Prozess St. Pölten Taschentuch Baby tot
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Chronik

Baby an Tuch erstickt: Haftstrafe für Vater

Wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang ist am Montag ein 34-Jähriger in St. Pölten zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Der Mann soll seinem sechs Wochen alten Sohn ein Papiertaschentuch in den Mund gesteckt haben.

Der Mann aus dem Bezirk St. Pölten, der laut Gutachten eine geistige und körperliche Behinderung hat, bekannte sich in der Schöffenverhandlung schuldig. „Ich habe mir nichts dabei gedacht“, erzählte der Beschuldigte. Das Gericht verurteilte ihn schließlich zu drei Jahren Haft, eines davon unbedingt. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Richter sprach von einem „massiven Misshandlungsverhalten“ des Angeklagten. „Es gibt keine gerechte Strafe dafür“, meinte der Richter, es brauche ein Urteil, „das auch die Leute zum Nachdenken bringt“. „Offenbar hatten Sie doch Gewissensbisse“, weshalb der Angeklagte nicht seine erste Version des Vorfalls, er habe mit einem Taschentuch Erbrochenes weggewischt und das Baby habe sich den Fremdkörper selbst in den Mund gestopft, aufrechterhalten habe.

Bei einem Strafrahmen von ein bis zehn Jahren wirkten sich das Geständnis, die Unbescholtenheit und eine marginal eingeschränkte Schuldfähigkeit mildernd aus. Als erschwerend wurde die Tat an einem nahen, besonders schutzbedürftigen Angehörigen angesehen. Außerdem erging die Weisung, die bereits begonnene Psychotherapie fortzusetzen. Zudem wurde Bewährungshilfe angeordnet.

Vater soll überfordert gewesen sein

Der Vorfall soll sich bereits am 22. Jänner 2016 ereignet haben. Die Mutter des Kindes hatte sich laut Anklagebehörde zuhause in der Küche die Haare von einer Freundin färben lassen. Der Niederösterreicher sollte seinen Sohn beaufsichtigen und wollte das schreiende Baby wickeln. „Aufgrund seiner Überforderung in der Situation“ soll der Beschuldigte ein Papiertaschentuch zusammengeknüllt und es dem Säugling in den Mund gesteckt haben.

Das Baby lief laut Staatsanwaltschaft daraufhin blau an und war am Ersticken. Der Vater konnte das Taschentuch nicht herausholen, der Fremdkörper wanderte immer weiter in Hals, Rachen und Atemwege. Der Angeklagte rief um Hilfe. Die Freundin der Mutter versuchte, den Fremdkörper herauszuholen.

„Überlebenskampf, den er letztlich verloren hat“

Auch die verständigten Rettungssanitäter konnten das Taschentuch nicht entfernen. Erst der Notarzt konnte eine halbe Stunde später den Fremdkörper mit einer Zange herausholen. Der Bub wurde sofort ins Spital gebracht. Nach einem „Überlebenskampf, den er letztlich verloren hat“ starb der Säugling am 12. Mai 2016, hielt die Vertreterin der Staatsanwaltschaft fest.

Der Beschuldigte leidet laut seinem Verteidiger seit Geburt an einer geistigen und körperlichen Behinderung. Aufgrund seiner spastischen Lähmung auf der linken Seite könne Wickeln den Beschuldigten „an seine körperlichen Leistungsgrenzen bringen“, sagte der Rechtsanwalt. Aufgrund einer Intelligenzminderung habe der 34-Jährige eine niedrigere Stress- und Frustrationstoleranz.

Sein Mandant „war mit dieser Situation komplett überfordert, er stand unter Stress, unter Druck“, erklärte der Verteidiger. Der Angeklagte „hat etwas furchtbar Dummes, einen Fehler gemacht“, „er hat sich dabei nichts Böses gedacht“, sagte der Rechtsanwalt. „Er wollte einfach, dass das Baby aufhört zu schreien.“

„Ein, zwei Minuten“ zugeschaut

Nachdem er das Taschentuch in den Mund seines Sohnes gesteckt hatte, „hat er die Augen verdreht“. Der Angeklagte hatte laut seinen Angaben „ein, zwei Minuten“ zugeschaut und dann versucht, das Taschentuch herauszuziehen. „Ich wollte es alleine schaffen“, meinte der Mann auf die Frage des Richters, warum er nicht sofort beim Wickeln um Hilfe gerufen habe. Der Angeklagte aus dem Bezirk St. Pölten-Land hat neun Jahre Sonderschule absolviert und ist ohne Beschäftigung.

Nach dem Vorfall sollen die Eltern gesagt haben, dass sich das Baby ein Taschentuch mit Erbrochenem in den Mund gesteckt habe. Aus Angst habe sie damals nicht die Wahrheit geäußert, das Thema sei lange „totgeschwiegen“ worden, sagte die heute 35-jährige Mutter als Zeugin: „Ich habe seitdem Albträume.“ Weil sie damals mit dem Färbemittel in den Haaren nicht zu ihrem Sohn gehen wollte, habe sie ihren damaligen Lebensgefährten zum Wickeln geschickt.

Mutter: „Plötzlich war es still“

„Plötzlich war es seltsam still“, erinnerte sich die Frau, die daraufhin ins Nebenzimmer ging. „Ich bin dortgestanden wie erstarrt“ und ihr seien die Tränen runtergeronnen. „Die Schreie sind dumpfer geworden, dann hat er uns gerufen“, erzählte die Freundin der 35-Jährigen. Weil das Taschentuch beim Eintreffen der Rettung schon so weit unten war, dass es nicht mehr zu sehen war, wurde der Notarzt verständigt, berichtete ein Sanitäter.

Lange Zeit hatten die Eltern des verstorbenen Kindes nicht über den Tod ihres Sohnes gesprochen, sagte die 35-Jährige. Erst Anfang dieses Jahres soll die Frau Anzeige bei der Polizei erstattet haben, weil sie der Niederösterreicher mit dem Umbringen bedroht haben soll. Die 35-Jährige hatte heuer am 22. Februar bei der Polizei ausgesagt. Schließlich wurde der 34-Jährige wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang angeklagt.