Der deutsche Komponist Ludwig van Beethoven auf einer zeitgenössischen Darstellung
APA/dpa
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Kultur

Beethoven starb an falscher Blei-Behandlung

Im „Beethovenhaus“ in Baden war vor wenigen Tagen Gerichtsmediziner Christian Reiter zu Gast. In einem Vortrag erzählte der Pathologe, was die moderne Forensik mit ihren toxikologischen Analysemethoden zum Tod Beethovens ermitteln konnte.

Sensengasse – so lautet bezeichnender die Adresse des Gerichtsmedizinischen Institutes in Wien, jenes Ortes, an dem Christian Reiter 40 Jahre lang hauptberuflich beschäftigt war. Seit etwa einem Jahr ist er in Pension, aber nach wie vor als Sachverständiger beratend tätig. Vor zwei Jahren hielt er einen ersten Vortrag über Beethovens Krankheiten auf der Medizin-Universität Wien.

Als Vortragender war er vergangenen Freitag wieder „Zu Besuch bei Beethoven“, als Gast bei Moderator und Ex-Ö1-Musikexperten Johannes Leopold Mayer im „Beethovenhaus“ in Baden. In diesem Haus verbrachte Beethoven mehrere Sommer, schrieb wesentliche Kompositionen und nahm in Baden Wasserkuren zur Linderung seiner vielen chronischen Krankheiten. Reiter fasst im Interview mit noe.ORF.at die neuen und bekannten Erkenntnisse zu Beethovens Krankheiten und Todesursache zusammen.

Beethovens Schreibtisch im Beethovenhaus Baden
ORF/Hannes Steindl
Der Schreibtisch des Komponisten im Beethovenhaus in Baden

noe.ORF.at: Herr Professor, was steht der Gerichtsmedizin derzeit von Beethovens Körper zur forensischen Untersuchung zur Verfügung?

Christian Reiter: Grundsätzlich gibt es von Beethoven ein paar Reliquien. Die überwiegenden Reliquien sind Haare, wobei es sehr wichtig ist, zu wissen, wann diese Haare gewonnen worden sind. Es gibt viele Haare, die ihm am Totenbett abgenommen worden sind. Es gibt aber auch einige Haare, die aus Zeiten vor dem Ableben stammen. Dadurch kann man über die Haare eine Chronologie der Inhalte seiner Haarsubstanz ermitteln.

Da gibt es beispielsweise Analyseverfahren, die speziell auf Schwermetalle abzielen. Da ergibt sich ein sehr charakteristisches Bild von Blei in Beethovens Haaren in den letzten eineinhalb Jahren vor seinem Tod. Über diese Schiene kann man die Behandlungsmaßnahmen vor seinem Tod eruieren. Man kann auch seine letzten Lebensgewohnheiten rekonstruieren.

noe.ORF.at: Was ist nun der neueste Stand der Erkenntnisse zu Beethovens Todesumstände und seinen vielen Krankheiten davor?

Reiter: Ich als Gerichtsmediziner interessiere mich selbstverständlich am meisten für die Todesumstände und letztlich auch für die Frage, ob sich die Ärzte, die ihn behandelt haben, korrekt verhalten haben. Und da kann man sagen, Beethoven hat Anfang Dezember 1826 eine Lungenentzündung gehabt, die wurde von seinem hinzugezogenen Arzt, der ihn aber nicht gut kannte, mit einer bleihaltigen Arznei behandelt. Das war damals State of the Art. Diese bleihaltige Arznei hat aber bei ihm, der an einer Leberzirrhose gelitten hat, zu einer katastrophalen Verschlechterung seiner Leberfunktion geführt, mit einer Bauchwassersucht als Folge.

Diese Bauchwassersucht musste viermal punktiert werden, weil sonst Beethoven kaum mehr Luft bekommen hätte, weil das Zwerchfell hochgedrückt wurde. Diese Punktionsstellen am Bauch wurden mit bleihaltigen Pflastern verklebt. Über diese Wunden wurden also zusätzlich noch Blei aufgenommen, so dass letztlich die Leber durch diese zusätzliche Belastung zugrunde gegangen ist. Beethoven ist durch ein Multiorganversagen, so würde man heute sagen, durch die Bleivergiftung verstorben.

Wasserhof Gneixendorf
Köchel Gesellschaft Krems
Schloss von Beethovens Bruder, einem wohlhabenden Apotheker, in Gneixendorf (Bezirk Krems)

noe.ORF.at: Diese Lungenentzündung soll er sich in Gneixendorf (Bezirk Krems) zugezogen haben, als er dort seinen Bruder besucht hatte, stimmt das?

Reiter: Ja, auf der Rückfahrt von Gneixendorf nach Wien hat er sich diese Krankheit zugezogen, als er in einem nicht geschlossenen Wagen unterwegs war, in einen Regen kam und in einem ungeheizten Raum auf dieser Strecke übernachtet hat. Das wäre auch heute noch sehr riskant, sich eine Lungenentzündung zuzuziehen.

noe.ORF.at: Bei Leberzirrhose denkt man heute oft an Alkoholmissbrauch. Das muss es bei Beethoven nicht gewesen sein. Man weiß, Beethoven hat viel Wein getrunken, aber das hat jeder damals, weil das Trinken von Wasser zum Großteil noch schädlicher war.

Reiter: Es ist aus seiner Krankengeschichte rekonstruierbar, dass er einige Jahre vor seinem Tod an einer Gelbsucht erkrankt ist. Man kann heute davon ausgehen, dass es sich um eine infektiöse Gelbsucht gehandelt hat, also eine Hepatitis. Und diese Hepatitis dürfte nie ganz ausgeheilt worden sein. Und die Kombination aus Alkoholkonsum, der damals üblich war, und Hepatitis hat letztlich zu dieser Leberzirrhose geführt.

noe.ORF.at: Krankheit ist etwas sehr Privates, das die Öffentlichkeit nicht unbedingt interessieren sollte. Hat die Krankengeschichte der Person Beethoven den Komponisten Beethoven stark beeinflusst? Das frage ich sie mehr als Musikliebhaber denn als Mediziner.

Reiter: Ja, davon bin ich überzeugt. Wenn man das sogenannte Heiligenstädter Testament Beethovens liest, dann ergibt sich daraus das Bild eines hochgradig depressiven Menschen und es ist verwunderlich, dass dieser Mensch so lange Zeit danach noch so produktiv war. Man muss bewundernd sagen, dass er einen sehr starken Charakter gehabt haben muss, dass er all diese Schmerzen und Unannehmlichkeiten so wegstecken konnte und so kreativ bleiben konnte bis zum Schluss.

noe.ORF.at: Ist die medizinische Forschung zu Beethovens Lebens- und Todesumständen mit den bisherigen Erkenntnissen erschöpft?

Reiter: Es gibt von Beethoven noch Schädelknochen, die liegen in einem wissenschaftlichen Institut in Kalifornien. Über diese Knochen könnte man noch weitere genetische Untersuchungen anstellen, allenfalls über Mikroorganismen und damit weitere Erkenntnisse über die Lebensumstände gewinnen. Also, da gibt es noch viele Möglichkeiten, mit den modernen Methoden weitere vernünftige Forschungen zu betreiben.