Niederösterreich Impft

Experte: Impfen und Tests nicht gleichwertig

Die CoV-Infektionen nehmen wieder zu. Gleichzeitig stagniert die Zahl der Impfungen. Dabei wäre eine Steigerung der Impfrate „das absolut Notwendigste“, meint Epidemiologe Gerald Gartlehner. Aktuell befinde sich Österreich am Beginn der vierten Welle.

3.856 aktive Coronavirus-Fälle gab es am Montag in Niederösterreich, österreichweit waren es 27.903. Knapp 5.300.000 Menschen, also 59 Prozent der Gesamtbevölkerung, sind vollimmunisiert. In Niederösterreich sind 62 Prozent der Menschen vollständig geimpft. Schon bald könnten ungeimpfte Personen auf den Intensivstationen aber zum Problem werden, sagt Epidemiologe Gerald Gartlehner im Gespräch mit „Niederösterreich heute“-Moderator Werner Fetz.

Damit die Coronavirus-Maßnahmen aufgehoben werden können, wie es in manchen europäischen Ländern aktuell der Fall ist, brauche es aber eine deutlich höhere Impfquote. Derzeit sei das Ungeimpftsein in Österreich noch zu bequem. Die Impfung und Testungen seien aber nicht gleichwertig.

noe.ORF.at: Herr Gartlehner, was sagen Sie, wo stehen wir aktuell? Steuern wir schon auf die Höhepunkte der aktuellen vierten Welle zu? Rechnen Sie mit einem neuen Lockdown?

Gerald Gartlehner: Ich denke, wir sind erst am Beginn der vierten Welle. Mit einem neuen Lockdown rechne ich jetzt noch nicht, weil doch zumindest 60 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft sind. Aber die 40 Prozent, die noch keine Impfung haben, werden uns in den nächsten Wochen ganz sicher Probleme bereiten, vor allem auf den Intensivstationen.

noe.ORF.at: Die Virologin Dorothee von Laer hat aktuell gesagt, wenn man die Impfrate um zehn Prozent steigern würde, könnte man die Beschränkungen aufheben. Auch Sie haben zuletzt mehr Maßnahmen zur Steigerung der Impfrate gefordert. Was wären da probate Mittel?

Gartlehner: Eine Steigerung der Impfrate wäre das absolut Notwendigste, was wir jetzt tun müssten. Ich denke, es gibt wahrscheinlich drei Ansätze, die man umsetzen müsste: Es müsste eine neue Impfkampagne gefahren werden, die auch etwas auf Emotionen, auf das Emotionale abzielt. Es braucht bessere Informationen über die Daten, Fakten, Vorteile, Nachteile und Risiken der Impfung. Da ist auch noch sehr viel Handlungsbedarf. Ich glaube auch, dass Nicht-Geimpft-Sein in Österreich derzeit noch zu bequem, zu einfach ist. 3-G sieht leider so aus, als ob Impfung und Testen gleichwertig wären, und das sind sie überhaupt nicht.

Gartlehner
ORF
Gerald Gartlehner im Gespräch mit „Niederösterreich heute“-Moderator Werner Fetz

noe.ORF.at: Es gibt aktuell viele Vorschläge – auch von Impfzwang ist die Rede, von Selbstbehalten, also von Straf- oder Zwangsmaßnahmen. Wäre so etwas zielführend oder lehnen Sie das ab?

Gartlehner: Ich glaube, im ersten Schritt sollte man mit Zugangsbeschränkungen beginnen, das heißt, 2-G-Regelungen für Geimpfte und Genesene in Kinos, Theatern und so weiter. In einem weiteren Schritt kann man dann wahrscheinlich erst andenken, ob die Tests vielleicht kostenpflichtig sein sollten, aber man sollte auf jeden Fall mit einem gelinderen Schritt beginnen.

noe.ORF.at: Dänemark hat nun alle Beschränkungen aufgehoben, weil man dort so eine hohe Durchimpfungsrate hat. Was läuft dort anders als in Österreich?

Gartlehner: Dänemark ist in der glücklichen Lage, dass fast 80 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft sind und das ist der Hauptteil, der anders läuft. Die Dänen sind wahrscheinlich etwas wissenschaftsorientierter als die Österreicherinnen und Österreicher und haben auch mehr Vertrauen in ihre Regierung. Wir sollten auf jeden Fall versuchen, in diese Nähe zu kommen. Österreich ist in Westeuropa, muss man sagen, das Schlusslicht bei der Impfquote. Da haben wir noch viel Arbeit vor uns.

noe.ORF.at: Noch keine Impfung gibt es für unter Zwölfjährige. Mit dem heutigen Tag sind die Schulen wieder in ganz Österreich offen. Wie gefährlich ist dieses Virus für Kinder und wie kann man sie schützen?

Gartlehner: Für gesunde Kinder ist eine Infektion mit dem Virus meistens nicht gefährlich, die Verläufe sind relativ milde. Für Kinder, die Erkrankungen haben, zum Beispiel Diabetes oder starkes Übergewicht, wird die Infektion schon gefährlicher. Da müsste man sich wahrscheinlich schon überlegen, ob man nicht trotzdem impft, obwohl die Impfung für sie noch nicht zugelassen ist.