Nachhilfe
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„Österreich hilft Österreich“

Auch Erwachsene brauchen Krisen-Lernhilfe

Mit fortschreitender Dauer der Pandemie verzeichnen Lerninstitute eine stärkere Nachfrage. Bei der Volkshilfe Niederösterreich suchen nicht nur Kinder um Unterstützung an. Gerade in der Krise kommen auch Erwachsene mit teils gravierenden Bildungslücken.

Bildung, Zukunftschancen und Wohlstand stehen in direktem Zusammenhang. Lesen und Schreiben zu können, ist die Basis, um sich im Alltag zurechtzufinden, um mit Behörden in Kontakt zu treten, um sich weiterzubilden oder um eine Lebensgrundlage aufbauen zu können. Nicht bei jedem Kind schafft es die Schule, es dafür ausgerüstet aus der neunjährigen Schulpflicht zu entlassen.

In den Lerninstituten der Volkshilfe Niederösterreich erleben die etwa 20 Trainerinnen und Trainer täglich hautnah, welche Lerndefizite Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene mitbringen können. Die Pandemie lasse die Schere zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Familien weiter auseinanderklaffen, erzählt Renate Haslinger, die Leiterin der Lernservices. „Verschärfend kommt hinzu, dass jetzt viele Eltern in Kurzarbeit oder sogar arbeitslos sind.“

Analphabetismus: Ein oft übersehenes Problem

Das Portfolio der Lerninstitute ist umfassend, die Kundinnen und Kunde bringen unterschiedliche Ausgangslagen mit. Zur Lernförderung kommen Kinder mit Lernschwächen ebenso wie Jugendliche mit Schulproblemen, junge Erwachsene, die einen Pflichtschulabschluss nachholen möchten, um eine Lehre beginnen zu können oder Erwachsene, die eine Studienberechtigungsprüfung als Ziel haben. Aber auch Menschen, die weder lesen noch schreiben können, melden sich zum Training.

Peter und Barbara, beide um die 30 Jahre alt, kommen in die Lesestunden der Volkshilfe Wiener Neustadt. Peter erzählt dass er weder entziffern kann, in welchen Bus er steigen muss noch beim Einkaufen Angaben auf Produkten lesen kann. Barbara besitzt einige Bücher, ihre Geschichten blieben ihr bisher aber verborgen, weil auch sie trotz Schulbesuchs nie lesen gelernt hat. An ihre Schulzeit werden beide nicht gerne erinnert. Verspottet zu werden, stand für beide auf der Tagesordnung, erzählen sie im Gespräch mit noe.ORF.at und Barbara ergänzt, dass sie niemanden hatte, der sie beim holprigen Lesenlernen unterstützt hätte. „Dabei würde ich so gerne meine Bücher lesen können.“

Wie es sein kann, dass in Österreich geborene Menschen, die hier die Schule besucht haben, als Erwachsene nicht lesen können, fragt sich auch Renate Haslinger. „Ich habe aber aufgehört nach Schuldigen zu suchen. In den Lerntrainings kümmern wir uns darum, am jeweiligen Wissenstand anzuknüpfen und wieder Perspektiven zu geben.“ Im Fall von Barbara und Peter heißt das, wieder bei Null zu starten und – ähnlich wie in der Volksschule – Buchstabe für Buchstabe neu zu erarbeiten.

Lesen in der Schule
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Barbara ist erwachsen und bekommt in Lesestunden Unterstützung beim Volksschulstoff

Kinder aus armen Familien häufiger betroffen

Viele der Schülerinnen und Schüler, die zum Lernservice der Volkshilfe kommen, leben in Armut oder sind von Armut betroffen, erzählt Renate Haslinger. Diese Gruppe wächst ihrer Beobachtung nach ebenso wie die Defizite vieler Kinder, Jugendlicher und Erwachsenen.

„Österreich hilft Österreich“

Die Aktion „Österreich hilft Österreich“ unterstützt Menschen, die durch die Coronavirus-Krise in finanzielle Not geraten sind.

Spendenkonto
IBAN: AT06 2011 1800 8076 0700
BIC: GIBAATWW

Seit dem Jahresbeginn verzeichnet sie eine kontinuierliche monatliche Steigerung von etwa zehn Prozent mehr Anfragen in den Lernzentren – vor allem von armutsgefährdeten Familien. Gruppenstunden sind pandemiebedingt derzeit nicht erlaubt. Die Trainerinnen und Trainer geben aber auch im Lockdown Einzelstunden und – sofern möglich – unterstützen sie auch digital. Haslinger zufolge würde es in vielen Familien aber nach wie vor an der technischen Ausstattung mangeln. In manchen Fällen kommen die Lehrpersonen auch nach Hause. „Ich sage es wie es ist: Aber manche Menschen können sich nicht einmal das Busticket zu uns leisten.“

Weg aus der Armut führt über Bildung

Bildung sei der Schlüssel, damit die durch die Pandemie derzeit verschärfte Armut nicht noch Jahre oder Jahrzehnte anhält, ist Haslinger überzeugt. „Wenn du Bildungsdefizite hast, kommst du schneller in Armut und wenn du in Armut lebst, kommst du ohne Bildung kaum heraus.“ Ob Volksschülerin oder Erwachsener, sie wünscht sich für alle Kundinnen und Kunden, „dass sie später einmal jenen Job haben, den sie sich wünschen und nicht nur hoffen müssen, überhaupt einen Job zu bekommen“.

Peter und Barbara sind fest entschlossen, den Analphabetismus endlich hinter sich zu lassen und ihrem Umfeld dadurch den Grund für Spott zu nehmen. „Ich werde das weiter machen und nicht aufgeben. Mein Wille bleibt mein Wille“, sagt Barbara beim Besuch von noe.ORF.at, während sie über einem Volksschulheft lehnt. Gemeinsam mit ihrer Trainerin erarbeitet sie mühsam den Stoff der ersten Klasse.