Im Auditorium in Grafenegg verstummt Sonntagmittag Sergei Dogadins Violine und kurze Zeit später füllen sich im Gasthaus Haag die Sessel. Markus Haags Betrieb liegt ums Eck. An jedem Festivalwochenende bewirtet er mit seinem Team etwa 300 Gäste, die wegen der Konzerte in den Ort gekommen sind. Auch die elf Zimmer des Gasthofs sind bis zu Festivalende Mitte September ausgebucht. „Es sind die nächsten vier Wochen rein die Grafenegger, wir profitieren da sehr davon“, sagt Markus Haag.
Zu Beginn der Veranstaltungen vor 15 Jahren habe das noch anders ausgehen, schildert Haag: „Am Anfang war es sehr verhalten, gebessert hat es sich dann wirklich mit den Künstlern selbst. Die sind rübergekommen und haben das irgendwie in den richtigen Fokus gerückt. Dann sind auch Gäste gekommen mit Zimmern, und so hat sich das Jahr für Jahr gesteigert.“
„Zur Seele gehört gutes Essen genauso wie Musik“
Dass jemanden die Musik nach Grafenegg und schließlich in den Gasthof führt, merke er schon beim ersten Blick: „Es ist ein anderes Gefühl. Oft haben die Menschen vorher eine Runde durch den Schlosspark gedreht und nehmen alles entspannter wahr. Man sieht das nach den Konzerten wirklich in den Augen.“ Und über die Konzerte diskutieren die Gäste bei diesem Mittagessen am Sonntag auch.
„Wir haben das Violinkonzert sehr genossen. Wir waren schon ein paar Mal hier, eigentlich gehört das Essen nachher dazu. Nicht nur der Geist, sondern auch der Körper braucht seine Nahrung“, sagt Josef Mayer aus Wien. Für Gerlinde Streit aus Großpetersdorf (Burgenland) ist Grafenegg ein „fixer Konzertprogrammpunkt: Zur Seele gehört gutes Essen genauso wie Musik. Und beides zusammen ist einfach ein Genuss.“ Irene und Josef Scheffl aus Stockerau (Bezirk Korneuburg) sind Stammgäste in Grafengegg. „Die Matinee war wunderschön, jetzt essen wir noch zu Mittag, nächste Woche am Freitag kommen wir nochmal, und dann zum Schlusskonzert auch“, sagt Josef Scheffl.
Der Urlaubs-Faktor
Gäste aus Westösterreich und aus Süddeutschland bleiben auch über Nacht, etwa im „Alten Winzerkeller“ von Ernst Vogel in Kirchberg am Wagram (Bezirk Tulln). Die sieben Zimmer sind während des Festivals ausgebucht. „Da freu’ ich mich immer schon, wenn ich weiß, die Grafenegger sind da. Das ist eine gehobene Atmosphäre, da ist ein konstruktives Klima, da wird viel über Konzerte und Musik gesprochen“, so Vogel.
Viele Besucherinnen und Besucher würden Jahr für Jahr wegen der Konzerte kommen und seien mittlerweile bei ihm Stammgäste. „Weil die im Vorfeld gleich wieder reservieren, so kann man auch besser planen. Ich wäre sonst auch halbwegs voll ohne Grafenegg, aber Grafenegg ist einfach eine Erhöhung.“ Die Konzertgäste würden mehr Geld ausgeben als andere Touristen. Seit Kurzem würden die Besucher auch einen Urlaub rund um ein Konzert planen und länger als eine Nacht bleiben. „Es ist sicher für die Wertschöpfung allgemein gut. Man will sich ja in Richtung Qualitätstourismus entwickeln“, findet Vogel.
Der Wein-Faktor
In den ersten Jahren der Grafenegger Veranstaltungen kamen etwa 15.000 Gäste in die Region, seit 2015 dann etwa 50.000. Beim Festival im vorigen – von der Pandemie geprägten – Sommer waren es knapp 17.000. Dabei steigen nicht nur in Grafenegg die Besuchszahlen. „Es ist natürlich eine Erfolgsgeschichte für die Gemeinde“, sagt Bürgermeister Anton Pfeifer (ÖVP). „Das hat auch positive Effekte auf Grafenwörth, Feuersbrunn (beide Bezirk Tulln), Straß, sogar über die Donau nach Angern (beide Bezirk Krems) und Traismauer (Bezirk St. Pölten). Das betrifft eine gesamte Region.“
Viele Konzertgeher sind bei den Heurigen in der Umgebung anzutreffen. Familie Steurer betreibt die Weingärtnerei in der Katastralgemeinde Etsdorf seit knapp 40 Jahren und kennt die Zeiten vor den klassischen Konzerten. „Ich bin ein waschechter Etsdorfer, vor 66 Jahren hier geboren. Was sich in Grafenegg entwickelt hat, dass da so viele fremde Gäste zu uns kommen, die früher nach Wien oder in die Wachau gekommen sind, das wissen wir sehr wohl zu schätzen“, sagt Sepp Steurer im Gespräch mit noe.ORF.at.
Der Gewohnheits-Faktor
Ab dem Tag, an dem Karten für die Saison erhältlich sind, läute das Telefon für Reservierungen. Auch viele Weinkundschaften sind bei den Steurers durch die Kulturtouristinnen und -touristen entstanden. Der Heurige habe nun schon einige Grafenegg-Stammgäste, das Image würde jedoch über die Veranstaltungen im Sommer hinausreichen.
„Sie kommen auch, wenn der Weinfrühling ist. Das sind immer dieselben Gesichter. Sie kennen sich jetzt schon gut aus in der Umgebung“, sagt Gastwirt Markus Haag. Hotelbetreiber Alfred Vogel erzählt von Bekanntschaften, die sich über die Jahre entwickelt hätten: „Manche kommen seit zehn Jahren, manche schreiben mir zu Weihnachten, das ist einfach sehr persönlich und eine sehr nette Atmosphäre.“ Er profitiert sowohl wirtschaftlich als auch privat von Grafenegg: „Für unsere Lebensqualität ist das ja schlagend. Wir schauen meist kurzfristig, ob wir noch Karten kriegen, und das funktioniert meistens gut.“