Expertendiskussion im Office Park 4
ORF / Sunk
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Politik

Auftakt für das Niederösterreich von morgen

„Wer wollen wir morgen sein?“. Das ist eine der zentralen Fragen, die die „Landesstrategie 2030“ beantworten soll. Erarbeitet werden soll sie durch Bevölkerung und Experten. Letztere machten in Person von Sigmar Gabriel und Nina Ruge am Montag den Anfang.

„Menschen, die keine Angst vor Veränderung haben und die sich sowohl intellektuell als auch emphatisch und emotional weiterentwickeln wollen.“ Das ist die Antwort von Nina Ruge auf die Frage „Wer wollen wir morgen sein?“. Die deutsche Moderatorin und Journalistin war am Montag eine von zwei Experten, die ihren Blick auf Niederösterreich und die Welt darlegen durfte. Und wie leben wir morgen? „In einem Umfeld von Unsicherheit, aber noch in Wohlstand“.

Die Frage „Wovon leben wir morgen?“ beantwortete Sigmar Gabriel, ehemaliger deutscher Außenminister und langjähriger Bundesvorsitzender der SPD. „Arbeit“, war seine kurze und knappe Antwort. Auch er präsentierte am Montagabend in einer Expertendiskussion am Flughafen in Schwechat (Bezirk Bruck an der Leitha) seine Standpunkte rund um die Zukunft Niederösterreichs, Europas und der Welt – Standpunkte, die durchaus auch ein düsteres Bild zeigten: „Europa nimmt dramatisch an Bedeutung ab“, befand Gabriel. Und: „Wir haben das Gefühl, bei uns sei alles in Ordnung, aber in Wahrheit ist es das Auge des Orkans. Da ist immer alles still.“

Expertenrunden, Haushaltsbefragung und Wissenschaft

Was philosophisch anmutet, war die erste Expertendiskussion, die zur Erarbeitung der Landesstrategie 2030 beitragen soll. Der Startschuss dafür war bereits im Juni gefallen – mehr dazu in Neue Landesstrategie wird erarbeitet (noe.ORF.at; 15.6.2021). Expertenrunden mit sogenannten Opinion Leadern sind einer der drei Grundpfeiler, die zur Strategie beitragen sollen. Eine Haushaltsbefragung in allen Niederösterreichischen Haushalten und Erkenntnisse aus bestehenden sowie neuen Studien gehören ebenfalls dazu. Getragen wird das Projekt von allen in der Landesregierung vertretenen Parteien, ÖVP, SPÖ und FPÖ.

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Expertendiskussionen, wie jene mit dem langjährigen SPD-Chef Sigmar Gabriel und der deutschen Journalistin Nina Ruge sind einer von drei Grundpfeilern, mit denen die „Landesstrategie 2030“ erarbeitet werden soll

Bei der ersten von fünf Expertendiskussionen war deshalb am Montagabend auch geschlossen die gesamte Landesregierung vertreten. Der „Beginn einer spannenden Reise“, befand Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Ein „spannender Prozess“, der dazu beitragen werde, die „eine oder andere Wegmarkierung zu finden“, meinte SPÖ-Landesparteiobmann Franz Schnabl. Und auch FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl erwartete sich „Antworten auf die Herausforderung von morgen und Visionen für übermorgen“.

Diskussionsthema Arbeit: Hartz-IV als „wichtige Reform“

Eine dieser Herausforderungen war dann auch zentrales Thema der Diskussionsrunde: Das Thema Arbeit und Beschäftigung. Die deutsche Hartz-IV-Reform sei eine der „wirklich wichtigen und erfolgreichen Reformen“ gewesen, führte Sigmar Gabriel aus. Hartz-IV habe es „deutlich unattraktiver gemacht, aus staatlich finanzierter Hilfe und von Schwarzarbeit zu leben.“ Rückblickend betrachtet hätte man jedoch auch gleich einen Mindestlohn mit einführen müssen.

In Zeiten, in denen in Österreich gerade intensiv über das Thema Verschärfungen am Arbeitsmarkt diskutiert wird, verwundert es nicht, dass es gerade dieses Thema war, das vom Publikum breit diskutiert wurde. Qualifikation sei das „wichtigste Momentum“, um genau differenzieren zu können, wer aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig sei und wer nicht arbeiten wolle, meinte etwa Mikl-Leitner: „Da gilt es genau hinzuschauen: Wer will nicht arbeiten und wenn er nicht will, wie bringen wir ihn zum Arbeiten.“

Man müsse ganz genau darauf schauen, dass Menschen wieder in Arbeit kommen und wir nicht zu viele Langzeitarbeitslose haben, meinte ihr SPÖ-Stellvertreter, Franz Schnabl. „Und wir müssen sicherstellen, dass, wenn jemand arbeitslos wird, er nicht in Armut fällt.“ Ein Mindestlohn sei eine „Diskussion wert“, befand FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl, denn „Menschen brauchen die Sicherheit, dass sie auch tatsächlich ein gewisses Einkommen haben. Aber es muss so gestaltet sein, dass der, der arbeitet, nicht der Dumme ist.“

Plädoyer für lebenslanges Lernen

Weniger um das Thema Arbeitsmarkt, sondern mehr um das Thema Bildung ging es schließlich im Gespräch mit Nina Ruge. Sie plädierte für lebenslanges Lernen, eine „umfassende Aufklärungs- und Bildungskampagne“, einen Wandel in der Bildung hin in Richtung MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, Anm.) schon im Kindergarten und mehr digitale Kompetenz. „Wir werden durch die Robotik sehr viele einfache Jobs nicht mehr haben“, so Ruge, „das heißt, wir brauchen eine unglaubliche Veränderung aller Lebens – und Arbeitszusammenhänge.“

Wer wollen wir also morgen sein? Diese Frage soll in den kommenden Monaten weiter beantwortet werden. Bis dahin stehen weitere Expertendiskussionen auf dem Programm. Die Haushaltsbefragung soll noch diesen Herbst stattfinden. Ein paar Antworten gibt es jetzt schon. „Aufrechte stolze Landesbürger von Niederösterreich, wo es sich lohnt zu leben“, meinte Waldhäusl. „Eine moderne, offene demokratische Gesellschaft, wo sich jeder einbringen kann und jeder wiederfinden kann“, meinte Schnabl. Und „weiterhin eine ganz große Stütze für Niederösterreich und die Bevölkerung“, sagte die Landeshauptfrau.