Schüler beim Betreten des Schulgebäudes am Montag, 18. Mai 2020, vor einer Volksschule in Brunn am Gebirge
APA/HELMUT FOHRINGER
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Bildung

Impf-Appell am „ersten Schultag“

Nach der mehr als vierwöchigen „Osterruhe“ durften Schülerinnen und Schüler am Montag wieder in die Schulgebäude, wenn auch nicht alle gleichzeitig. Unterdessen warnen Experten nach den Lockdowns vor einer „riesigen Impflücke“ abseits des Coronavirus.

Montagfrüh – in die Schulen Niederösterreichs kehrt wieder Leben ein. In den Volksschulen sind alle Schülerinnen und Schüler wieder da, in den höheren Schulen wird mit Schichtbetrieb begonnen: Die Hälfte der Schüler sitzt in der Klasse, die andere wird zuhause unterrichtet. Eine Übergangslösung, wenn es nach der Bundesregierung geht – ab 17. Mai sollen dann alle wieder in den Klassenzimmern sein.

Für die Schülerinnen und Schüler war der Montag jedenfalls ein Freudentag, bestätigt Benjamin Koiser, Obmann der ÖVP-nahen Schülerunion Niederösterreich: „Vor ein, zwei Jahren hätte keiner gedacht, wie gern man jetzt in die Schule geht. Mittlerweile ist es so, dass man echt froh ist, wenn man wieder im Klassenzimmer sitzt. Auch wenn es nur Schichtbetrieb ist – es ist in jedem Fall positiv.“

„Kollegenschaft ist zusammengerückt“

In der Lehrerschaft herrscht vorsichtiger Optimismus, vor allem mit Hinblick auf die generelle Öffnung Mitte Mai. Helmut Ertl, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft in Niederösterreich, begrüßt, dass jetzt eine längerfristige Planung möglich sei. Er spricht von hohen Belastungen für Pädagoginnen und Pädagogen durch das Mischsystem aus Präsenz-, Schicht- und Onlinebetrieb, aber auch von positiven Entwicklungen: „Auch wenn es optisch aussieht, als sei die Kollegenschaft auseinandergerückt – es ist sogar so, dass sie zusammengerückt ist, um die Herausforderungen, die die letzten Wochen gebracht haben, zu meistern.“

Unterschiedliche Zugänge haben die Ertl und Koiser, was die Tests betrifft. In den nächsten Tagen werden ja einmalig PCR-Gurgeltests durchgeführt, zusätzlich zu den ohnehin regelmäßigen Antigentests. Für Helmut Ertl ist offen, wie alle Testvorgaben vor allem bei Vollbetrieb einzuhalten seien, damit ein gesicherter Unterricht möglich sein wird.

Schülervertreter Benjamin Koiser sieht das nicht so dramatisch, wie er sagt: „Es ist sicher nicht die liebste Beschäftigung, aber man nimmt das gern in Kauf. Die Geschichten, die da immer wieder aufpoppen – uh, die armen Schülerinnen und Schüler müssen testen – da glaube ich kaum, dass das von den Schülern selbst kommt, das kommt eher aus dem Elternhaus.“

Schülerin und Schüler beim Testen in der Schule
ORF
Die sogenannten Nasenbohrer-Schnelltests gehören zum Alltag, zukünftig soll es auch PCR-Gurgeltests geben

Lernerfolge unterschiedlich bewertet

Weit auseinander sind Schüler- und Lehrervertretung, was die Einschätzung der Lernerfolge betrifft. Benjamin Koiser spricht von Lern-Defiziten, die wohl in den verbleibenden zwei Monaten nicht aufzuholen sein werden. Allerdings, so Koiser: „Ich glaube, dass das größte Learning aus der Krise der Umgang mit so einer Situation ist. In dieser Hinsicht kann man viel mitnehmen und den Lernstoff mitunter im nächsten Jahr aufholen.“

Lehrergewerkschafter Ertl widerspricht: „Über Distance Learning sind ja auch Wissensstoffe vermittelt worden. Ich weiß durch Rückmeldungen aus der Kollegenschaft, dass man hier sehr ernsthaft gearbeitet hat. Somit mache ich mir nicht die Sorgen, dass hier massive Abstriche zu befürchten sind.“

Experten appellieren: Mehr Impfungen abseits von CoV

Unstrittig ist hingegen ein anderes Problem, das durch die weitgehend geschlossenen Schulen seit Beginn der Krise entstanden ist: In der Pandemie sind weniger Kinder und Jugendliche gegen die im Impfprogramm vorgesehenen Krankheiten wie Masern, Pneumokokken oder Polio immunisiert worden. Der Vergleich zu den Vorjahren ließe auf Impflücken vor allem im Schulbereich schließen, sagte Karl Zwiauer, Mitglied des Impfgremiums des Gesundheitsministeriums, am Montag in St. Pölten. An Eltern wurde appelliert, versäumte Injektionen bei Kindern nachzuholen, sonst drohe ein Anstieg der Infektionen.

In Niederösterreich wurden im Jahr 2019 insgesamt 66.403 Kinder und Jugendliche geimpft, 2020 waren es nur 51.705. In den Schulen wurden 2019 im Bundesland 22.172 Injektionen verabreicht, 2020 waren es durch die CoV-bedingten Schließungen von Bildungseinrichtungen nur 842. Die versäumten Stiche ließen sich im heurigen Schuljahr nicht mehr aufholen, hieß es bei einem Pressegespräch. Zwiauer ortete hier eine „riesige Lücke“.

Karl Zwiauer, LR Königsberger-Ludwig und Sanitätsdirektorin Irmgard Lechner
Herbert Kaefer
Kinderarzt Karl Zwiauer, Landesrätin Königsberger-Ludwig und Sanitätsdirektorin Irmgard Lechner (v.l.) warnten bei einer Pressekonferenz vor einer „Impf-Lücke“ durch die geschlossenen Schulen

Warnungen vor „bösem Erwachen“

Bei Sechsfach-Impfungen, Pneumokokken und Masern-Mumps-Röteln wurden den Angaben zufolge in Österreich im Vorjahr über 90 Prozent des Bedarfs abgerufen. Im Schulbereich lagen die verwendeten Vakzinmengen bei der Vierfach-Impfung, bei HPV9, Meningokokken ACWY und Hepatitis B unter dem Jahr 2019.

Vor allem während des ersten Lockdowns seien Besuche in Ambulanzen und bei Ärzten aus Angst vor Ansteckungen massiv zurückgegangen, berichtete Zwiauer. Derzeit wirken sich die versäumten Impfungen aufgrund der CoV-Schutzmaßnahmen wie Maske und Social Distancing noch nicht aus, „aber wenn diese Maßnahmen wegfallen, werden wir spätestens im Winter oder 2022 wie ein Bumerang das Anstiegen der Infektionszahlen sehen“, betonte der Mediziner. Auch Sanitätsdirektorin Irmgard Lechner warnte vor einem „bösen Erwachen spätestens nächstes Jahr“, wenn versäumte Impfungen nicht aufgeholt werden.

Covid-Impfung für Kinder noch heuer erwartet

Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) appellierte an Eltern, bei jedem Arztbesuch den Impfstatus kontrollieren zu lassen, „damit wir Lücken schließen können“. Auch in Zeiten der Pandemie dürfe auf wichtige andere Präventivprogramme nicht vergessen werden. „Impfen ist eine der wichtigsten präventiven Maßnahmen zum Schutz vor schweren Krankheiten“, betonte die Landesrätin.

Die Zulassung von Covid-19-Impfstoffen für Kinder werde noch einige Monate dauern, so Zwiauer, frühestens heuer im dritten oder eher vierten Quartal werde es wohl so weit sein. „Kinder und Jugendliche erkranken zwar nicht so häufig und nicht so schwer an Corona, aber sie nehmen am Infektionsgeschehen teil und sind Überträger“, sagte der Mediziner. Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, werde es nötig sein, auch Kinder und Jugendliche zu impfen.