Die „Tage der zeitgenössischen Theaterunterhaltung“ fanden an zwei Wochenenden im August statt. Insgesamt war es die vierte Ausgabe des Theaterfestivals in der nördlichsten Stadt Österreichs. Zeno Staneks Konzept unterscheidet sich wohltuend vom herkömmlichen Sommertheater.
Beim Festival geht es nicht um kommerzielle Schnellschüsse und große Eigenproduktionen, sondern um die Schaffung eines Theaterlabors, das auch die junge Vielfalt des Genres abbildet und Raum für Experimente bietet. Die ganze Stadt wird zum Schauplatz des Geschehens: neben dem Herrenseetheater und dem Brauhausstadl werden u.a. Dachböden, Hallen, ehemalige Geschäftslokale, private Küchen und kurzfristig bekannt gegebene „Unorte“ bespielt.
Als zentrales Thema des zweiten Wochenendes stand die Vergänglichkeit im inhaltlichen Mittelpunkt der zahlreichen Produktionen. Alles mitzuerleben ist aufgrund der Fülle des Angebots kaum möglich, und um ausreichend mobil für die häufigen Ortswechsel zu sein, ist es nützlich, gut zu Fuß unterwegs zu sein oder mit zwei- bis vierrädrigen Untersätzen.
Stücke sorgen für Diskussionen
Starten ließ sich beispielsweise bei einer psychedelischen Expedition mit dem Gitarristen Florian Kmet und Roman Blumenschein, der einen Hörspieltext von Alexandra Pazgu zur Performance erweiterte. Für durchaus kontroversielle Reaktionen sorgte die Uraufführung einer „Stückentwicklung“ mit dem fetzigen Titel „Bei aller Liebe – Jetzt wird gefotzt!“ von Fritzi Wartenberg, Benita Martins, Hannah Rang und Runa Schymanski. Die kabarettistisch anmutende Darstellung junger Frauen als kitschversessene, naive und dümmliche Püppchen rief teilweise Heiterkeit, bei manchen Besucherinnen aber auch Befremden hervor: Sind Frauen nach Jahrzehnten feministischer Bewusstseinsbildung tatsächlich noch so dämlich?
Ganz anderes gab es im Brauhausstadl zu erleben, wo die slowenische Gruppe Gledalisce DELA mit Tea Kovse in einer gruseligen Mischung aus Schattenspiel und Puppentheater mit „The Worm“ ein makabres Memento mori in Szene setzte. Zu späterer Stunde gab’s noch eine musikalisch-literarische Premiere: Gerald Votava und Walther Soyka brachten Vertonungen nach unveröffentlichten Texten von Christine Nöstlinger zur Premiere. Die „Nöstlinger-Songs“ werden auch auf CD erscheinen, kündigte Votava an.
Auch Yoga und Recycling gehören zum Theater
Wer tags darauf den morgendlichen Yoga-Termin und die Teelöffel-Lounge schwänzte, schaffte es hoffentlich zum Vormittagsfrühstück mit Bernhard Fellinger (Ö1), der diesmal mit Schauspielerin Gerti Drassl, Autorin Ljuba Arnautovic und Imkerin Theresa Dirtl in gewohnt amüsanter Konversation das vielschichtige Thema „Verwandlung“ aus dreierlei Perspektive auslotete. Nicht fehlen durfte dabei das schon legendäre Joghurt aus Wielings bei Eisgarn.
Paul Skrepek und Andreas Platzer wiederum haben das Alte Kaufhaus zum Maschinenraum umfunktioniert, wo akustische Apparaturen aus Recyclingmaterial präsentiert werden. Im nahen Hörmanns wird am Originaldrehort ein 20-minütiger Film von Siegmund Skalar gezeigt, in dem es um eine alte Frau und deren junge rumänische Pflegerin geht: ein Dokument der Sprachlosigkeit, das 2019 bei den Vienna Independent Shorts ausgezeichnet wurde.
Als eines der Highlights kann das von Anna Marboe effektvoll als szenische Lesung eingerichtete Hörspiel „In Ewigkeit Ameisen“ von Wolfram Lotz gelten. Doris Weiner und Anton Widauer als Professor und Assistent auf Expedition bei Ausbruch des Atomkriegs sind ein famoses Paar, die Produktion erinnert an die „lächerliche Finsternis“ ebenso wie an Krachts „Imperium“ und Bernhard’sche Besessenheitstiraden.
Rundgang im Überraschungshaus
In einem unbewohnten Haus lädt die Theatergruppe kollekTief zu einem mystischen Rundgang, begleitet von Dostojewskis „Traum eines lächerlichen Menschen.“ Die Texte erklingen aus Lautsprechern, jeder Raum birgt neue Überraschungen, am Eingang muss man unterschreiben, mit Dunkelheit und Bodenunebenheiten zurechtzukommen. Am Ende sitzt ein blonder Bursche (Severin Stanek) am Stiegenaufgang und verkörpert das Kind, das beharrlich weiterhin an das Gute glauben will – ein berührender Moment.
Wer all das sehen konnte, hat immer noch nur einen Bruchteil des geballten Angebots erlebt. Darüber hinaus ist die gesamte Atmosphäre in Litschau geprägt durch viel Kommunikation – etwa in der Festival Lounge oder bei Feuergesprächen. Und Stanek, der in der Waldviertler Stadtgemeinde auch das Schrammel.Klang.Festival organisiert, hat noch viel vor: Seit 2020 entwickelte er gemeinsam mit einem Investor direkt am Hügel über dem Herrensee aus der Hotelanlage „Königsleitn“ ein Theater- und Feriendorf. Ringsum entstehen Studios und Wohnmöglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler, Kinder- und Jugendgruppen. In Zukunft soll das Kreativdorf die Gegend ganzjährig in einen Ort des Austauschs und der Kultur verwandeln.