Berndorf
Evangelische Kirche Murstetten
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Evangelische Kirche in Murstetten
Evangelische Kirche in Klosterneuburg
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Evangelische Kirche in Klosterneuburg
Evangelische Kirche Hainburg an der Donau
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Evangelische Kirche in Hainburg an der Donau
Evangelische Andachtsbücher, Höbarth Museum in Horn
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Evangelische Andachtsbücher, Höbarth Museum Horn
Rosenburg
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Rosenburg
Schallaburg
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Schallaburg
Stadtburg Horn
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Stadtburg in Horn
Maria Laach am Jauerling, Tumba des Hans Georg III. von Kuefstein
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Tumba des Hans Georg III. von Kuefstein in der Kirche Maria Laach am Jauerling
Aigen bei Ludweis, Tumba des Wilhelm von Hofkirchen
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Tumba des Wilhelm von Hofkirchen in der Kirche Aigen bei Ludweis
Evangelische Kirche Mitterbach, Fenster
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Evangelische Kirche in Mitterbach

Das Toleranzpatent brachte Freiheiten

Mit dem Toleranzpatent gestattete Kaiser Joseph II. den Evangelischen, eigene Gemeinden zu gründen. Die erste dieser sogenannten Toleranzgemeinden in Niederösterreich war Mitterbach am Erlaufsee. „Als diskriminierende Maßnahme sollten die Toleranz-Bethäuser äußerlich nicht von normalen Bauernhäusern unterscheidbar sein und aus diesem Grund hatte die Mitterbacher Kirche zunächst keinen Turm.“ Erst als diese Beschränkung fiel, konnte der Kirche der bestehende Turm aufgesetzt werden.

„Mit dem Wegfall der Beschränkungen im Kirchenbau nach dem Protestantenpatent setzte die Frage nach einem Baustil ein, der für evangelische Kirchen angemessen wäre.“ Bis 1890 vertrat man die Meinung, dass vor allem der gotische Stil einem Kirchenbau angemessen wäre, neue Wege beschritt jedoch 1874 Eugen Sehnal mit seinen Plänen für eine evangelische Kirche in Mödling.

Arthur Krupp war mit seiner Berndorfer Metallwarenfabrik ein Unternehmer mit großem geschäftlichem Erfolg. Krupp war ein Industrieller, der sich auch um soziale Anliegen seiner Beschäftigten kümmerte. So ließ der evangelische Mäzen in Berndorf (Bezirk Baden) nicht nur Wohnhäuser und Schulen (mit „Stilklassen“) errichten, sondern beauftragte auch den Bau der katholischen Marienkirche und der spektakulären Margaretenkirche.

„Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann auch in Krems wieder das evangelische Leben zu erwachen. 1905 konnte schließlich eine eigene Pfarrgemeinde gegründet werden.“ Die evangelische Kirche in Krems wurde 1912 errichtet, geplant von Otto Bartning, der als der bedeutendste Architekt im evangelischen Kirchenbau des 20. Jahrhunderts gilt und war mit Walter Gropius einer der Mitbegründer der Bauhaus-Idee.

Die evangelische Kirche in Stockerau (Bezirk Korneuburg) war ursprünglich eine jüdische Synagoge. Im Sommer 1938 wurde nur „äußerlich der Schein eines Rechtsgeschäftes mit der Israelitischen Kultusgemeinde“ gewahrt, doch von 1945 bis 1953 dauerten die Verhandlungen über einen Vergleich, die Israelitische Kultusgemeinde erhielt eine Abschlagszahlung, die evangelische Gemeinde behielt die Kirche, die im Zuge der Übernahme natürlich umgebaut worden war. Heute steht vor der Kirche ein Gedenkstein: „In diesem Sinne hält die Kirche die Erinnerung an die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes wach und ist ein steter Anlass, den ehrlichen Dialog mit dem Judentum zu suchen.“

Evangelische Kirche in Klosterneuburg
Robert Herbst
Evangelische Kirche in Klosterneuburg

In den letzten 30 Jahren entstanden in Niederösterreich zwei neue evangelische Kirchenbauten. 1994 plante Heinz Tesar die Kirche in Klosterneuburg (Bezirk Tulln). „Die Gestaltung des Gebäudes entwickelt sich aus der Struktur des Innenraums mit seinen streng geometrischen Formen, aufbauend auf einem ovalen Zentrum.“ Damit scheint die evangelische Kirche von Klosterneuburg „an den ovalen Kaisersaal des Klosterneuburger Stifts anzuschließen und damit Altes und Neues zu verbinden.“

Optisch fällt auch die evangelische Kirche in Hainburg an der Donau (Bezirk Bruck an der Leitha) auf. Das Bauwerk wurde „entsprechend kontroversiell“ aufgenommen, doch Architekt Wolf D. Prix, in der Stadt aufgewachsen, konnte damit ein sichtbares Zeichen setzen: „Architektur soll der Interpretation ja Spielraum geben. Je mehr die Menschen hineininterpretieren, umso besser ist es und umso stärker ist das, was man gemacht hat.“

Mit den Kulturwegen auf Entdeckungsreise gehen

Seit 15 Jahren erscheinen die Niederösterreichischen Kulturwege. Das Niederösterreichische Landesarchiv und das NÖ Institut für Landeskunde wollten damals die Kunst- und Kulturschätze des Landes sowie dessen Geschichte einer breiten Öffentlichkeit vermitteln, so die Überlegung im Jahr 2006, die bis heute jedes Jahr mit drei bis vier neuen Büchern umgesetzt wird. „Es geht um all das, was unser Land prägt“, sagt Herausgeberin Elisabeth Loinig.

Evangelische Kirche in Hainburg an der Donau
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Die evangelische Kirche in Hainburg an der Donau: Architekt Wolf D. Prix sagte, dass er sich beim Altar an Liegefiguren Henry Moores orientierte, andere sahen darin das Zeichen des leeren Grabes

Die Bücher sind keine herkömmlichen Reiseführer, man erfährt nichts über Bahnverbindungen und gastronomische Angebote, sondern es werden in jedem Band 40 bis 60 Sehenswürdigkeiten vorgestellt, mit etwa 100 Fotos, seit Kurzem auch mit Luftbildern, die mittels Drohne gemacht werden. Nicht unwichtig sind aber der Preis und das handliche Format.

„Viele Schätze Niederösterreichs sind wesentliche Bestandteile unserer Identität und weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Ebenso viele warten noch darauf, einem breiteren Publikum bekannt zu werden“, so Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Die Bücher beschreiben einzelne Regionen oder Themenwege. „Sie stellen Landschaften und Siedlungen, Architektur und bildende Kunst sowie herausragende Objekte in ihrem kulturellen und historischen Kontext vor“, so Ludwig Schleritzko (ÖVP), als Landesrat zuständig für das Niederösterreichische Landesarchiv und das NÖ Institut für Landeskunde.

Die Bandbreite der Themen ist groß: So findet man Titel wie „Durch das Land mit der Eisenbahn“ und „Gedenken und Mahnen“ ebenso wie „Wege zum Wein“, „Bäder in Niederösterreich“ und „Beiderseits der March“ oder „Historische Gärten und Naturparks“ und „Bildende Kunst nach 1950“. Welche Publikationen sind geplant? „Theater in Niederösterreich, je ein Band über das jüdische und das römische Niederösterreich oder über das Alte und Neue Landhaus“, so Herausgeberin Elisabeth Loinig, und: „Ideen gibt es sehr viele!“