Einfamilienhaus-Siedlung
ORF/Pöchhacker
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Umwelt & Klima

Einfamilienhaus: Umstrittener Wohntraum

Das Einfamilienhaus ist seit Jahrzehnten die beliebteste Wohnform in Österreich. In der Klimakrise gerät es allerdings zunehmend unter Beschuss: Es verbraucht viel Boden und löst CO2-Emissionen aus – beides kann reduziert werden.

Familie Scheer erfüllte sich in Neidling (Bezirk St. Pölten) ihren Traum vom Haus im Grünen und zwar mit einem Zubau zum bereits bestehenden Haus der Eltern. Dieses wurde aufgestockt und mit einem separaten, zusätzlichen Eingang versehen. Die Gründe dafür kommen wohl vielen bekannt vor: Jahrelange, vergebliche Suche nach einem passenden Stück Bauland und zeitweise überwältigende Kosten.

Der Wohntraum der Scheers ist einer der von Umweltexpertinnen und -experten empfohlen wird, denn das sogenannte Nachverdichten, also das Aufstocken bereits bestehender Gebäude, spart Boden. Und den Eigentümern spart es Geld, sagt der Neidlinger Hausplaner Julian Schmid: „Das sind gleich mal 150.000 bis 200.000 Euro, die man dann nicht für Grund und Aufschließung oder auch Keller braucht.“

Einfamilienhaus in Neidling (Bezirk St. Pölten)
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Die junge Familie wohnt mit zwei Kindern im ersten Stock, die Großeltern im Erdgeschoss. Die Vorfahren der Familie bebauten das Grundstück erstmals 1859

Schmid plant seit 25 Jahren Wohnhäuser, auch den Umbau bei den Scheers. Solche Zwei- oder Mehrgenerationenhäuser seien seltene Projekte, durch die Pandemie habe er jetzt wieder mehr solcher Aufträge, erzählt er: „Es waren in der Vergangenheit so etwa 25 Prozent Sanierungs- und Umbaukunden. Momentan wird es mehr, weil die Grundstückspreise steigen und die Bau- und Materialkosten werden auch immer teurer. Da ist es leistbarer, wenn man nicht bei null anfangen muss.“

Die Sache mit der Bodenversiegelung

In den meisten Fällen passiert aber genau das: Für den Wohnbau wurde in Niederösterreich laut einer Erhebung des Umweltbundesamtes der meiste Boden versiegelt. 11.200 Quadratkilometer sind im Bundesland als Siedlungsraum ausgewiesen. Der überwiegende Teil sind Wiesen, Äcker, Felder oder Weingärten. Der Wohnbau braucht bislang 721 Quadratkilometer. Danach kommt mit 631 Quadratkilometer die Verkehrsfläche, also etwa Straßen, Parkplätze und Gleisanlagen, und zum Schluss folgen Betriebsflächen mit 185 Quadratkilometern.

„Boden für alle“

Karoline Mayer, Katharina Ritter, Angelika Fritz, Architekturzentrum Wien (Hg.), Parks Books, 2020, 319 S.

Gregor Radinger leitet das Zentrum für Umweltsensitivität an der Donau-Universität Krems. Bauen und die jahrelangen Folgen für die Umwelt – das müsse Immobilienentwicklern, Bauherrinnen und Bauherren sowie den für die Raumordnung in einer Gemeinde zuständigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern stärker bewusst werden, ist er überzeugt, denn „zwei Drittel aller Gebäude in diesem Land sind Einfamilienhäuser“, heißt es in „Boden für alle“, einem begleitenden Buch zur gleichnamigen Ausstellung im Architekturzentrum Wien.

Grafik über Flächeninanspruchnahme in NÖ, 2020
ORF
Von 19.180 Quadratkilometer Landesfläche gelten 11.200 als Siedlungsraum, der Großteil davon sind Wiesen, Weiden und Äcker

Wunsch nach Selbstverwirklichung

Radinger beschäftigt sich mit dem Nutzungszyklus von Einfamilienhäusern: „Gebaut wird hauptsächlich für Familien mit Kindern, dann ziehen die Kinder aus, die Eltern bleiben zurück, womöglich stirbt einer der beiden. Das Haus wird nur mehr von einer einzelnen Person genützt. Die Kinder kommen in vielen Fällen nicht zurück. Wir haben also völlig unterschiedliche Nutzungsszenarien, aber immer Wohnflächen für vier bis fünf Personen.“

Die leerstehenden oder teilweise ungenützten Einfamilienhäuser müssten unbedingt saniert werden, so Radinger. Österreich sei eigentlich „fertig gebaut“. „Auf das müsste man sich stärker einlassen, viele schrecken davor zurück, aber alleine aus der Tatsache, dass die Häuser bereits existieren und nur ein kleiner Teil Energie und Ressourcen neu aufgewendet werden muss.“ Das Einfamilienhaus werde die beliebteste Wohnform bleiben: „Damit erfüllt man sich ja die Selbstverwirklichung und es ist in unseren Wohnbiografien sehr stark verankert. Es hat ja auch gesundheitliche und psychologische Funktionen, wie eben Entfaltung und Gestaltung.“

Grund und Boden

Der Bodenverbrauch ist einer der größten Treiber der Klimakrise. Der ORF Niederösterreich widmet sich in einem Schwerpunkt jeden Samstag verschiedenen Aspekten des Bauens, Wohnens und der Bodenversiegelung.

CO2-Emissionen: Standort entscheidend

In einer Studie berechnete der Verein IG Lebenszyklus Bau, wie viele Tonnen CO2 Gebäude über 100 Jahre verursachen. Verglichen wurde ein Gründerzeithaus, ein Bauordnungshaus und ein Öko-Musterhaus in 54 unterschiedlichen Szenarien. Es wurde alles berücksichtigt, was CO2 verursacht, sagt Projektleiter und Vereinsvorstand Klaus Reisinger gegenüber noe.ORF.at: „Alle Materialien, alle Fahrten der am Bau beteiligten Personen, der Energieverbrauch des Hauses über 100 Jahre, die Erneuerungsarbeiten, Ziegel, Beton Stahl – alles kommt schon mit einem CO2-Rucksack auf die Baustelle und wir haben die Puzzlesteine addiert.“

Vergleicht man die drei Kategorien Errichtung, Energieverbrauch und Mobilität, so ist es die Mobilität, die den größten Anteil am CO2-Fußabdruck hat. „Das war überraschend. Die Mobilität macht in den unterschiedlichen Szenarien jeweils etwa 50 Prozent aus. Es ist also der Standort des Gebäudes entscheidend, und nicht wie ich das Haus baue oder wie ich es mit Energie versorge.“ Über 100 Jahre habe man gerechnet, da angenommen wird, dass das CO2-Molekül etwa 110 Jahre in der Atmosphäre erhalten bleibt.

Damit Einfamilienhäuser weniger CO2-Emissionen verursachen, sieht Reisinger eher die Raumordnung gefordert als einzelne Person. Man müsse Viertel vorausschauender planen und sie nicht zu reinen Einfamilienhaus-Siedlungen machen: „Man muss im ländlichen Bereich Grätzel schaffen, wo die Alltagsmobilität vermieden wird, wo man zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit, zum Einkaufen, zur Schule kommt.“

Fotostrecke mit 2 Bildern

Siedlung in Böheimkirchen (Bezirk St. Pölten)
ORF/Posch
Ein positives Beispiel: In Böheimkirchen (Bezirk St. Pölten) wurden Gründe zwischen zwei bestehenden Siedlungen aufgeschlossen, die Infrastruktur war großteils gegeben. Kindergarten, Geschäfte und eine Bushaltestelle sind fußläufig erreichbar.
Siedlung in Böheimkirchen
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Die PV-Anlage wird in vielen Fällen von Anfang an mitgedacht

Bewusstseinsänderung funktionierte bei Energie

Es brauche ein Umdenken bei der Alltagsmobilität und beim Planen von Vierteln, so Reisinger. Bei der Energieversorgung habe die Umstellung schließlich auch funktioniert, angetrieben durch politische Maßnahmen wie ein Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen sowie durch Förderungen für erneuerbare Energien. Die CO2-Emissionen fürs Heizen gingen in Österreich seit 1990 zurück. Fossile Energie sei im Wohnbau ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert, sagt Reisinger: „Mit Wärmepumpen etwa, die mit Strom betrieben werden von der PV-Anlage am Dach oder von der Fassade, kann ich den Betrieb des Hauses klimaneutral herstellen.“

So eine Umstellung wünscht sich die IG Lebenszyklus Bau nun beim Auto, hier stiegen die CO2-Emissionen seit 1990 an. „Dort ist es nicht gelungen, den Verbrennungsmotor zu vermeiden. Was wir uns beim Haus gefallen lassen haben, dass Öl und Gas verboten werden wird, ist beim Auto gang und gäbe. Das wird sogar gefördert durch die Pendlerpauschale“, kritisiert er.

Sanierung und Umbau als „Win-win-Situation“

Dass sich das Bewusstsein für die Energieversorgung veränderte, erlebt auch Hausplaner Julian Schmid. Er arbeitet zusätzlich als Energieberater. „Es ist Standard, dass Häuser gut gedämmt sind und Photovoltaik wird auch immer mehr. Wenn man Förderungen will, muss man ins Energiesparen gehen. Durch die Förderanreize wird das beim Hausbau von vielen von Anfang an mit geplant.“

Aus diesem Grund kann sich Schmid vorstellen, dass es mit Förderungen und positiven Beispielen gelingen kann, dass statt dem neuen Einfamilienhaus öfter ein altes Haus saniert oder ein bestehendes umgebaut wird. „Wenn man es gescheit macht – also etwa aufstockt oder anbaut – dann ist es eine Win-win-Situation.“ Für die Umwelt und die Familie.