Paul Twaroch war 20 Jahre lang Landesintendant des ORF Niederösterreich. Die Schwerpunkte in seiner Amtszeit von 1978 bis 1998 waren unter anderem die Übersiedelung des Landesstudios von Wien in die Landeshauptstadt Sankt Pölten, die Regionalisierung des Radioprogramms, die Einführung der Fernsehsendung „Niederösterreich heute“ sowie das Setzen zahlreicher kultureller Aktivitäten. Vor seiner Tätigkeit im Landesstudio hatte er acht Jahre lang die Funktion des ORF-Generalsekretärs ausgeübt.
„Mit Paul Twaroch verliert der ORF eine Persönlichkeit, die rund drei Jahrzehnte die Geschicke des ORF mitbestimmte", sagte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. "Als Generalsekretär und danach 20 Jahre lang als Intendant des ORF-Niederösterreich hat war er gleichermaßen prägend für den Erfolg des Unternehmens und die Arbeit der Landesstudios. Er und seine viel zu früh verstorbene Tochter Eva Twaroch bleiben dem ORF unvergessen.“
Nähe zum Publikum und zur Regionalität
Der designierte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann bezeichnete Twaroch als einen „Pionier der Regionalität, einen Verbinder und Innovator, der das Programmentwickeln als humanitären Dienst am Publikum verstand." Weißmann sagte: "Sein Wirken beeinflusste Generationen von heimischen Journalistinnen und Journalisten und prägte den ORF über Jahrzehnte. Sein Credo – Programm für alle Menschen machen zu können – ist mehr denn je gültig.“
„Radio NÖ Spezial“
„Radio Niederösterreich" ändert aus aktuellem Anlass sein Programm und sendet am Mittwoch ab 20.04 Uhr “Radio NÖ Spezial – In memoriam Paul Twaroch“.
„Wir trauern um einen großen Vorreiter. Paul Twaroch hat erhebliche Pionierarbeit geleistet in der Entwicklung des Landesstudios", so ORF Niederösterreich Landesdirektor Norbert Gollinger und der designierte Landesdirektor Robert Ziegler. "Die Nähe zum Publikum und Regionalität waren ihm stets wichtig. Das erreicht man nur, indem man im Land unterwegs ist und bei den Menschen ist. Das hat Paul Twaroch schon früh zum Status quo der täglichen Arbeit gemacht. Ein Beispiel für Publikumsnähe ist etwa die Livesendung ,Radio 4/4', die er ins Leben gerufen hat. Quer durchs Bundesland sind wir mit dieser Sendung auch heute regelmäßig in den Gemeinden zu Gast – sie ist immer noch eine wichtige Marke des ORF Niederösterreich.“
20 Jahre an der Spitze des ORF Niederösterreich
Paul Twaroch wurde am 15. März 1932 in Wien geboren. Nach seiner Promotion zum Dr. jur. im Jahre 1956 arbeitete er zwischen 1958 und 1963 in der Finanzprokuratur als Rechtsvertreter der Republik Österreich. Zwischen 1963 und 1970 war Twaroch als Wirtschaftsjurist im Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau tätig sowie als Leiter des Büros von Vinzenz Kotzina (ÖVP), dem Bundesminister für Bauten und Technik.
1970 holte ihn ORF-Generalintendant Gerd Bacher als Generalsekretär in den ORF. 1978 wurde er Landesintendant des ORF Niederösterreich und prägte forthin 20 Jahre lang die Geschicke des Landesstudios. Nicht hinter dem Schreibtisch sollten die Reporter und Journalistinnen sitzen, sondern unterwegs sein, so lautete immer die Devise Paul Twarochs: „Radiomachen heißt, etwas für die Menschen zu tun. Wir glauben, dass wir mit Radio Niederösterreich besonders ein Radio von Menschen für Menschen machen, mit all deren vielfältigen Wünschen und Bedürfnissen, ob sie nun einsam sind oder Sehnsüchte haben, ob sie sich nur zerstreuen oder sich bilden wollen.“
Er wollte immer „Radio für Menschen machen“
Konsequent stand er auch zu seinem Credo, dass mit Qualität Reichweite zu gewinnen sei. „Wir wollen nicht zuschauen, dass Österreich vermoikt, verblödelt und zerbröselt wird“, so eine seiner prägnanten Aussagen in den 1990er-Jahren, in denen manche Kommentatoren gar „Sturheit“ zu erkennen glaubten.
Twaroch erweiterte das Radioprogramm des Landesstudios Niederösterreich, von ursprünglich täglich sieben auf 17 Stunden. Er initiierte auch zahlreiche neue Sendungen wie etwa „Radio 4/4“ oder den „Grafenegger Advent“. „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir die Menschen dort treffen, wo sie leben und wo sie sind. So können wir sie auch verstehen, und so haben wir Kontakt und können nicht nur für und über sie Programm machen, sondern auch mit ihnen“, so Twaroch über seine Programmphilosophie.
Twaroch suchte die Begegnung mit dem Nachbarn
Besonders gewürdigt wurde immer sein hartnäckiges Bemühen um Themen der Grenze und der Nachbarschaft zur Tschechoslowakei, und das in einer Zeit, als von Glasnost und Perestrojka noch lange nicht die Rede war. „Wir waren die kleine Maus, die den Eisernen Vorhang anknabberte“, blickte er einmal zurück.
So nahm er als Landesintendant bereits in den frühen 1980er-Jahren Kontakte zum damals noch kommunistischen Nachbarland Tschechoslowakei auf. Das Landesstudio veranstaltete in niederösterreichischen, böhmischen, mährischen und slowakischen Schlössern Konzerte, die der ORF und die Radiostationen des Nachbarlandes live übertrugen. Neue Beziehungen begannen „zu einem Nachbarn, mit dem man gemeinsam fühlt, mit dem wir aber auch in den letzten Jahrhunderten viele Missverständnisse hatten. Ich glaube, die Schlosskonzerte haben dazu beigetragen, dass diese Missverständnisse kleiner wurden – und die Zuneigung größer“, so Twaroch.
Die Geschichte Österreichs und jene der Nachbarländer war Paul Twaroch immer ein Anliegen. Als es darum ging, das Geburtshaus Karl Renners im mährischen Dolni Dunajovice (Unter Tannowitz) zu revitalisieren, war er ebenso dabei wie bei vielen anderen Initiativen im Kulturbereich, ob bei der Renovierung von Stift Dürnstein (Bezirk Krems) oder Stift Geras (Bezirk Horn) oder bei der Wiederentdeckung des fast in Vergessenheit geratenen Komponisten Ignaz Joseph Pleyel (1757-1831), geboren in Großweikersdorf (Bezirk Tulln), weltberühmt geworden in Paris. Der kulturelle Kontakten über die Grenzen war ihm wichtig, zu diesem Thema trat er auch als Veranstalter und wissenschaftlicher Leiter internationaler Symposien auf. 1986 war er Gründungspräsident des Niederösterreichischen Presseclubs.
Von der Argentinierstraße 30a auf den Radioplatz 1
Nach dem Beschluss des Landtages im Jahr 1986, der St. Pölten zur Landeshauptstadt von Niederösterreich gemacht hatte, eröffnete der ORF bald danach in der Stadt an der Traisen eine Expositur des Landessstudios, das seinen Sitz seit der Gründung im Jahr 1967 in der Wiener Argentinierstraße hatte.
Am 5. Mai 1997 erfolgte dann in der Landesmetropole der Spatenstich für das neue ORF-Landesstudio Niederösterreich. Der 17. September 1998 war einer der wohl wichtigsten Tage in der ORF-Laufbahn Paul Twarochs, als er das neue Landesstudio eröffnen konnte. Bald darauf übergab er die Schlüssel des von Gustav Peichl entworfenen Hauses mit der Adresse Radioplatz 1 an seine Nachfolgerin Monika Lindner. Es sei „ein Abschied ohne Wehmut“, betonte Twaroch damals.
Bei einer Feier in St. Pölten zu Jahresende 1998 verwies Twaroch auf die gewaltigen Fortschritte, die Niederösterreich in den letzten Jahrzehnten erlebt habe, das Land sei in vielen Bereichen Themenführer geworden. Das Landesstudio habe sich bemüht, diesen Weg mitzugehen und mitzuprägen. Für ihn sei es immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, das Radio- und Fernsehprogramm als Gut, nicht als Ware zu sehen.
Geehrt, gewürdigt und geschätzt
Dem niederösterreichischen Kulturleben blieb er auch nach seinem Abschied vom ORF unter anderem als Publizist weiterhin verbunden. So war er auch viele Jahre lang Präsident des Niederösterreich-Fonds und Mitherausgeber der Kulturzeitschrift „morgen“. Für den Verband Österreichischer Zeitungen ging er in den Österreichischen Presserat, dessen Vorsitz er von 2001/02 führte. Als profunder Kenner des Rundfunkrechts und Lehrbeauftragter an den Universitäten Wien, Krems, Klagenfurt und München verfasste er einen Kommentar zum Rundfunkgesetz 1974, der über sehr viele Jahre als Standardwerk galt.
Twaroch wurde im Laufe seiner Karriere mit zahlreichen Preisen und Orden ausgezeichnet. 1992 wurde er mit dem Berufstitel Professor geehrt, drei Jahre danach von der Stadt St. Pölten mit dem Jakob-Prandtauer-Preis für Wissenschaft und Kunst. 1997 erhielt er das Goldene Komturkreuz des Ehrenzeichens für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich sowie den Leopold-Kunschak-Preis, zwei Jahre später bekam er das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und das Komturkreuz des Gregorius-Ordens mit Stern verliehen. Paul Twaroch war auch Ehrenbürger der Gemeinde Großweikersdorf in Anerkennung seiner Bemühungen um den Komponisten Pleyel.

Sein letztes offizielles Auftreten war Ende August 2021 in Wien, als er in der Botschaft der Tschechischen Republik in Österreich den Preis „Gratias agit“ erhielt. Damit werden Personen ausgezeichnet, die sich um die Verbreitung eines guten Namens der Tschechischen Republik im Ausland verdient machten. 1982 hatte Paul Twaroch die Konzertreihe „Begegnung mit dem Nachbarn“ ins Leben gerufen. Sie wurde sowohl auf Radio Niederösterreich als auch im tschechoslowakischen und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im tschechischen und slowakischen Rundfunk übertragen – mehr dazu in Tschechische Auszeichnung für Twaroch (noe.ORF.at; 1.9.2021).
„Es war schön, ein Programm für alle Menschen machen zu können“, sagte Paul Twaroch bei einer Feier anlässlich seines 80. Geburtstages. Er habe sich auch bemüht, „die Spuren unserer Herkunft zu sichern“, denn „Heimat, wie ich sie empfinde, ist nicht Enge, sondern Tiefe“, so Twaroch.