Eva Schernhammer und Werner Fetz im Gespräch
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Coronavirus

„Ungeimpfte haben Geschehen in der Hand“

Das Infektionsgeschehen würde zu 99 Prozent von Ungeimpften vorangetrieben werden, sagte Epidemiologin Eva Schernhammer im noe.ORF.at-Interview. Sie hätten „das Geschehen in der Hand“. Kinder seien in den kommenden Wochen besonders zu schützen.

Die vierte Welle ist in aller Munde. Der Schulbeginn könnte die Infektionen nach oben schnellen lassen, wird befürchtet. Zudem spielen die Reiserückkehrer eine große Rolle. Im Schnitt ist etwa ein Drittel der neuen Fälle in Österreich auf Reiserückkehrer zurückzuführen. Viele waren heuer im Ausland unterwegs, vor allem Kroatien meldete nach dem Durchhänger im vergangenen Jahr einen regelrechten Tourismusboom.

Die Leiterin der Abteilung für Epidemiologie an der Medizinischen Universität Wien, Eva Schernhammer, sprach mit „Niederösterreich heute“-Moderator Werner Fetz über die aktuelle Situation und wie es nun weitergehen wird und kann.

noe.ORF.at: Frau Professor, die Urlauber kommen zurück, in einer Woche beginnt die Schule. Was erwarten Sie? Wie heftig wird die vierte Welle und brauchen wir einen neuen Lockdown?

Eva Schernhammer: Das sich eine vierte Welle aufbaut, sehen wir. Wenn jetzt mehr Menschen aus dem Urlaub zurückkommen und die Schulen starten, wird das natürlich dazu beitragen, dass es zu einem weiteren Anstieg kommen kann.

Epidemiologin Schernhammer zum Infektionsgeschehen

Im Interview spricht Eva Schernhammer, die Leiterin der Abteilung für Epidemiologie an der Medizinischen Universität Wien, über eine mögliche vierte Welle, Auffrischungsimpfungen und Schulöffnungen.

Ich denke, dass dieser Anstieg sehr deutlich widerspiegeln wird, wie viele Menschen sich in Österreich impfen ließen. Das sieht man im Ländervergleich sehr, sehr gut. Je mehr Menschen geimpft sind, desto mehr hat sich die Schul- oder Reiserückkehrer-bedingte Welle in Zaum gehalten.

Schaut man zum Beispiel nach Dänemark, dann sieht man, dass das Land eine Durchimpfungsrate von 74 Prozent hat. Es wurde zwar mit der Schulöffnung Anfang August ein leichter Anstieg verzeichnet, dieser ist mittlerweile aber schon wieder sehr gut im Bereich des Händelbaren. Umgekehrt sieht man in anderen Ländern, wo weniger Menschen geimpft sind, dass hier ein Anstieg zu verzeichnen ist. Ich denke, das wird auf Österreich zukommen, da wir leider noch immer nur 57 Prozent der Bevölkerung voll geimpft haben.

noe.ORF.at: Gar keine Impfung gibt es aktuell für Kinder unter zwölf Jahren. Zu Beginn der Pandemie hat es geheißen, dass man speziell auf die ältere Personengruppe Acht geben muss. Ist es jetzt die jüngere Gruppe, die unter 12-Jährigen, für die es keinen Schutz gibt, auf die jetzt besonders Acht gegeben werden muss?

Schernhammer: Das ist ganz definitiv eine Gruppe, auf die wir in den nächsten Wochen, bis ein Impfstoff vorhanden ist, aufpassen müssen. Das liegt sehr in der Hand des Umfeldes der Kinder. Das ist ganz dezidiert ein Aufruf an die Eltern der Kinder unter zwölf Jahren, sich selber impfen zu lassen, denn das ist zugleich auch ein idealer Schutz für das Kind.

Eva Schernhammer
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Einen neuerlichen Lockdown schließt Schernhammer aus

noe.ORF.at: Gibt es aktuelle Forschungsergebnisse, wie stark Kinder erkranken und wie intensiv sie an der Weitergabe des Virus beteiligt sind?

Schernhammer: Das kann man sich auch ländervergleichend ansehen. Das ist sehr unterschiedlich. Daten aus Amerika weisen darauf hin, dass Kinder, besonders kleine Kinder, vielleicht schwerer erkranken als es mit der vorherigen Variante der Fall war. Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass es besonders Kinder betrifft, die an Risikoerkrankungen leiden, sei es Übergewicht oder Diabetes. Das ist vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad in Amerika prävalenter als in Österreich. Insofern lässt sich das nicht eindeutig vergleichen. Man muss noch abwarten, was die Datenlage hierzu sagen wird.

noe.ORF.at: Was braucht es aus Ihrer Sicht, um die Impfbereitschaft zu steigern? Am Ende des Tages eine Impfpflicht?

Schernhammer: Es bedarf jetzt wirklich einer Erkenntnis bei denen, die noch nicht geimpft sind, dass sie diejenigen sind, die das Geschehen in der Hand haben. Etwa 60 Prozent haben sich impfen lassen und ihren Beitrag geleistet, damit unsere Gesellschaft weiter offen bleiben kann. Wobei ich dazu sagen muss: Einen allumfassenden Lockdown halte ich für ausgeschlossen.

Wenn es in irgendeiner Form aufgrund der 40 Prozent an Ungeimpften Maßnahmen geben wird, dann werden das gezieltere Maßnahmen sein. Das werden lokale, regionale Maßnahmen sein, gezielt einschneidendere Maßnahmen für Nicht-Geimpfte. Das Infektionsgeschehen wird zu 99 Prozent von Nicht-Geimpften vorangetrieben und dieses gilt es einzubremsen.

noe.ORF.at: Jetzt erklären Sie, wie sehr man an jene appellieren muss, die noch nicht bei der Impfung waren. Ab morgen beginnt man in Niederösterreich mit den Auffrischungen. Glauben Sie, schafft man es da, alle ins Boot zu holen?

Schernhammer: Da bin ich insofern zuversichtlich, als es ja hier vor allem um ältere Personen und Risikogruppen geht, die besonders bedroht sind durch Covid-19, also eine höhere Mortalität und Morbidität haben. Ich glaube, dass diese Personen sogar schon darauf warten, den Auffrischungsstich zu erhalten, weil es ein weiterer Schutz für sie ist, der in diesem Fall besonders wichtig ist.