Umwelt & Klima

Dorfoffice: Ein Bürojob ohne Pendeln

Spätestens seit dem Vorjahr ist Homeoffice als Alternative zur klassischen Büroarbeit alltagstauglich. Einen Mittelweg versprechen ländliche Coworking-Konzepte, doch nicht überall ist das gleichermaßen möglich. Ein Schlüssel ist die Internetgeschwindigkeit.

Zu Hause zu arbeiten kommt für Peter Teufel nicht in Frage, „zumindest nicht dauernd“. Der Werbegrafiker wohnt in der Nähe von Scheibbs, seit fünf Jahren mietet er sich im nahegelegenen Coworking-Space Neubruck ein. Wichtig sei ihm zum einen die Möglichkeit gewesen, Kunden in einem eigenen Raum empfangen zu können, zum anderen lege er Wert auf die Gemeinschaft mit anderen Berufstätigen aus verschiedenen Branchen, sagt er gegenüber noe.ORF.at.

In der Stadt ist das Konzept, bei dem einzelne Arbeitsplätze in einem gemeinsam genutzten Großraumbüro gemietet werden, schon länger etabliert. In ländlicheren Regionen gibt es bisher nur vereinzelt Coworking-Experimente. Jenes in Neubruck war 2016 eines der ersten. Als Standort bot sich damals das historische Töpperschloss an, in dem im Jahr davor die niederösterreichische Landesausstellung stattgefunden hatte. Das Gebäude war dafür neu saniert worden, die Investitionen sollten nun unter anderem dem Coworking-Space zugute kommen.

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„beta campus“ Waidhofen/Ybbs
ORF/Felix Novak
Der Grafiker Peter Teufel im Coworking-Space Neubruck
„beta campus“ Waidhofen/Ybbs
ORF/Felix Novak
Das Gemeinschaftsbüro befindet sich im alten Töpperschloss, in dem 2015 die Landesausstellung stattfand
„beta campus“ Waidhofen/Ybbs
ORF/Felix Novak
Wichtig ist laut Verantwortlichen das Gesamtpaket – in diesem Fall inklusive Gastronomie

Maßgeblich beteiligt war dabei die LEADER-Region Eisenstraße, die auf eine EU-Initiative zurückgeht. Die Herausforderungen für Coworking-Konzepte unterscheiden sich laut LEADER-Manager Stefan Hackl von jenen in der Stadt: „Raum ist nicht knapp am Land. Umso wichtiger ist es, dass man Zentren schafft, in denen Gemeinschaften und eine gewisse Dichte entstehen“. Es müsse etwa einen Gastgeber oder eine Gastgeberin geben, „die sich um die Coworker kümmern, die schauen, dass es Veranstaltungen, Netzwerktreffen und vielleicht Weiterbildungen gibt“, sagt Hackl. Außerdem müsse natürlich der Kaffee gut sein, fügt er lächelnd hinzu.

Coworking in jeder Gemeinde?

Hackl ist davon überzeugt, dass diese Form von „Dorfoffice“ großes Potential bieten kann, auch für kleinere Gemeinden. Man könne so etwa Leerstände nutzen und Ortszentren beleben. „Es ist durchaus eine Vision, dass es in jeder Gemeinde, in jedem Dorf ein solches multifunktionales Gemeinschaftsbüro gibt“, sagt der Manager der LEADER-Region.

Grund und Boden

Der Bodenverbrauch ist einer der größten Treiber der Klimakrise. Der ORF Niederösterreich widmet sich in einem Schwerpunkt jeden Samstag verschiedenen Aspekten des Bauens, Wohnens und der Bodenversiegelung.

Bis es dazu kommt, ist es aber noch ein weiter Weg. Nicht jeder Versuch funktioniert gleich gut, nicht jedes Experiment gelingt auf Anhieb. Im Schloss Neubruck ging die Zahl der Mieterinnen und Mieter nach dem Start etwa wieder zurück, die Gemeinschaft schrumpfte erheblich. Teile des Coworking-Spaces wurden bereits wieder in herkömmliche Büros umgewandelt. Hackl spricht in diesem Zusammenhang von „Wellenbewegungen“, man habe eben manchmal mehr und manchmal weniger Nutzerinnen und Nutzer. Das Konzept brauche mehr Zeit, um sich entfalten zu können.

Flaschenhals Internetverbindung

Eine Grundbedingung dafür, dass digitale Arbeitsplätze am Land erhalten oder gar neu geschaffen werden können, ist die Internetverbindung. Ohne ausreichende Bandbreite, etwa für Videotelefonate, ist das Arbeiten aus der Ferne kaum denkbar. In Neubruck wurde auch dieses Problem durch die Sanierungsarbeiten vor der Landesausstellung gelöst. In vielen anderen Gemeinden scheitert das Konzept „Dorfoffice“ aber bereits an den langsamen Übertragungsraten via Kupferkabel.

Bis 2030 soll Österreich möglichst flächendeckend mit Gigabit-fähigen Internetanschlüssen ausgestattet sein. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Der Breitbandatlas des Bundes zeigt an, welche Übertragungsraten wo möglich sind. Die Ergebnisse sind ernüchternd: In den kleineren Gemeinden sind häufig nicht einmal zehn MBit/s, also ein Hundertstel der Zielvorgabe, erreichbar. Klassische Büroarbeit ist so kaum möglich.

„In Bezug auf Glasfaser spielt Österreich in der EU eine sehr untergeordnete Rolle“, sagt Reinhard Baumgartner, Geschäftsführer der niederösterreichischen Glasfaser Infrastruktur Gesellschaft (nöGIG), „wir verteidigen dort fast den letzten Platz“. Lediglich drei Prozent der Haushalte seien in Österreich mit schnellem Breitband ausgestattet, verglichen mit knapp 20 Prozent im EU- und etwa 30 Prozent im OECD-Schnitt. Niederösterreich freilich sei zumindest besser dran als andere Bundesländer, betont Baumgartner: „Wir haben schon viele Vorbereitungen getroffen und Maßnahmen eingeleitet.“ Im ländlichen Raum stehe man jetzt bei etwa zehn Prozent. Damit besteht im internationalen Vergleich allerdings immer noch massiver Aufholbedarf.

Spatenstich Glasfaserausbau
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Spatenstich für ein neues Glasfaserkabel in Pyhra (Bezirk St. Pölten)

Nächste Phase für Breitbandausbau

Die nöGIG wurde vor sechs Jahren gegründet. Sie ist seitdem für alle Gemeinden zuständig, die weniger als 5.000 Einwohner haben. Die Grundidee: Für alle größeren Gemeinden könne der private Markt alleine ausreichend schnelle Verbindungen bereitstellen. „Wir haben bereits 35.000 Haushalte und Betriebe mit Glasfaser versorgt“, sagt Baumgartner. Bisher beschränkte sich das in erster Linie auf Pilotregionen im Wald- und Mostviertel. „Jetzt starten wir Stufe zwei, in der wir in den nächsten drei Jahren 100.000 Haushalte versorgen“, kündigt der nöGIG-Geschäftsführer an.

Verzögerungen sind dabei allerdings nicht ausgeschlossen, denn für den Ausbau braucht es Förderungsmittel von EU und Bund, bekannt unter dem Ausdruck Breitbandmilliarde. Deren zweite Finanzierungsphase soll 1,4 Milliarden Euro umfassen, ein Viertel davon für Niederösterreich. Diese Finanzierung müsse laut Baumgartner bis Herbst stehen.

Fortlaufender Ausbau in Waidhofen

Solange der Ausbau nicht weiter voranschreitet, sind Coworking-Spaces vor allem in regionalen Zentren wie etwa Bezirkshauptstädten möglich. Ein erfolgreiches Beispiel ist der „beta campus“ in Waidhofen an der Ybbs, ebenfalls mit aufgebaut von der LEADER-Region Eisenstraße. In einem leerstehenden ehemaligen Industriegebäude mitten in der Stadt erfolgte 2018 der erste Schritt, erzählt Community- und Projektmanagerin Verena Brandstetter: „Es hat rein mit Coworking und zwei Besprechungsräumen begonnen.“

Zusätzlich zu den sieben Arbeitsplätzen im Dachgeschoss wurde seitdem immer weiter ausgebaut. Neben Büroflächen gibt es mittlerweile etwa Veranstaltungsräume und auch Werkstätten, denn gemeinsam mit der lokalen Wirtschaft will man speziell dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Es soll die „Zukunft der Lebens- und Arbeitswelt“ sein, heißt es bei den Verantwortlichen.

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„beta campus“ Waidhofen/Ybbs
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Im Dachgeschoss des ehemaligen Bene-Gebäudes wurde in Waidhofen ein Großraumbüro eingerichtet
„beta campus“ Waidhofen/Ybbs
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Die Arbeitsplätze können praktisch rund um die Uhr benützt werden
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Für Besprechungen und vertrauliche Gespräche gibt es eigene Besprechungsräume
„beta campus“ Waidhofen/Ybbs
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Großer Wert wird beim Coworking auf Gemeinschaft gelegt
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Ein größerer Veranstaltungsraum einen Stock tiefer wird hier von Studierenden genutzt
„beta campus“ Waidhofen/Ybbs
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Die Firma iFE Doors hat sich mit einem Projektteam in den „beta campus“ eingemietet
„beta campus“ Waidhofen/Ybbs
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Einen zusätzlichen Schwerpunkt legt die LEADER-Region gemeinsam mit Partnern auf Ausbildung von Fachkräften für die regionale Wirtschaft. Eine Werkstatt, hier mit einem Roboterarm ausgestattet, steht dafür bereit.

Die Pandemie gab dem Zentrum einen zusätzlichen Schub. „Wir haben gerade in der Coronazeit gesehen, dass viele zu uns gekommen sind und nur vereinzelte Arbeitsplätze gemietet haben, weil sie zu Hause keine gute Internet-Infrastruktur hatten“, erzählt Brandstetter.

Größere Firmen als neue Zielgruppe

Ein Zukunftsthema sind auch größere Unternehmen, die sich in den Coworking-Space einmieten. Ein Industrieunternehmen aus der Region ist seit Herbst Teil des „beta campus“. „Sie sind zum Teil mit zwölf Personen bei uns und arbeiten gemeinsam an einem Thema“, erklärt Brandstetter. Auf der einen Seite sei direkt in der Firma nicht genug Platz für dieses Team, im Coworking-Space könne das Team zusätzlich „fokussiert auf neutralem Boden“ arbeiten, sagt die Projektmanagerin.

Einer der Coworker in Waidhofen an der Ybbs ist momentan Zeeshan Haider. Der US-Amerikaner lebt normalerweise in San Francisco. Momentan ist er für mehrere Monate in Österreich – und der „beta campus“ erlaubt es ihm, in dieser Zeit weiterhin für seinen Arbeitgeber, einen US-Baukonzern, tätig zu sein. „In dieser Einrichtung kann ich sehr flexibel arbeiten. Ich bin normalerweise bis Mitternacht hier“, sagt Haider. Große Unterschiede zwischen dem „beta campus“ und den innovativen Büroformen in seiner Heimat kann er nicht erkennen. Es ist ein Hauch von Silicon Valley mitten im Mostviertel.