Johann Marihart
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„Ganz persönlich“

Johann Marihart: „Fad war mir nie“

Er ist einer der längstdienenden CEOs eines börsennotierten Unternehmens in Europa: der Weinviertler Johann Marihart. Er steht seit fast 30 Jahren an der Spitze des Agrana-Konzerns, in zwei Tagen geht er in Pension.

In seiner Zeit ist aus dem Unternehmen ein internationaler Konzern mit 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an weltweit 56 Standorten geworden, darunter Werke in Tulln, Leopoldsdorf im Marchfelde (Bezirk Gänserndorf), Gmünd, Pischelsdorf (Bezirk Tulln) und Kröllendorf (Bezirk Amstetten).

Johann Marihart, Jahrgang 1950, studierte Technische Chemie an der Technischen Universität Wien. 1976 begann er seine Berufslaufbahn im Stärkewerk Gmünd. 1988 wurde er Mitglied des Agrana-Vorstands, seit 1991 ist Marihart Vorstandsvorsitzender des Unternehmens. Marihart ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter.

noe.orf.at: Sie sind der Mister Agrana. Sind Sie stolz auf Ihr Lebenswerk?

Johann Marihart: Stolz ist vielleicht der falsche Ausdruck. Ich habe ein langes Berufsleben bei Agrana verbracht. Wenn man lange im Beruf ist, kann man auch vieles umsetzen von dem, was man sich vornimmt. Man kann sich verwirklichen. Insofern blicke ich doch mit einem Lächeln auf mein Lebenswerk.

noe.ORF.at.: Was war Ihr größter Erfolg?

Marihart: Mein Highlight ist die Bioraffinerie in Pischelsdorf. Denn als Manager hat man nicht oft die Möglichkeit, einen Standort selbst zu wählen. Dann dieses Werk zu bauen, für die nächste Generation, vielleicht für die übernächste. Das ist ein ganz wichtiges Thema in Hinblick auf viele Punkte. Wir haben uns für ein Werk an der Donau entschieden, mit Bahnverbindung. Das ist ein Zukunftskonzept, das gut gelungen ist. Wir haben mittlerweile 300 Millionen Euro investiert.

noe.orf.at: Von den Erfolgen zu den Misserfolgen: Was war denn Ihre größte Enttäuschung?

Marihart (lacht): Das ist eine gute Frage. Da gab‘s einige, und über die redet man nicht so gern. Ich sage immer, ein Misserfolg ist nichts, was einen sehr kränken muss. Denn es ist die Möglichkeit, anderes zu tun und zu lernen.

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Marihart im „Ganz Persönlich“-Gespräch mit ORF-NÖ-Redakteurin Eva Steinkellner-Klein

noe.orf.at: Der Agrana-Konzern hat die Coronavirus-Krise bisher ganz gut überstanden. Wie fällt denn Ihre Bilanz aus?

Marihart: Naja, Corona hat uns gefordert. Ich habe mir das letzte Jahr etwas entspannter vorgestellt. Wir sind sechs oder acht Stunden vor dem Computer gesessen und haben Videokonferenzen abgehalten. Das habe ich mir schon etwas persönlicher vorgestellt. Obwohl, man gewöhnt sich auch daran. Und man konnte dieses technische Equipment geschäftlich gut nutzen. Es war aber ein sehr herausforderndes Jahr. Wir mussten unsere Schichten so umbauen, dass wir immer Ersatz hatten.Andererseits: Es ist, wie es ist. Das habe ich in meinem Leben immer so genommen: Man muss sich mit den Gegebenheiten arrangieren, und die sind nun einmal so.

noe.orf.at: Letztes Jahr stand das Agrana-Werk in Leopoldsdorf an der Kippe. Letztlich konnte man sich einigen: Wenn auf 38.000 Hektar Rüben angebaut werden, dann garantiert Agrana die Abnahme. Die Politik hat sich mit einer Wiederanbauprämie beteiligt und am Ende hieß es: Das Werk und damit mehr als 100 Jobs bleiben, jedenfalls heuer. Wie geht’s weiter?

Marihart: Es schaut so aus, als wäre das Projekt von Erfolg gekrönt. Für heuer haben diese 38.000 Hektar Rübenanbaufläche für die beiden Zuckerfabriken kontrahieren können. Wir glauben auch, dass das für die nächsten Jahre haltbar und auch noch ausbaubar ist. Weil die Zuckerpreise aufgrund der europäischen Knappheit steigen sollten, steigen auch die Rübenpreise. Das macht den Rübenanbau für die Landwirte attraktiver.

Standort Leopoldsdorf: „Fix ist nix“

noe.orf.at: Wie viele Jahre ist denn der Bestand des Werks in Leopoldsdorf fix?

Marihart: Fix ist nix, um das ganz einfach zu sagen. Jeder unserer Standorte lebt davon, dass er den Rohstoff und den Markt hat. Solange wir Rohstoff haben, ist es fix.

noe.orf.at: Am 1. Juni beginnt Ihr Ruhestand. Was werden Sie an diesem Tag machen? Ist auch Wehmut dabei? Es ist ja doch ein großer Einschnitt.

Marihart: Zunächst einmal habe ich bis jetzt so gearbeitet, also wäre das Ende nicht so nahe, weil man Nachfolger kommt erst am 31. Mai. Ich bin daher in der Pflicht, die Dinge so weiter zu bearbeiten, dass er sie nahtlos und ohne Lücke übernehmen kann. Wir werden uns am Montag zusammensetzen, um die letzten Punkte zu besprechen. Er war jetzt schon immer Teil der diversen Meetings, so haben wir uns auf den Übergang vorbereitet, aber damit ist dann am Montag auch Schluss.

Natürlich ist auch eine gewisse Wehmut dabei, aber auch Freude. Ich kann etwas übergeben, das herzeigbar ist. Es sind auch keine besonderen Probleme anstehend. So gesehen bin ich ganz zufrieden, letztlich bin ich 70 Jahre alt. Außerdem habe ich ja auch eine Reihe von Aufsichtsratmandaten, die mich weiter beschäftigen werden. Ein paar Hobbys habe ich dann auch noch, ich mache gerne Gartenarbeit, ich mähe zum Beispiel meinen Rasen selbst. Da findet sich immer Arbeit.

noe.orf.at: Sie haben an der TU Wien studiert. Viele Topmanager kommen von der Wirtschaftsuniversität. Haben Sie das als Nachteil oder sogar als Vorteil empfunden?

Marihart: Ich sehe das nicht so. TU-Absolventen oder naturwissenschaftlich Ausgebildete sind bekannt dafür, dass sie deutsche Unternehmen führen, bei Agrana ist das auch so. Aber die wirtschaftliche Kompetenz bringt man natürlich nicht mit. Wie man sieht, kann man das auch nachlernen. Es war ein Vorteil. Denn die fachliche Komponente kann man nicht einfach zukaufen. Das Know-how hat uns letztlich den Erfolg beim EU-Beitritt gebracht. Wir konnten alles machen, hatten aber die Märkte nicht. Dann war alles offen, und wir konnten das multiplizieren. Das alles habe ich miterarbeitet.

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Johann Marihart kommt eigentlich aus dem Bereich der Naturwissenschaften, er studierte Technische Chemie

„Dachte nie daran, zu wechseln“

noe.orf.at: Viele Topmanager sind Jobhopper. Wenn das Angebot passt, dann wechselt man das Unternehmen. Hat Sie das nie gereizt, woanders zu arbeiten?

Marihart: Manche fragen mich ja, ob mir das nicht schon fad geworden ist. Das war nicht der Fall. Ich konnte Gott sei Dank immer dafür sorgen, dass das Unternehmen wächst und es immer Herausforderungen gegeben hat, die wir uns auch selbst schaffen konnten, wie etwa der Ausbau der Werke weltweit. Das Unternehmen ist heute kein komplett anderes als 1988. Ich hatte also so viel zu tun, dass ich gar nicht daran dachte, zu wechseln.

noe.orf.at: Was braucht ein Manager aus Ihrer Sicht heutzutage? Was sind die wichtigsten drei Eigenschaften?

Marihart: Da gibt es so viele Bücher dazu, das jetzt auf drei Eigenschaften zu verknappen, ist schwierig. Also ich persönlich halte sehr viel von einer soliden Grundausbildung, die ist ganz wichtig. Das zweite ist, dass man ganz einfach mit Menschen umgehen können muss. Ich halte wenig von Selbstdarstellern oder autoritärem Führungsstil, ich habe beispielsweise immer gute Beziehungen zu unseren Betriebsräten gepflogen. Ich glaube, diese Soft Skills sind ganz wesentlich. Und letztlich, also drittens, wäre es ganz gut, wenn man ein guter Kommunikator ist.

noe.orf.at: Zucker hat ein schlechtes Image. Ärgert Sie das eigentlich?

Marihart: Ärgern ist das falsche Wort, aber ich glaube, Zucker hat wirklich zu Unrecht ein falsches Image. Das wäre so, wenn ich sage, das Auto hat ein schlechtes Image. Man fährt eben zu viel Auto und wenn man zu viel Zucker isst, hat man Probleme gesundheitlicher Art, vor allem, wenn es dann mit der Bewegung nicht zusammenpasst. Aber Zucker ist ein Grundnahrungsmittel, das unser Körper braucht. Ich glaube ja auch, dass die Menschen viel zu wenig über Ernährung wissen. Wir haben einmal eine Umfrage gemacht, was hat mehr Kalorien, Zucker oder Fett. Alle haben gesagt: Zucker, dabei hat Zucker nur halb so viele Kalorien wie Fett. Das zeigt, dass da noch viel getan werden muss.

noe.orf.at: Am 1. Juni ist der erste Arbeitstag Ihres Nachfolgers Markus Mühleisen. Was wird er am dringendsten brauchen, wenn er Ihren Posten antritt?

Marihart: Demut. Demut vor der Agrana, vor der Breite der Agrana und vor der Internationalität der Agrana. Das erfordert schon einige Einarbeitung und Beschäftigung mit der Materie selbst, bevor man hier dem Unternehmen seinen eigenen Stempel aufdrücken kann.

noe.orf.at: Gibt es etwas, was Sie noch unbedingt fertigmachen wollten, aber nicht mehr dazugekommen sind?

Marihart: Mir war immer klar, man gibt Work in Progress weiter. Man kann nicht sagen, heute ist Schluss und morgen ist nichts Neues. Also, um auf Ihre Frage zu kommen: Nein, alles gut (lacht).