Material der Schuldnerberatung
APA/BARBARA GINDL
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Wirtschaft

Zahl der Insolvenzen weiter auf Talfahrt

In Niederösterreich hat es von Jänner bis März um 67 Prozent weniger Firmeninsolvenzen als im Vorjahr gegeben. Konkurse würden durch CoV-Wirtschaftshilfen und Stundungen nur hinausgezögert, warnen Experten. Die Schuldnerberatung spricht von „Ruhe vor dem Sturm“.

70 zahlungsunfähige Unternehmen beantragten im ersten Quartal in Niederösterreich die Insolvenz. Bekanntere Fälle waren etwa „die EIGENTUM“ Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft in Vösendorf oder die Kremsnerbau GmbH in Neunkirchen. Sie zählen zu den größten fünf Insolvenzen im ersten Quartal in Österreich. Bundesweit zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Insolvenzen gingen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um etwa 57 Prozent zurück. Im ersten Quartal wurden demnach laut vorläufigen Zahlen der Statistik Austria 484 Insolvenzen gezählt. Im Vorjahr waren es im ersten Quartal 1.118 – mehr dazu in Insolvenzen Anfang 2021 mehr als halbiert (news.ORF.at; 10.5.2021).

Rückgang nach Branchen

  • Persönliche Dienstleistungen: -74 Prozent
  • Information und Kommunikation: -71 Prozent
  • Beherbergung und Gastronomie: -69 Prozent
  • Sachgütererzeugung: -67 Prozent
  • Bau: -27 Prozent

Der starke Rückgang der Insolvenzen um 57 Prozent sei vor dem Hintergrund der seit 1. März 2020 ausgesetzten Insolvenzantragspflicht bei einer Überschuldung erfolgt, so Statistik-Austria-Chef Tobias Thomas. Bei den Branchen fallen die Rückgänge unterschiedlich aus (siehe Infobox). Am schwächsten ging die Zahl der Insolvenzen in der Bauwirtschaft zurück, dort gibt es mit 134 Fällen österreichweit – anders als im Gesamtjahr 2020 – absolut die höchste Zahl an Insolvenzen.

„Unternehmen künstlich am Leben erhalten“

Bei der Wirtschaftsauskunftei Dun & Bradstreet Österreich betonte man, dass der starke Rückgang nicht bedeute, dass es der Wirtschaft gut gehe. Das Minus sei die Folge der Milliarden, die der Staat in die Wirtschaft gepumpt habe. Viele Konkurse würden damit nur in die Zukunft verschoben, aber nicht aufgehoben. Das betreffe vor allem sogenannte „Zombie“-Unternehmen, die bei normalem Geschäftsverlauf schon aufgeben hätten müssen, nun aber durch Zuschüsse und Sonderregelungen weiter künstlich am Leben erhalten würden, hieß es bei Dun & Bradstreet.

Der Kreditschutzverband 1870 (KSV1870) warnt vor einer Insolvenzwelle in den Jahren 2022 und 2023. Da Unternehmenshilfen einmal mehr verlängert wurden, könne man keine validen Zukunftsprognosen abgeben. Die Insolvenzen würden aber womöglich ab Herbst langsam zu steigen beginnen.

Privatkonkurse ebenfalls rückläufig

Was sich bei Unternehmen zeigt, trifft auch auf die Privatkonkurse zu – aber mit teils gravierenden Unterschieden zwischen den Bundesländern. So gingen die Zahlen im ersten Quartal in Niederösterreich im Vergleich zu Vorjahr um 22 Prozent zurück. Österreichweit betrug der Rückgang nur sechs Prozent. Die Höhe der Verbindlichkeiten sank in Niederösterreich um 34 Prozent und beläuft sich auf etwa 27 Millionen Euro. In Vorarlberg hingegen stiegen die Verbindlichkeiten im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres um 159 Prozent auf 14 Millionen Euro an.

Den Rückgang in manchen Bundesländern führt der KSV1870 u.a. auf eine Gesetzesänderung zurück, durch die man sich ab Juli in einem kürzeren Zeitraum von drei statt fünf Jahren entschulden kann. Schuldnerinnen und Schuldner würden sich deswegen Zeit lassen, Privatkonkurs anzumelden. Die höhere Arbeitslosigkeit in Folge der CoV-Krise habe auf die aktuellen Zahlen noch keine Auswirkungen, sagt Karl-Heinz Götze, Leiter der KSV1870 im Bereich Insolvenz: „Ein Privatkonkurs entsteht im Regelfall nicht aufgrund eines singulären Ereignisses, sondern ist das Ergebnis einer längeren Phase der Verschuldung.“

Menschen die aufgrund der CoV-Krise arbeitslos werden oder weniger verdienen, würden nicht sofort in die Insolvenz rutschen. Eine Steigerung der Privatkonkurse erwartet KSV1870 „mittel- bis langfristig“ in den nächsten Jahren, da es derzeit etwa noch Steuerstundungen gebe.

Schuldnerberatung: Mehr junge Menschen betroffen

Es sei derzeit „die Ruhe vor dem Sturm", hieß es am Montag in einer Pressekonferenz der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich. Die Probleme würden durch Stundungen nur verschoben und nicht gelöst. Währenddessen würden sich viele Schulden ansammeln. Michael Lackenberger, Geschäftsführer der Schuldnerberatung Niederösterreich, erlebt die Auswirkungen der Pandemie in den täglichen Beratungen: „Durch Kurzarbeit und Jobverlust kommen nun auch zunehmend Menschen aus der Mitte der Gesellschaft zu uns. Das sind Personen, die sich nie hätten vorstellen können, einmal eine Schuldenberatung zu brauchen.“

Schuldnerberatung in Niederösterreich

Personen in Betreuung:
2020: 7.941
2019: 7.760
Durchschnittsverschuldung:
2020: 97.051,43 Euro
2019: 103.115,16 Euro

Die Betroffenen seien nicht durch falschen Umgang mit Geld in diese Situation geraten, sondern durch Arbeitslosigkeit oder gescheiterte Selbstständigkeit. Immer mehr Menschen würden sich verschulden, um ihre Wohn- oder Lebensmittelkosten zu bezahlen. Jede dritte Person, die zur Schuldnerberatung kommt, habe nur 1.000 Euro pro Monat zur Verfügung. Ein Viertel der Klientinnen und Klienten war im Vorjahr 30 Jahre alt oder jünger. „43 Prozent von ihnen waren 2020 arbeitslos“, sagte der Geschäftsführer der Dachorganisation ASB Schuldnerberatungen Clemens Mitterlehner.

Im nächsten Jahr rechnet Lackenberger mit einem Anstieg bei der Nachfrage nach Schuldnerberatung um 36 Prozent, denn eine höhere Arbeitslosenquote habe in der Vergangenheit meist zeitverzögert zu einem Anstieg der Schuldnerberatungen geführt. Wenn sich das bewahrheite, brauche die Schuldnerberatung auch mehr finanzielle Mittel und mehr Personal, forderte Lackenberger.