Paulus Hochgatterer
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Kultur

Arzt und Autor: Paulus Hochgatterer ist 60

Er ist einer der anerkanntesten Kinder- und Jugendpsychiater des Landes, als Romanautor seit langem geschätzt und immer mehr als Dramatiker aktiv. Paulus Hochgatterer feiert am Freitag seinen 60. Geburtstag.

Hochgatterer hatte gerade als einer von zehn Autoren bei „Die X Gebote. #wiewirlebenwollen“ in Melk Premiere, schrieb für Bayreuth (Premiere: 29. Juli) das Libretto für „Rheingold – Immer noch Loge“ und dramatisiert für das Landestheater Niederösterreich „Die Blendung“ von Elias Canetti.

Paulus Hochgatterer wurde am 16. Juli 1961 in Amstetten geboren. Nach der Matura studierte er Medizin und Psychologie an der Universität Wien, 1985 promovierte er. Ab 1992 hatte er als Facharzt für Psychiatrie und Neurologie des Kinder- und Jugendalters eine Stelle als Oberarzt im Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel in Wien inne.

Er leitete das Institut für Erziehungshilfe in Wien-Floridsdorf und steht seit 2007 der damals neu gegründeten Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Tulln vor. Über die schwierige Arbeit von ihm und seinem Team konnte man sich 2015 in dem Dokumentarfilm „Wie die anderen“ von Constantin Wulff ein Bild machen. In der Coronavirus-Zeit war seine Expertise über die Auswirkungen des Lockdowns auf die jugendliche Psyche immer wieder gefragt.

Hochgatterer lachend beim Kaffee
DANIELA MATEJSCHEK
Paulus Hochgatterer

Ein wortstarker Erzähler unbehaglicher Zustände

Als Autor hat sich Hochgatterer zunächst mit Büchern wie „Über die Chirurgie“, „Caretta caretta“, „Über Raben“ oder „Eine kurze Geschichte vom Fliegenfischen“ einen Namen gemacht. Fein konstruiert und psychologisch diffizil handeln sie von inneren Zuständen, die nur scheinbarer in äußerlicher Normalität versteckt sind, und von Außenseitern, deren Inneres in Kategorien von Normalität ohnehin nicht gemessen werden kann. Nicht selten standen Psychiater, Ärzte, aber auch Kriminalisten im Zentrum seiner Geschichten.

Denn mit „Die Süße des Lebens“ ging Hochgatterer unter die Krimiautoren: Der in einer österreichischen Kleinstadt spielende Thriller erreichte nicht nur 2006 eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis, sondern zog auch den Folgeroman „Das Matratzenhaus“, erneut mit dem Kinderpsychiater Raffael Horn und dem Kriminalkommissar Ludwig Kovacs, nach sich. 2019 folgte mit demselben Duo „Fliege fort, fliege fort“. Einer der zentralen Schauplätze des Romans ist ein ehemaliges Kinderheim, das heute als Aufenthaltsort für minderjährige Flüchtlinge dient.

Paulus Hochgatterer
ORF

„Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ wurde zu seinem bisher größten Erfolg als Autor. 2017 kam er mit dieser intimen Kriegserzählung auf die Besten- und die Bestsellerlisten sowie in die Endrunde für den österreichischen Buchpreis. Zwei Jahre später wurde der Text im Landestheater Niederösterreich in St. Pölten auch auf die Bühne gebracht.

Mit Nikolaus Habjan bei den Bayreuther Festspielen

Die Oper und das Theater interessieren und begleiten Hochgatterer schon lange. 2008 wurde in Melk sein „Casanova – Giacomo brennt“ uraufgeführt, für die Dekalog-Reihe im Wiener Schauspielhaus steuerte er seine Variante des vierten Gebots („Du sollst Vater und Mutter ehren“) bei. Am Schauspielhaus wurde 2012 auch „Makulatur“ uraufgeführt. Viele Früchte trug seine Zusammenarbeit mit Nikolaus Habjan, die sich nun in Bayreuth und mit der „Blendung“ fortsetzt. „Böhm“ brachte am Schauspielhaus Graz die Lebensgeschichte des Dirigenten Karl Böhm auf die Bühne, für Habjans Dortmunder Version von Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ schuf er eine 80-Minuten-Fassung.

Zu den Auszeichnungen des in Wien lebenden Autors zählen der Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur (2000), der Deutsche Krimipreis (2007), der EU-Literaturpreis (2009), der Johann-Beer-Literaturpreis (2010) und der Österreichische Kunstpreis in der Sparte Literatur (2010). In seinen ebenfalls 2010 gehaltenen Zürcher Poetikvorlesungen entwarf er poetologische Grundfiguren: „Ein Kind ist da“, „Ein Kind spricht“, „Ein Kind erzählt“, „Ein Kind schreit“, „Ein Kind verstummt“, „Ein Kind ist tot“, „Ein Kind hört zu“, „Ein Kind spielt“ und „Ein Kind liest“. In seinem Reden- und Essayband „Katzen, Körper, Krieg der Knöpfe“ (2012) ist aber auch zu lesen: „Dass Leute, die schreiben, in Wahrheit über nichts anderes schreiben als über sich selbst, ist ein gängiges und möglicherweise wahres Vorurteil.“ Solange sie so viel Allgemeingültiges zu erzählen haben, soll einem nichts Schlimmeres passieren.