Leerstand im Zentrum von Horn
ORF/Felix Novak
ORF/Felix Novak
Umwelt & Klima

Kampf ums Zentrum in der Ortsmitte

Supermärkte und Einkaufszentren liegen oft am Rand von Siedlungen. Dadurch entstehen zusätzliche Autofahrten, Innenstädte haben mit Abwanderung und Leerständen zu kämpfen. Mit einem Lösungsansatz hat man in Niederösterreich schon Erfahrung.

Früher Nachmittag an einem typischen Julitag in Horn. Die Parkplätze im Stadtzentrum sind etwa zur Hälfte gefüllt, vereinzelt sind Passantinnen und Passanten zu sehen, einige ältere Männer sitzen auf Bänken in der Sonne und beobachten die Szenerie. Ein bedeutender Teil des Horner Lebens spielt sich allerdings nicht hier, sondern einige Kilometer entfernt am Stadtrand ab – im Einkaufszentrum. Dorthin fahren viele mit dem Auto. Ein großer Parkplatz, rundherum Geschäfte. Dieses Bild ist allerdings keine Besonderheit der Waldviertler Bezirkshauptstadt. Ähnliches könnte man auch in vielen anderen Städten und Gemeinden des Landes beobachten.

„Innenstädte wünschen wir uns belebt“, sagt Gernot Stöglehner, Institutsleiter und Professor für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien. Leben komme allerdings nur dann in die Zentren, wenn es Geschäfte und Gastronomie in der Erdgeschosszone gebe. „Wenn wir die verlieren, weil sie ins Einkaufszentrum abwandern, dann fehlen uns in der Innenstadt viele Beiträge fürs Leben“, so Stöglehner. In der Horner Innenstadt wurden etwa alleine im Vorjahr Filialen einer Drogeriekette und einer Bäckerei geschlossen. Im Einkaufszentrum gibt es beide immer noch.

Einkaufszentrum Horn
ORF/Felix Novak
Ein Teil des Horner Einkaufszentrums, das nur wenige mit dem Rad oder zu Fuß aufsuchen

Der Bau von neuen Einkaufszentren am Stadtrand wäre in Niederösterreich nach einigen Gesetzesänderungen kaum noch möglich. Sie dürften nur dort entstehen, wo auch eine Mindestanzahl an Einwohnern lebt. Für Stöglehner eigentlich eine „innovative Lösung“. Es gibt ein Aber. Viele Einkaufszentren habe man basierend auf altem Recht und alten Widmungen gebaut, „gegen die man jetzt nichts machen kann“, sagt Stöglehner: „Die sind jetzt im Raum vorhanden und mit denen muss man leben, auch mit ihrer Konkurrenz zu den Innenstädten.“

Ein Einkaufszentrum neben dem Rathaus

Ein wenig anders ist die Situation in Mank (Bezirk Melk), einer Gemeinde mit knapp 4.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Vor knapp 20 Jahren zog dort ein studierter Raumplaner als Bürgermeister ins Rathaus ein. Mit dieser Ausbildung habe man „viele Möglichkeiten, aktiv für die Ortskernentwicklung beizutragen“, sagt Martin Leonhardsberger (ÖVP). Auf der einen Seite arbeite die Gemeinde über das Stadtmarketing eng mit der lokalen Wirtschaft zusammen, zum anderen spiele die Gemeinde eine aktive Rolle am städtischen Bodenmarkt, kaufe etwa vorsorglich bestimmte Grundstücke an und entwickle sie.

Grund und Boden

Der Bodenverbrauch ist einer der größten Treiber der Klimakrise. Der ORF Niederösterreich widmet sich in einem Schwerpunkt jeden Samstag verschiedenen Aspekten des Bauens, Wohnens und der Bodenversiegelung.

Schwer erreichbare Supermärkte am Rand des Siedlungsgebiets gibt es allerdings auch dort. Dass es anders geht, zeigt das „Alpenvorlandcenter“. Das Einkaufszentrum wurde vor zehn Jahren eröffnet – direkt neben dem Manker Rathaus und damit mitten in der Stadt, an einer Stelle, an der sich zuvor ein alter leerstehender Bauernhof befunden hatte. Ein Supermarktbetreiber habe zuvor einen Standort gesucht, erzählt Leonhardsberger, mit der gemeinsam gefundenen Lösung habe man in den vergangenen Jahren den Ortskern belebt.

Das Einkaufszentrum habe laut Bürgermeister aber wiederum neue Leerstände verursacht, weil einige Geschäfte aus anderen Gebäuden in der Innenstadt übersiedelt seien: „Die nächste Herausforderung war dann, diese neu entstandenen Leerflächen zu füllen. Wir entwickelten ein Leerflächenmodell, bei dem der Grundbesitzer, die Gemeinde und das Stadtmarketing einen Beitrag leisten, damit neue Firmen sehr günstig Geschäftsflächen finden können.“

Fotostrecke mit 4 Bildern

Stadtzentrum Mank
ORF/Felix Novak
Seit zehn Jahren versammelt das Alpenvorlandcenter direkt im Zentrum von Mank Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe
Stadtzentrum Mank
ORF/Felix Novak
Rund um Kirche, Rathaus und Stadtsaal gibt es vergleichsweise wenige Leerstände
Stadtzentrum Mank
ORF/Felix Novak
Supermarkt oder auch Kino sind für viele Einwohnerinnen und Einwohner zu Fuß erreichbar
Stadtzentrum Mank
ORF/Felix Novak
Radwege gibt es auf diesen zentralen Straßen der Stadt allerdings bisher trotz Bemühungen des Bürgermeisters noch nicht

Abhängig vom Willen der Eigentümer

Mit denselben Problemen wie alle anderen Gemeinden kämpft man auch hier: Wenn etwa ein Eigentümer partout nicht will, dass sein Grundstück im Zentrum entwickelt wird. Wenn er es zum Beispiel ausschließlich als Wertanlage betrachtet. „Legistische Möglichkeiten gibt es da kaum“, sagt Ortschef Leonhardsberger, man müsse in der Regel als Gemeinde auf die Grundbesitzer zugehen und sie „entweder motivieren, von sich aus tätig zu werden, oder direkt das Geld in die Hand nehmen und das Grundstück kaufen“.

Zumindest ein wenig Abhilfe soll ein neues Raumordnungsgesetz schaffen, das im Vorjahr im niederösterreichischen Landtag beschlossen wurde. Die Gemeinde kann seitdem relativ einfach Bauland widmen, das auf sieben Jahre befristet ist. Wird das Grundstück in diesem Zeitraum nicht bebaut, wird es automatisch wieder rückgewidmet. Damit soll Spekulationen mit Baugrundstücken Einhalt geboten werden – mehr dazu in Neues Gesetz als Bremse für Grünland-Verbauung (noe.ORF.at; 26.10.2020).

Für Fachleute ist der Bauzwang ein Schritt in die richtige Richtung, um Ortszentren entwickeln und die Zersiedelung bremsen zu können. Erneut gibt es ein Aber. „Das Problem mit all diesen bodenpolitischen Maßnahmen ist, dass sie immer einen Widmungsakt voraussetzen“, sagt BOKU-Professor Gernot Stöglehner, „das heißt, ich muss wieder eine grüne Wiese in Bauland umwidmen.“

Neuer Anlauf für Infrastrukturabgabe?

Er spricht sich für zusätzliche finanzielle Anreize aus. Nicht genutzte Gebäude oder Baugrundstücke könnten etwa durch eine Infrastrukturabgabe oder eine Neuregelung der Grundsteuer belastet werden. „Dann wird Leerstand tatsächlich wieder verfügbar gemacht, weil er etwas kostet“, sagt der Raumordnungsexperte. „Jetzt kostet es zwar die Erhaltung, aber sonst rundherum nicht viel.“

Diese grundsätzliche Idee ist nicht neu. In Niederösterreich hat man damit sogar schon Erfahrungen gesammelt. 1995 beschloss der Landtag eine Infrastrukturabgabe für bestimmte unbebaute Grundstücke, die bereits als Wohnbauland gewidmet waren. Als Frist bis zur ersten – durchaus saftigen – Zahlung wurden damals fünf Jahre festgelegt. 1999, also unmittelbar bevor die ersten Eigentümer zur Kasse gebeten worden wären, kippte der Landtag das Gesetz in letzter Minute wieder. Man wolle Grundstückseigner nicht belasten, hieß es damals, schließlich handle es sich um deren Eigentum.

Für Stöglehner gilt das Argument in dieser Form heute nicht mehr. Eigentum sei zwar zurecht ein hoch geschützter Grundwert, „wir sehen aber jetzt, dass aufgrund unseres überbordenden Baulandbedarfs der letzten Jahrzehnte ein zusätzliches öffentliches Interesse in den Vordergrund tritt: das Interesse an Bodenschutz“.

Neues Viertel für Mank

Wie innovativ Raumplanungsprojekte innerhalb der bestehenden Gesetze aussehen können, zeigten im Vorjahr Studierende des BOKU-Professors – ausgerechnet in Mank. Die Stadtgemeinde hatte zuvor ein 3,5 Hektar großes stillgelegtes Molkereiareal gekauft, für das die angehenden Raumplaner möglichst nachhaltige und flächenschonende Ideen finden sollten.

„Hier ist schon Boden verbaut und wir wollten diesen Boden wieder reaktivieren“, sagt Bürgermeister Leonhardsberger. Bis zu 200 Wohnungen sollen hier entstehen – und natürlich Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten. Gemeinsam werde man das in den kommenden Jahrzehnten entwickeln, so der ÖVP-Politiker: „Das wird sicher das nächste große Thema in unserer Stadtentwicklung.“