Taliban-Kämpfer
APA/AFP/Javed Tanveer
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Chronik

Afghanistan: „Habe Angst um Verwandte“

Zahra Rezaiis Familie stammt aus Afghanistan. Die 26-Jährige verfolgt von St. Pölten aus, wie es ihrer Verwandtschaft und ihren Freunden dort geht. Ihr Cousin ist von Taliban-Kämpfern angeschossen worden, schildert sie im Gespräch mit noe.ORF.at.

Zahra Rezaii lebt seit sechs Jahren in Niederösterreich und hat mittlerweile Asyl zugesprochen bekommen. Sie wuchs im Iran auf, nachdem ihre Eltern vor 40 Jahren aus Afghanistan dorthin geflüchtet waren. Einige ihrer Verwandten leben noch in Kabul und schildern ihr regelmäßig die chaotische Lage im Kriegsgebiet. Ihr Cousin wurde von Taliban-Kämpfern angeschossen.

noe.ORF.at: Wie geht es Ihnen mit allem, was in Afghanistan gerade passiert?

Zahra Rezaii: Wenn ich die verzweifelten Leute sehe, geht es mir natürlich schlecht, weil wir in die Zeit vor 40 Jahren zurückkehren. Wenn ich sehe, dass die Frauen zu Hause bleiben und die Leute nicht wissen, wo sie hin sollen. Und sie haben keinen Präsidenten, weil der auch geflüchtet ist. Sie wissen wirklich nicht, was sie machen sollen. Natürlich geht es mir schlecht.

noe.ORF.at: Was ist mit Ihrem Cousin passiert? Haben Sie da Neuigkeiten?

Resaii: Wir sind gestern draufgekommen, dass mein Cousin angeschossen wurde. Ein Taliban hat ihn auf der Straße gesehen und ist ihm gefolgt, er ist weggelaufen, aber dann haben sie ihn aufgehalten und mit der Waffe angeschossen. Er ist jetzt im Spital, es geht ihm nicht so gut. Ein Bein ist gebrochen. Im Spital sind weniger Krankenschwestern und weniger Ärztinnen und viele Verletzte. Es geht ihm nicht gut. Und die anderen haben Angst davor, rauszugehen. Sie sitzen alle zu Hause und verstecken sich. Sie wollen nicht rauskommen, weil sie sich vor den Taliban fürchten.

Zahra Resaii
ORF/Birgit Brunner
Die 26-jährige Zahra Rezaii ist mittlerweile in St. Pölten zu Hause. Um ihre Familie in Kabul hat sie große Angst.

noe.ORF.at: Wenn Sie jetzt die Bilder sehen – das Chaos, die chaotischen Zustände – was fühlen Sie da?

Rezaii: Ich fühle mich komisch. Wieso ist das so schnell passiert? Wieso ist auf einmal alles kaputt geworden? Die Frauen dürfen nicht mehr rauskommen, sie müssen tragen, was die Taliban bestimmen. Und Zwangsheirat. Und Vergewaltigung. Alles ist natürlich schlecht. Ich fühle mich hier wohl, ich ziehe alles an, was ich will. Ich mache, was ich will. Aber die Frauen dort dürfen nichts, sie dürfen nicht einmal rausgehen.

noe.ORF.at: Ihr Cousin und Ihre Cousine leben in Kabul in einem Haus. Was erzählen sie über die Lage?

Rezaii: Mein Cousin hat erzählt, dass meine Cousine und die Kinder, die Mädchen, nicht raus dürfen, weil die Taliban mit Motorrad hin und herfahren und alles überwachen. Sie gehen gar nicht raus. Mein Cousin ist wegen Lebensmittel rausgegangen und da wurde er angeschossen. Die sagen: „Uns geht es gar nicht gut. Es ist so schlimm hier.“ Sie erzählen, dass niemand auf den Straßen ist. Die Fenster sind alle zu. Die Bilder auf den Straßen, wo Frauen zu sehen sind, das malen sie alles schwarz, damit die Frauen nicht zu sehen sind. Und man sieht keine Menschen und besonders keine Frauen. Weil die Taliban vergewaltigen sie. Die Taliban zwingen sie zur Ehe. Sie wollen das nicht. Sie müssen jetzt eine Burka tragen und dürfen ohne Männer nicht mehr raus.

Westen fliegt Bürger aus Afghanistan aus

Nach wie vor versuchen Hunderttausende verzweifelt, das Afghanistan zu verlassen. Auch 25 Österreicher sollen sich laut Außenministerium noch im Land befinden. Am Flughafen von Kabul ist die Start- und Landebahn wieder geöffnet.

noe.ORF.at: Ich nehme an, Sie haben Angst um Ihre Verwandtschaft.

Rezaii: Ich habe viel Angst. Seit ich das gehört habe, geht es mir wirklich nicht gut. Was sollen sie jetzt machen? Sie werden zwei bis drei Wochen ohne Lebensmittel überleben, aber was sollen sie danach machen? Sie haben keine Zukunft mehr, gar keine Vorstellungen mehr.

noe.ORF.at: Überlegt Ihre Verwandtschaft zu flüchten? Kann man überhaupt flüchten?

Rezaii: Sie wollen flüchten und sie haben auch versucht, in Afghanistan zu bleiben. Zum Beispiel mein Cousin, der angeschossen wurde, hat damals als Soldat für die Regierung gekämpft. Aber er kann nicht mehr, die haben kein Einkommen und kämpfen monatelang irgendwo und bekommen kein Wasser und Essen. Sie wollen flüchten, sie wollen das Land verlassen, weil das Land hat sie nicht ernst genommen. Aber sie können nicht flüchten, weil die Ticketpreise siebenmal teurer geworden sind. Sie haben kein Geld. Und sie können derzeit auch nicht arbeiten.

noe.ORF.at: Was würden Sie sich wünschen?

Rezaii: Ich habe selbst Afghanistan noch nie gesehen und ich habe mir immer gewünscht, irgendwann zurückzugehen in mein Land. Und jetzt… Ich wünsche, dass es ihnen gut geht.