Natascha Kampusch am 14. Dezember 2009 in Hamburg
dpa/Marcus Brandt
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CHRONIK

Strasshof: 15 Jahre nach Kampusch-Flucht

Am 23. August 2006 tauchte in Strasshof an der Nordbahn (Bezirk Gänserndorf) plötzlich eine 18-jährige Frau auf. Es war Natascha Kampusch, die acht Jahre lang in einem Kellerverlies gefangen gehalten wurde. Nach 15 Jahren zieht der Ort immer noch Schaulustige an.

Das gelbe Wohnhaus nahe der Kleingartensiedlung in Strasshof an der Nordbahn ist unscheinbar. Nur die üppige Hecke wächst schon durch den Zaun bis auf die Straße hinaus. Das heute unbewohnte Haus gehört Natascha Kampusch. Es wurde ihr zugesprochen, nachdem sie sich vor 15 Jahren aus den Fängen ihres Entführers Wolfgang Priklopil befreien konnte. Er hatte sie 1998 am Schulweg in Wien entführt und acht Jahre lang in einem Kellerverlies seines Hauses in Strasshof gefangen gehalten. Später musste sie für ihn auch Hausarbeiten erledigen. Beim Autoputzen gelang ihr schließlich in einem unbemerkten Moment die Flucht.

Natascha Kampusch Haus Strasshof
ORF/Henninger
In diesem Haus wurde Natascha Kampusch acht Jahre lang gefangen gehalten

Der Seniorchef der örtlichen Bäckerei, Alfred Geier, erinnert sich im Gespräch mit noe.ORF.at: „Genau an diesem Tag, am 23. August, als die ersten Meldungen gekommen sind, war der Ort in einer Art Schockstarre. Es wurde alles abgesperrt, Hubschrauber sind über den Ort geflogen, weil man Wolfgang Priklopil gesucht hat. Alle Lokale waren genauso wie unser Lokal menschenleer.“ Doch schon wenige Stunden später war es mit der Ruhe vorbei, sagt Geier. „Schlagartig mit dem nächsten Tag waren dann Journalisten aus der ganzen Welt in Strasshof. Auf einmal waren wir für eine Woche der Mittelpunkt der Welt, kann man sagen. Die Journalisten waren in allen Gasthäusern, die Leute dort sind interviewt worden.“

Strasshof stand im weltweiten Fokus

Bürgermeister Ludwig Deltl (SPÖ), damals Vizebürgermeister, war gerade auf Urlaub. Deltl erfuhr telefonisch von seiner Tochter, dass zu Hause etwas passiert war. „Ich bin dann am diesem Abend von einem Spaziergang im Ausland ins Hotel zurückgekommen, habe den Fernseher aufgedreht und CNN gesehen – und gewusst, was in Strasshof los war.“ Auch er erinnert sich an die unzähligen Journalisten, die dann plötzlich in Strasshof auftauchten. „Für mich waren es dann die kommenden Tage, wo von unterschiedlichsten Medien viele Interviews angefragt worden sind“, so Deltl.

Priklopils Leiche wurde noch am selben Tag auf den Gleisen der Wiener S-Bahn gefunden. Christa Stefan wohnt ganz in der Nähe des Hauses, in dem Natascha Kampusch gefangen gehalten wurde. Sie erinnert sich an den Medienrummel in der Straße. „Es war vorne abgesperrt, wir mussten die Absperrung wegnehmen, wenn wir hinaus wollten. Ich habe damals Nachhilfekinder betreut, die musste ich bei der anderen Tür, über die andere Gasse hereinlassen. Nach ein paar Tagen sind wir geflüchtet, weil die Hubschrauber fast das Dach abgetragen haben“, erzählt Christa Stefan.

Ort des Verbrechens zieht noch immer Schaulustige an

Heute zieht der Ort des Verbrechens immer noch Schaulustige an. Familie Albrecht aus Deutschland ist im Zuge ihres Österreich-Urlaubs nach Strasshof gefahren, denn die Albrechts haben ein spezielles Hobby. Sie besuchen gerne Kriminalschauplätze, erzählt Michael Albrecht. „Wir fahren öfter ehemalige Tatorte ab, da, wo sich etwas ereignet hat. Meistens machen wir das im Urlaub, dann schauen wir, was dort einmal passiert ist, das finden wir schon sehr interessant.“

Familie Albrecht aus Deutschland vor dem Kampusch-Haus in Strasshof
ORF/Doris Henninger
Familie Albrecht aus Deutschland vor dem Kampusch-Haus in Strasshof

Besonders Michael Albrechts Tochter Pia hat viel über den Fall Kampusch gelesen. Nun wollten ihr die Eltern den Original-Schauplatz zeigen und fuhren mit ihr extra nach Strasshof. „Wir wussten ja, dass sich unsere Tochter ein bisschen für den Fall Natascha Kampusch interessiert. Da haben wir ihr versprochen, dass wir dann einen kleinen Abstecher zum Haus machen, wo Natascha Kampusch gefangen gehalten wurde.“

Und die Albrechts werden wohl nicht die letzten Schaulustigen sein, die hierherkommen. Strasshofs Bürgermeister Ludwig Deltl kann das nicht recht nachvollziehen. „Man fährt mittlerweile an dem Haus vorbei. Es gehört Frau Kampusch und sie betreut es, so wie sie das eben tut. Es ist einfach ein Gebäude, das leer steht. Welche Nutzung hier auch immer vorgesehen ist, ich würde mir ein Wohngebäude wünschen“, sagt Deltl.

Im Ort hat sich in den letzten Jahren vieles getan, dennoch bleibt Strasshof an der Nordbahn untrennbar mit dem Fall Kampusch verbunden. Das merkt auch Alfred Geier immer wieder, wenn er im Urlaub gefragt wird, wo er herkommt. „Wo der Fall Kampusch war – das weiß jeder. Wenn du in Europa irgendwo hinfährst und sagst ‚Strasshof und Kampusch‘ – das ist eigentlich eins.“