Der Kern des Gebiets gilt als einer der letzten Urwälder Österreichs und umfasst etwa 400 Hektar. Auch darum herum darf sich die Natur so entwickeln, wie sie will. Der Mensch hat dort noch nie etwas verändert. Das ist in Österreich auf nur 0,12 Prozent der Staatsfläche der Fall. In Europa können etwa 18 Prozent der Fläche noch als Wildnis bezeichnet werden. In Wildnisgebieten dürfen Flüsse und Bäche ihr Bett verändern, abgebrochene Äste Verklausungen bilden, Bäume absterben und im Wald als Totholz liegenbleiben.
Mutter Erde
Unter dem Motto „Klima schützen. Arten schützen“ findet der Schwerpunkt der Initiative „Mutter Erde“ statt. Vom 25. Mai bis zum 6. Juni beleuchtet der ORF in TV, Radio und online den Zusammenhang von Klimawandel und Artensterben.
Die unterschätzte Rolle von Totholz und Pilzen
Totholz wird von 4.500 Tier- und Pflanzenarten als Rückzugsort oder Nahrungsquelle genützt. Fast 60 Prozent aller Arten im Wald brauchen Totholz auf die eine oder andere Weise. Im abgestorbenen Holz leben Insekten, klopfen sich Spechte Löcher und Pilze, wie der Holzschwamm, zersetzen es und führen so dem Boden wieder Nährstoffe zu.
Das Lignin und die Zellulose des Baumes werden von unterschiedlichen Pilzen zersetzt. Wenn dieser Prozess weiter fortgeschritten ist, kann man das Holz auspressen wie einen Schwamm, erklärt Wildbiologin Nina Schönemann von der Schutzgebietsverwaltung. „Diese Flüssigkeit rinnt nicht davon, sondern verdunstet und bleibt so dem Wald erhalten, die Nährstoffe gehen nicht verloren. Das ist ganz wichtig für das Ökosystem.“ Pilze seien eigentlich das Wertvollste im Wald: „Die Vernetzung passiert über Pilze im Boden, da werden Nährstoffe ausgetauscht, aber auch Informationen. All das bewirkt, dass es eine höhere Stabilität im ganzen Ökosystem gibt.“
Folgen der Klimakrise im Wildnisgebiet
Die Klimakrise hinterlässt auch ihre Spuren im geschützten Wildnisgebiet, sagt Schönemann: „Es gibt Verschiebungen bei den Arten. Wärmeliebende, stickstoffliebende Arten kommen und verdrängen andere. Das sieht man beispielsweise bereits bei den Flechten.“ Wenn eine Art einmal verdrängt ist, sei es schwierig, dass sie sich wieder ansiedelt. „Sie können sich später nicht mehr etablieren, weil eben bereits andere Arten ihren Platz eingenommen haben.“
Baumwürfe oder Massenvermehrungen von Schädlingen wie dem Borkenkäfer – das wird im Wildnisgebiet alles als natürlicher Ablauf akzeptiert. „Wenn ein Borkenkäfer arbeitet, dann entstehen ja wieder Lichtungen. Die werden dann wieder von anderen Tieren gebraucht, das ist alles ein Kreislauf“, sagt Wildbiologin Nina Schönemann. Das Wildnisgebiet entstand nach der letzten Kaltzeit, die vor etwa 10.000 Jahren endete. Der Wald wurde nie wirtschaftlich genutzt.
Arten im Wildnisgebiet
- 70 Vogelarten, darunter fünf Specht- und vier Raufußhuhnarten, Habichtskauze und Steinadler
- 45 Säugetierarten, darunter Luchse
- Amphibien, darunter der Alpensalamander
Genreservat für gefährdete Arten
Heute leben dort nach wie vor Tiere und Pflanzen, die andernorts nicht mehr zu finden sind. Unter 900 Pilz- und 280 Moosarten sind einige, die erstmals und bislang einzig im Wildnisgebiet entdeckt wurden. Das 3.500 Hektar große Areal ist deswegen eines der biogenetischen Reservate Österreichs. Durch sie sollen gefährdete Tier- und Pflanzenarten erhalten werden, „denn die finden nirgendwo sonst mehr in der Natur einen Lebensraum“, so Schönemann. Die Hälfte des Wildnisgebiets ist zudem als UNESCO-Weltnaturerbe geschützt. Zuletzt gab es den politischen Beschluss, das Wildnisgebiet um 3.500 Hektar in die Steiermark zu erweitern – mehr dazu in Dürrenstein: Fläche soll sich verdoppeln (noe.ORF.at; 13.03.2021).
Zum Schutz der Arten soll das Wildnisgebiet von so wenigen Menschen wie möglich betreten werden. Erlaubt ist das ohnehin nur auf ausgewiesenen Wegen, etwa dem Eulenweg, die an den äußeren Grenzen des Gebiets verlaufen. Mit Führungen kommt man auch tiefer in die Wildnis hinein, die Touren sind aber stark reglementiert und monatelang vorher ausgebucht. Um die Bedeutung des Wildnisgebiets für die Artenvielfalt und den Naturschutz zu vermitteln, wurde in Lunz am See (Bezirk Scheibbs) das Haus der Wildnis gebaut. Dort kann Wildnis und ihre Artenvielfalt in einer Ausstellung mit vielen digitalen Elementen erlebt werden – mehr dazu in Große Natur im winzigen Ausstellungsraum (noe.ORF.at; 22.5.2021).